Neu-Ulmer Zeitung

Im Schatten des älteren Bruders

- VON LUKE MAGUIRE

Themenwoch­e Die Geschwiste­r Vettel, Götze und Hummels: Die einen werden zu Aushängesc­hildern, die anderen können

an deren Erfolg nicht anknüpfen. Wie die jüngeren Geschwiste­r damit umgehen und welche Mentalität sie entwickeln

Augsburg Es gibt viele Sätze, die Jonas Hummels nicht hören will, sie aber trotzdem ständig zu hören bekommt. Einer davon ist: „Du bist doch der Bruder von Mats Hummels.“Ja, das ist er. Ständig damit in Verbindung gebracht zu werden, will der 31-Jährige aber nicht. In einem gemeinsame­n Interview mit seinem Bruder mit dem Stern erzählte Jonas offen, wie schwer es oft für ihn sei, der kleine Bruder eines Fußball-weltmeiste­rs zu sein. Wenn die beiden etwa durch München laufen und Fans ein Foto mit Mats haben wollen, „da denke ich oft: Könnt ihr bitte alle aufhören, so zu geiern, und uns einfach Brüder sein lassen?“

Seinem großen Bruder mache er deswegen aber keine Vorwürfe. Auch Neid empfinde er nicht. Über Mats’ Erfolge bei Borussia Dortmund habe er sich „unendlich gefreut“. Doch als sein Bruder Weltmeiste­r wurde, sei die Stimmung eher gedrückt gewesen. „Ich habe lange gebraucht, um das zu verstehen. Irgendwie dachte ich: Jetzt wird die Diskrepanz zwischen Mats und mir langsam ein bisschen groß.“Ein bisschen Neid gebe es also doch.

Solche Gefühle seien völlig normal, sagt Sportpsych­ologe und Mentalcoac­h Ben Göller. „Wir sind von Grund auf so, dass wir anderen Menschen etwas gönnen. Stolz auf jemanden zu sein, ist gerade bei Geschwiste­rn ganz normal.“Neid und geschwiste­rliche Rivalität seien aber auch gängig. Dass dieser Neid oftmals nicht öffentlich gezeigt wird, sei laut Göller eine mentale Strategie der betroffene­n Personen. „Der Bruder wird nicht von heute auf morgen zum Weltstar, das ist ein Prozess. Dadurch hat man immer eine gewisse Zeit, sich mental darauf vorzuberei­ten und solche Gefühle innerlich zu bearbeiten.“

Trotz oder manchmal auch eben wegen der eigenen Leistungen werden die vermeintli­ch schlechter­en Geschwiste­r oft mit deren Bruder oder Schwester verglichen. „Das ist vor allem bei Geschwiste­rn so, die die gleiche Sportart ausüben“, sagt Göller – wie etwa bei Jonas und Mats Hummels, Felix und Mario Götze oder Sebastian und Fabian Vettel. Weil diese Vergleiche immer wieder in der Öffentlich­keit angesproch­en werden, würden sich die Betroffene­n einen Handlungsp­lan, eine Strategie festlegen. „Sie wissen, was auf sie zukommt, wollen dementspre­chend vorbereite­t sein und so reagieren, wie es für sie am besten erscheint, unabhängig davon, wie sie sich wirklich fühlen. Dadurch spielen sie sich diese Situation im Kopf immer wieder durch. Wenn man das häufig genug gemacht hat, glaubt man daran, dass es wirklich so ist.“

So ähnlich sei das auch bei Toni und Felix Kroos. Die Brüder sind Fußballpro­fis, dennoch trennen die beiden Welten. Während Toni bei Real Madrid spielt, Weltmeiste­r ist und als einer der besten Mittelfeld­spieler der Welt gefeiert wird, stieg Felix zuletzt mit Eintracht Braunschwe­ig in die 3. Liga ab. Öffentlich spricht er aber nur selten von Neid. „Ich bin derjenige, der sich am meisten über seinen Erfolg freut“, sagte Felix Kroos in der Talkshow von Markus Lanz. Er sei unfassbar stolz, weil er Tonis Weg von Anfang an mitverfolg­t hat, „und dass so eine Karriere daraus wird, die wir zusammen als Kinder auf dem Fußballpla­tz begonnen haben, das hätte man sich niemals erträumt“. Dass Toni viele Dinge leichter gefallen sind und er stattdesse­n immer hart arbeiten musste und trotzdem nicht an die Leistung seines Bruders herangekom­men ist, „hat mich immer brutal aufgeregt“.

Das sei vor allem aufgrund der Erwartunge­n anderer Personen so. Die Erwartungs­haltung vor allem an jüngere Geschwiste­r sei auch immer an die Leistungen der älteren angelehnt. Das sei ein gesellscha­ftliches

Phänomen, so Göller. „Wir müssen uns die Frage stellen: Ist meine Erwartungs­haltung an mich von mir selbst gesetzt oder von außen?“Sich komplett von den Einflüssen anderer freizumach­en, sei allerdings unmöglich. „Wir sind soziale Lebewesen und geprägt durch unser Umfeld. Uns ist es wichtig, was andere Menschen, vor allem aber für uns wichtige Personen wie die Familie und Freunde, denken.“Nur die wenigsten könnten sich davon großteils freimachen. „Dafür muss man mental sehr stark sein“, sagt Göller.

Und da kommt er als Sportpsych­ologe ins Spiel. Der 34-Jährige aus dem Allgäu bietet Hilfe zur Selbsthilf­e an. „Ich gebe den Sportlern Strategien und Methoden, mit denen sie ihre Situation lösen können.“Die Kommunikat­ion miteinande­r sei der Schlüssel zum Erfolg.

Ansonsten könne man an dem Druck, der von außen kommt und den man sich selber gibt, zerbrechen. „Viele gehen dann den einfachste­n Weg und werfen hin“, sagt Göller. Hier sei es wichtig, jemanden zu haben, der einem den Spiegel vorhält und zur Selbstrefl­exion anregt. Das müssten nicht unbedingt Sportpsych­ologen sein. Auch die Eltern, die in der Entwicklun­g der Kinder den wohl größten Einfluss haben, sollten offen miteinande­r kommunizie­ren, sollte eine Rivalität zwischen Geschwiste­rn entstehen.

„Bei der Erziehung haben Eltern oft den Wunsch, alle Kinder gleich zu behandeln.“Das sei aber nicht möglich, weil das erste Kind automatisc­h mehr Zeit mit den Eltern habe. „Hier könnten Eltern versuchen, sich davon zu verabschie­den, alle Kinder gleich zu behandeln.“

 ?? Fotos: imago images (2), Stefan Puchner, Roland Weihrauch ?? Jonas Hummels (vorne) und Bruder Mats spielten beide in der Jugend des FC Bayern München. Während Mats Fußball‰weltmeis‰ ter wurde, wollte Jonas’ Karriere nicht so richtig in Fahrt kommen.
Fotos: imago images (2), Stefan Puchner, Roland Weihrauch Jonas Hummels (vorne) und Bruder Mats spielten beide in der Jugend des FC Bayern München. Während Mats Fußball‰weltmeis‰ ter wurde, wollte Jonas’ Karriere nicht so richtig in Fahrt kommen.
 ?? ?? Standen sich schon in der Bundesliga ge‰ genüber: Mario (links) und Felix Götze.
Standen sich schon in der Bundesliga ge‰ genüber: Mario (links) und Felix Götze.
 ?? ?? Toni (links) und Felix Kroos sind nicht nur Brüder, sondern auch beste Freunde.
Toni (links) und Felix Kroos sind nicht nur Brüder, sondern auch beste Freunde.
 ?? ?? Sebastian Vettel (links) mit seinem jün‰ geren Bruder Fabian.
Sebastian Vettel (links) mit seinem jün‰ geren Bruder Fabian.

Newspapers in German

Newspapers from Germany