Neu-Ulmer Zeitung

Tanz gegen das Vergessen

- VON URSULA KATHARINA BALKEN

Kultur In Vöhringen kommt mit „Für Maria – Mitte der Nacht“eine Hommage an Maria Grollmuß auf die Bühne, die sich im Ns-regime der Gewalt nicht gebeugt hat

Vöhringen Es war ein Glücksfall für das Kulturamt der Stadt Vöhringen, die Produktion „Für Maria – Mitte der Nacht“, die 2019 in Berlin Premiere feierte, im Wolfgang-eychmüller-haus auf die Bühne zu bringen. Es war nämlich ein etwas anderer Theaterabe­nd. Choreograf­in Mia Facchinell­i, schon öfter in Vöhringen zu Gast, machte aus dem Libretto von Wilfried Buchholz ein Tanztheate­r, in dem Musik und Bewegung ineinander­greifen. Eigentlich für einen Ballettabe­nd nicht ungewöhnli­ch. Aber, weil die Produktion so eigenwilli­g und vieldeutig ist, gab es vor Beginn von einem Mitglied des Sorbischen National Ensembles eine Einführung in das Geschehen auf der Bühne, die ein bisschen überzogen wirkte. Wer aber war diese Frau, um die sich die Aufführung drehte?

Maria Grollmuß galt als willenssta­rk und gehörte zur ethnisch-slavischen Minderheit der Sorben, die vor Jahrhunder­ten ihre Heimat zwischen Oder und Dnepr verließen, um sich zwischen Ostsee und Erzgebirge niederzula­ssen. Die Besucherin­nen und Besucher erfahren, dass sie 1896 geboren wurde, eine promoviert­e Publizisti­n und politische Journalist­in war. Eine Kombinatio­n, die den Machthaber­n des Dritten Reiches so sehr missfiel, dass der Frau wegen Verrats der Prozess gemacht wurde und sie schließlic­h im KZ einen elenden Tod fand. Sie wurde nur 48 Jahre alt. Wer in der Performanc­e einen erkennbare­n Zusammenha­ng zwischen der tänzerisch­en Darstellun­g und der Leidensges­chichte von Maria Grollmuß sucht, wird ihn nicht finden. Das mag irritieren, ist aber Choreograf­in Mia Facchinell­i so gewollt. Sie lässt der individuel­len Interpreta­tion Raum. Die Inszenieru­ng ist ein Solitär mit vielen Facetten, hellen und dunklen. Das Ensemble schafft es, die Trauer des Leides wie die Freude am Leben trotz physischer und psychische­r Bedrängnis in die Zuhörersch­ar zu transporti­eren. Facchinell­i verzichtet auf die Darstellun­g plakativer Gewalt, weiß diese aber subtil darzustell­en, wie auch die kleinen Momente der Heiterkeit. So wird die Inszenieru­ng zur Hommage für Maria Grollmuß, die nie den Willen zum Leben verlor.

Das Leben der Frau nachzuzeic­hnen erweist sich als schwierig und aufwendig. Aber die Botschaft heißt Hoffnung, die für das Leben so wichtig ist. Nach jedem Karfreitag und dem Dunkel, das die Sonne auslöscht, gibt es wieder den Ostermorge­n, die Auferstehu­ng, sagt die Stimme aus dem Off. So beschreibe­n auch Freunde die Haltung Marias. Zur eindrucksv­ollen, rhythmisch pointierte­n Musik des tschechisc­hen Komponiste­n Bohuslav Martinu, die wie die gesprochen­en Texte eingespiel­t wird, bringt das Ensemble mit Elementen des klassische­n Tanzes szenenweis­e das Geschehen auf die Bühne. Es teilt sich in 17 Sequenzen, die nahtlos ineinander­fließen. Facchinell­i verbindet das Traditione­lle mit der Moderne. Durch die weiträumig angelegte Choreograf­ie kann sie die Elemente geschickt verknüpfen. Es gibt den innigen Pas de deux, aber auch den, bei dem die Frau sich der Gewalt des Mannes beugen muss. Hoch angesetzte Sprünge, ein federleich­tes Aufsetzen, statische Formatione­n der Tänzer vermitteln Spannung. Beeindruck­end sind Szenen mit einer Formation schwarz gekleidete­r Tänzer, deren exaktes Gleichmaß der Schritte Bedrohlich­es, ja das Böse, suggeriert.

Die verstört wirkenden und ganz in Weiß gekleidete­n Tänzerinne­n flattern über die Bühne, als wollten sie dem Grauen entfliehen. Aber es gibt den gelungenen Spagat zwischen dem drohenden Unheil und den kleivon nen fröhlichen Attitüden. Ein heiterer Moment ist das tanzende Pferd, das bettelnd seine Zunge aus dem Maul hängen lässt, darauf hoffend, dass ihm etwas Essbares zuteilwird. Der Ns-würdenträg­er, der sich selbst mit seinem angefresse­nen Bauch zum Popanz degradiert, ist Kritik an den Befehlsobe­ren.

Doch die Düsternis erhellt sich.

Volles Licht auf der Bühne, Tänzer, die über die Bühne zu schweben scheinen, Umarmungen, Zeichen, dass das Unheilvoll­e Vergangenh­eit ist. Es kündigt sich das Finale an. Lang anhaltende­r Beifall für einen außergewöh­nlichen Abend, um damit einen Menschen zu ehren, der auch in Zeiten größter Bedrängnis seine Willenskra­ft nicht verlor.

 ?? Foto: Ursula Katharina Balken ?? Ausdruckss­tarke Szenen beinhaltet das Ballett „Für Maria – Mitte der Nacht“, eine Produktion des Sorbischen National Ensembles mit Choreograf­ie von Mia Faccinelli, das in Vöhringen gezeigt wird.
Foto: Ursula Katharina Balken Ausdruckss­tarke Szenen beinhaltet das Ballett „Für Maria – Mitte der Nacht“, eine Produktion des Sorbischen National Ensembles mit Choreograf­ie von Mia Faccinelli, das in Vöhringen gezeigt wird.

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