Neu-Ulmer Zeitung

Fünf Tage im Dezember 1941 entschiede­n den Weltkrieg

- VON HARALD LOCH

Geschichte Alle waren überrascht, als Japan Pearl Harbor überfiel. Ein neues Buch zeichnet die dramatisch­en Ereignisse nach

Hält die Achse oder zerbricht sie? Diese Frage stellten sich Anfang Dezember 1941 Politiker und Militärs in Japan. Das Land hatte am 7. Dezember ohne Kriegserkl­ärung mit einem Überfall auf den Us-amerikanis­chen Marinestüt­zpunkt Pearl Harbor die Feindselig­keiten eröffnet. Auch Hitler war davon überrascht. Die Japaner versenkten acht Schlachtsc­hiffe und zerstörten hunderte Flugzeuge. Tausende Soldaten starben. Die USA standen ohne Pazifikflo­tte da – nur die Flugzeugtr­äger waren intakt. Das Militärbün­dnis zwischen Japan, Italien und dem Deutschen Reich, die „Achse“, sah vor, dass sich die Länder gegenseiti­g Beistand leisten, wenn eines von ihnen angegriffe­n würde. Was aber, wenn ein Achsenland angriff?

Der britische Cambridge-historiker Brandon Simms und sein Kollege Charlie Laderman vom Londoner King’s College haben eine erste quellenges­tützte Untersuchu­ng über die „Fünf Tage im Dezember“vorgelegt, die Zeit zwischen Pearl Harbor und der Kriegserkl­ärung

Hitlers an die USA in einer spektakulä­ren Reichstags­sitzung am 11. Dezember 1941. Im Stunden-, manchmal auch Minutentak­t rekonstrui­eren sie. Das verlangt Virtuositä­t, denn die Schauplätz­e Tokio, Washington, London, Moskau, Rom und Berlin liegen in verschiede­nen Zeitzonen. Die Hauptakteu­re sind japanische Politiker und Militärs, sind Roosevelt, Churchill, Hitler und Mussolini, im Hintergrun­d auch Stalin. Zugeschalt­et werden Politiker in Vichy und in aller Welt.

In Frontberic­hten schreiben die Autoren über die Kriegsscha­uplätze im Pazifik, in Nordafrika und an der deutschen Ostfront, an der es im Winter vor Moskau schlimm steht. Bestürzend sind die taggenau eingefügte­n Berichte über die Deportatio­nen von Juden in den „Osten“oder über ihre Ermordung dort. Die dichte Zeitfolge der Ereignisse ist atemberaub­end. Es geht um Sieg oder Niederlage, um Millionen von Menschenle­ben.

Die Autoren fassen die Weltlage im Dezember 1941 zusammen: Japan führt seit Jahren Krieg gegen China. Durch den deshalb von den

USA verhängten Boykott fühlt sich das rohstoffar­me Land in die Enge gedrängt. Es strebt an die Ölquellen im damaligen Niederländ­isch Ostindien. Die waren ohne Krieg gegen die USA nicht zu haben und der war ohne Überfall nicht zu führen – deshalb Pearl Harbor.

Deutschlan­d führt

stockende

Feldzüge in Nordafrika gegen die Briten sowie gegen die Sowjetunio­n, die durch Waffenlief­erungen aus den USA immer besser gerüstet werden. Panzer, Lastwagen und Flugzeuge aus den USA werden über Großbritan­nien geliefert. Vom Krieg zwischen den USA und Japan verspricht sich Hitler Entlastung, weil – so spekuliert man in Berlin – die USA zunächst ihren pazifische­n Eigenbedar­f decken müssen und nicht mehr für die Sowjetunio­n liefern können. Aber muss dazu Deutschlan­d den USA den Krieg erklären? Zwei Argumente entscheide­n Hitlers Kriegserkl­ärung: Weniger die Bündnistre­ue gegenüber Japan, sondern die Bindung der amerikanis­chen Kräfte im Pazifik und der Fortfall der Beschränku­ngen für deutsche U-boote im Kriegsfall mit den USA. Der transatlan­tische Nachschub aus den USA wäre effektiver zu stören.

Es entstehen mehrere „Zweifronte­n-konstellat­ionen“: Die USA müssen im Pazifik gegen Japan, im Atlantik gegen Deutschlan­d und Italien kämpfen. Japan kämpft nach Süden zu den Ölquellen und in China. Außerdem droht ein Krieg gegen die Sowjetunio­n. Die Sowjetunio­n kämpft im Westen gegen Hitler-deutschlan­d. Im Osten droht ein Krieg mit Japan. Großbritan­nien muss nicht nur westlich von Suez in Nordafrika, sondern östlich von Suez gegen das japanische Vordringen kämpfen. Dabei verlieren die

Briten innerhalb der „Fünf Tage im Dezember“zwei Schlachtsc­hiffe vor der thailändis­chen Küste durch japanische Fliegerang­riffe. Die Dominanz der Luftwaffen gegenüber den Großkampfs­chiffen markiert einen Paradigmen­wechsel des Seekriegs, den wenig später Japan selbst durch die Niederlage seiner Flotte bei Midway zu spüren bekommt.

Alle Beteiligte­n haben diese gefährlich­en Konstellat­ionen im Blick. Im Mittelpunk­t steht in Europa der amerikanis­che Nachschub für die Sowjetunio­n. Entscheide­nd werden das Einverstän­dnis zwischen Roosevelt und Churchill sein, das im Dezember 1941 im Weißen Haus erzielt wird, sowie dass die USA ihre Kriegsprod­uktion enorm steigern und die Sowjetunio­n, die die Hauptlast des Krieges trägt, mit den siegbringe­nden Waffen versorgt wird.

 ?? Foto: U.S. Navy, dpa ?? Am 7. Dezember 1941 überfielen japanische Streitkräf­te den amerikanis­chen Flot‰ tenstützpu­nkt Pearl Harbor.
Foto: U.S. Navy, dpa Am 7. Dezember 1941 überfielen japanische Streitkräf­te den amerikanis­chen Flot‰ tenstützpu­nkt Pearl Harbor.

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