Neu-Ulmer Zeitung

„Das war’s“

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Interview Jazzbasist Eberhard Weber gehört zu den wichtigste­n Vertretern seines Fachs, spielte mit den Großen

der Zunft. Seit einem Schlaganfa­ll kann der Musiker allerdings sein Instrument nicht mehr spielen

Ihr neues Album trägt den Titel „Once Upon A Time“– Es war einmal. Damit ist wahrschein­lich nicht nur das Aufnahmeda­tum August 1994 und Avignon als Ort Ihres Auftritts gemeint.

Eberhard Weber: Ich wollte es ganz anders nennen …

Wie denn?

Weber: „Last Stroke“! Das hätte zwei Bedeutunge­n gehabt: Zum einen der „letzte Streich“. Und zum anderen eben „Schlaganfa­ll“. ECMCHEF Manfred Eicher fand das nicht so passend. Deshalb heißt die CD nun eben „Once Upon A Time“.

Irgendwie fühlt es sich nicht an wie „Es war einmal“, sondern eher wie „Es ist noch“. Nach außen hin hat es den Anschein, als würden Sie mehr Termine absolviere­n als viele aktive Musikerkol­leginnen und -kollegen.

Weber: Das kann man so nicht behaupten. Ich lebe eher ein zurückgezo­genes Leben. Die Bänder aus Avignon hat Eicher vor gut einem Jahr während einer Produktion in den Studios La Buissonne entdeckt. Sie sind wohl die einzige, tatsächlic­h existieren­de Bass-soloaufnah­me von mir, ohne jede Ansage, weil ich damals noch kein Französisc­h konnte. Darauf enthalten sind unter anderem „My Favorite Things“, das ich sonst nirgendwo mehr gespielt habe, und das „Trio For Bassoon And Bass“, auf dem ich mich selbst mithilfe der Loops begleite. Meine anderen, seit dem Schlaganfa­ll veröffentl­ichten Alben „Encore“von 2015 und „Résumé“von 2009 bestehen aus isolierten Live-solosequen­zen während meiner Zeit in der Jan Garbarek Group. Somit ist das ein wirklich schöner Abschluss.

Wie meinen Sie das?

Weber: Es wird keine weiteren Veröffentl­ichungen von mir geben – in diesem Leben zumindest. Das war’s! Deshalb schmückt das Cover ein Bild, das meine verstorben­e Frau gemalt hat. Es zeigt ihre Großeltern, genau weiß ich das nicht. Sie hat 1973 auch die Plattenhül­le für „Colors Of Chloë“, mein erstes Album unter eigenem Namen, gezeichnet. Also schließt sich der Kreis.

Vielleicht auch eine Gelegenhei­t, um zumindest in diesem Rahmen zurückzubl­icken. Was würden Sie aus heutiger Sicht anders machen?

Weber: Es gibt vieles, was man nicht hätte tun müssen. Aber ich würde es im Großen und Ganzen wieder ähnlich angehen, weil ich eigentlich nie dem Erfolg hinterherg­elaufen bin. Ich habe es vielmehr so empfunden, dass er auf mich zukam. Zum Glück bin ich durchs Abitur gefallen, obwohl ich schon einen Studienpla­tz als Volksschul­lehrer hatte. Sonst wäre ich wahrschein­lich kein Musiker geworden. Mein Ziel war es nie, einen eigenen Sound zu erfinden. Ich wollte einfach nur spielen. So entdeckte ich dank des Gitarriste­n Bill Frisell eben das Delay. Das funktionie­rte wirklich gut mit meinem Elektro-kontrabass. Der Bass klang melodiöser.

Gerade das ist dann doch ein eigener Sound geworden, mit dem Sie jeder schon nach wenigen Sekunden erkennt. So etwas kommt nur bei wenigen Bassisten vor.

Weber: Ich habe halt immer herumprobi­ert und wollte die Möglichkei­ten des Instrument­es ständig erweitern. Schon früh habe ich mir in einem Antiquität­enladen den Holzkörper eines alten Kontrabass­es gekauft und eine zusätzlich­e, hohe C-saite sowie einen elektronis­chen Tonabnehme­r einbauen lassen. Nach und nach hat das die Eigenreson­anzen des Basses beseitigt und den Klang klarer, aber auch länger werden lassen. Dazu kam noch ein leichtes Vibrato. Später, bei Garbarek, habe ich ein wenig Hall dazu genommen. Eigentlich hatte ich sogar vor, mir einen neuen Bass mit einer weiteren, einer tiefen H-saite anfertigen zu lassen. Aber dann kam leider der Schlaganfa­ll dazwischen. Das war sozusagen eine Entscheidu­ng von höherer Stelle. Deshalb habe ich konsequent­erweise auch mit dem Komponiere­n aufgehört, weil ich feststelle­n musste, dass bei all meinen Arbeiten für Film, Fernsehen und Platten immer mein Bass eine Rolle spielte. Es drehte sich alles um ihn, er war überall irgendwo hörbar. Da meine linke Hand aber nicht mehr funktionie­rt, machte das für mich nun mal keinen Sinn mehr.

Wissen Sie, wie verkauft haben?

Weber: Ich habe das tatsächlic­h irgendwann mal nachgerech­net. Seit 1973 sind insgesamt 14 Platten unter meinem Namen erschienen, und verkauft wurden davon insgesamt knapp 600000 Einheiten. Im Vergleich zum Pop ist das geradezu ein Witz, und selbst ein Keith Jarrett würde darüber nur lächeln. Aber für etwas, das man gemeinhin in die

viele Tonträger Sie

Schublade „Jazz“steckt, war es doch ordentlich.

Sie klingen inzwischen relativ gelassen und akzeptiere­n, dass es keinen Weg zurück auf die Bühne gibt. Wie lange haben Sie nach dem Schlaganfa­ll gebraucht, um sich damit abzufinden? Weber: Nicht allzu lange. Es war eher ein halbschwer­er Gehirnschl­ag. Schon recht bald habe ich festgestel­lt, dass ich den Originalzu­stand auch mit viel Üben nicht mehr hinbekomme­n würde. Das muss man so akzeptiere­n. Ich wollte auch nicht als „halber“Bassist zurückkomm­en, damit die Leute womöglich hinter vorgehalte­ner Hand raunen: „Früher war er besser“, „Warum tut er sich das an?“oder „Braucht er das Geld?“Ich hab’s meiner Frau zuliebe immer wieder probiert, weil sie unbedingt wollte, dass ich wieder auftrete. Also habe ich so getan, als ob, damit sie zumindest hören konnte, dass ich es versuche. Dabei wusste ich längst, dass es keinen Sinn mehr macht. Als sie gestorben ist, habe ich endgültig damit aufgehört.

Wie kommen Sie im Alltag zurecht? Weber: Ich versuche es heiter zu nehmen. Aber lustig ist es nicht immer. Gerade in Esslingen habe ich wieder festgestel­lt, dass es eine Behinderun­g ist. Man versucht, sich so gut es geht, von Ort zu Ort zu hangeln. Ich musste diesmal in einem anderen Hotel übernachte­n, weil mein altes während des Lockdowns pleite ging. Plötzlich gibt es neue, ungewohnte Wege, zusätzlich­e Hinderniss­e. Das ärgert mich. Mit meiner Linken kann ich gerade noch ein Papier festhalten, aber ein Glas nicht mehr. Hinzu kommt, dass das Reisen immer beschwerli­cher wird.

Wenn Sie alte Aufnahmen hören, spielt der Kopf da noch mit?

Weber: Manchmal, wenn ich Videos bei Youtube aufrufe, überkommt mich der Gedanke, dass es schön wäre, wenn ich das wiederhole­n könnte. Aber das verschwind­et schnell. Eine heilsame Erfahrung waren die 100 extrahiert­en Bass-soli, die mir Jan Garbareks Tontechnik­er zuschickte. Nach 30 habe ich einfach aufgehört, denn irgendwann geht einem das Zeug ziemlich auf den Geist, auch wenn es von einem selber stammt. Da bleiben Wiederholu­ngen nicht aus. Wenn ich wirklich wieder spielen könnte, würde mich nur interessie­ren, ob ich mit dem gleichen Mist wieder anfange, mit dem ich aufgehört habe, oder ob mir tatsächlic­h was Neues einfällt. Aber da das nie passiert, ist so ein Gedanke überflüssi­g.

Gibt es Bassisten aus der aktuellen Generation, die Ihre Aufmerksam­keit erwecken?

Weber: Ich höre wenig, meine Ohren sind müde geworden. Wenn mir jemand etwas schickt, bin ich gleich durch damit. Es gibt nicht viele, die mir auffallen, Jacob Collier zum Beispiel, den fand ich spannend. Dieser junge Engländer bringt was Neues, obwohl es mehr in Richtung Pop geht. Bei den Esslinger Jazztagen erlebe ich als Schirmherr hin und wieder Bassisten. Da stelle ich fest, dass weiterhin die gute alte Spielweise dominiert – also nichts Aufregende­s. Interview: Reinhard Köchl

Eberhard Weber, 81, gilt seit Anfang der 1970er Jahre als wich‰ tigster deutscher Jazzbassis­t. Er spiel‰ te mit Pat Metheny, Gary Burton, Wolfgang Dauner und Jan Garbarek. Ein Schlaganfa­ll beendete im April 2007 seine Karriere. Heute lebt er im südfranzös­ischen Vic‰sainte‰ Anastasie. Das Soloalbum „Once Upon A Time – Live in Avignon“(Ecm/universal) mit älteren Aufnah‰ men ist soeben erschienen.

 ?? Foto: Nadia F. Romanini, ECM Records ?? Jazzbassis­t Eberhard Weber kündigt an, jetzt auch keine alten, bisher nicht veröffentl­ichte Aufnahmen mehr auf den Markt zu bringen.
Foto: Nadia F. Romanini, ECM Records Jazzbassis­t Eberhard Weber kündigt an, jetzt auch keine alten, bisher nicht veröffentl­ichte Aufnahmen mehr auf den Markt zu bringen.

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