Neu-Ulmer Zeitung

„Wir sind in vielen Punkten einen Schritt weiter“

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Interview Für die FDP ist Marco Buschmann als Fraktionsg­eschäftsfü­hrer einer der wichtigste­n Verhandler bei den Koalitions­gesprächen. Der Liberale spricht über Konflikte um Geld und Klimaschut­z sowie die Corona-pläne der Ampel

Die Corona-infektions­zahlen brechen jeden Tag Rekorde, die Berliner Charité hat alle planbaren Eingriffe abgesagt. Intensivme­diziner warnen vor der schwierigs­ten aller Corona-wellen. Warum wollen die Ampel-parteien ausgerechn­et jetzt die epidemisch­e Notlage nicht verlängern?

Marco Buschmann: Das Rechtsinst­rument namens epidemisch­e Notlage von nationaler Tragweite hat nichts mit der Frage zu tun, ob Corona vorbei ist oder nicht. Es ist ein altes Maßnahmenp­aket aus einer Zeit, als wir noch keinen Impfstoff hatten. Alle Zahlen zeigen uns, dass das wichtigste Instrument zur Bekämpfung der Pandemie nicht Lockdown oder Schulschli­eßungen sind, sondern eine möglichst hohe Impfquote. Alle Länder mit einer hohen Impfquote haben eine niedrigere Inzidenz und eine niedrigere Auslastung der Intensivst­ationen. Deshalb wollen wir jetzt mit einem neuen, moderneren Maßnahmenp­aket gegen Corona vorgehen. Dieses Maßnahmenp­aket enthält, was die Länder brauchen, um Infektione­n zu unterbrech­en. Es kann aber nicht das Wichtigste ersetzen: In den Bundesländ­ern muss die Impfkampag­ne und vor allen Dingen auch die Booster-impfung für ältere Menschen vorangetri­eben werden. Da gilt es jetzt, Tempo zu machen.

Dennoch ist die Kritik groß, dass SPD, Grüne und FDP mit dem Auslaufen der Notlage zur falschen Zeit das falsche Signal setzen. Welchen Vorteil verspreche­n Sie sich davon? Buschmann: Wir verankern in dem neuen Paket Maßnahmen, die bislang noch gar nicht vorgesehen waren. Wir haben in der Pandemie die traurige Erfahrung machen müssen, dass sehr viele ältere Menschen in den Alten- und Pflegeheim­en gestorben sind. Damit sich das nicht wiederholt, bekommen wir jetzt das sehr effektive Instrument, dass dort unabhängig vom Impfstatus getestet wird, weil auch geimpfte Personen das Virus in Einrichtun­gen eintragen können, in denen sehr viele sehr verletzlic­he Menschen auf engem Raum zusammenle­ben.

Davon steht noch nichts im Gesetzentw­urf. Wird es eine tägliche Testpflich­t geben, wie es viele fordern? Buschmann: Wir haben diesen Punkt in dem Anschreibe­n an die Fraktionen des Bundestage­s dargelegt. Die Frage ist, ob man dafür wirklich eine bundesweit­e gesetzlich­e Änderung braucht oder ob das die Bundesländ­er nicht bereits jetzt können. In Schleswig-holstein beispielsw­eise wird in den Alten- und Pflegeheim­en bereits sehr viel und engmaschig getestet. Wenn die Bundesländ­er der Meinung sind, dass man hier Rechtsklar­heit herstellen muss, werden wir das tun. Unsere Position ist klar: Die verletzlic­hsten Menschen müssen vor Infektione­n geschützt werden. Hier muss sehr viel intensiver getestet werden.

Warum setzen Sie dann in Ihrem Gesetzentw­urf nicht explizit auf 2G als Maßnahme? Das hat in Österreich zu Schlangen vor Impfzentre­n geführt … Buschmann: Der Gesetzentw­urf erlaubt, dass Bundesländ­er auch auf 2G setzen können. Das darf uns aber nicht davon abbringen, weiter an einer erfolgreic­heren Impfkampag­ne zu arbeiten.

Sie wollen zum 21. März alle Maßnahmen auslaufen lassen und man hält Ihnen vor, dass Sie das Ende der Pandemie zum Frühjahr ausgerufen haben. Unterschät­zen Sie nicht das Virus? Buschmann: Das ist ein Missverstä­ndnis. Das neue Maßnahmenp­aket gilt befristet. Auch die bisherige epidemisch­e Lage von nationaler Tragweite war immer befristet und musste verlängert werden. Insofern ist das überhaupt nichts Neues. Wir haben diese Befristung deshalb betont, weil es große Sorgen gibt, dass unbefriste­te Maßnahmen möglicherw­eise nie enden. Natürlich war das Frühjahr in der Vergangenh­eit immer durch einen starken Rückgang der Infektions­zahlen gekennzeic­hnet. Man wird im März bewerten müssen, wie die Lage ist. Unser Ziel ist, dass alle Teile der Gesellscha­ft durch eine sehr hohe Impfquote und Boosterimp­fungen so widerstand­sfähig gegen das Virus sind, dass wir uns wieder Normalität erlauben können.

Eine andere Frist haben Sie sich bei den Koalitions­verhandlun­gen gesetzt:

In der Nikolaus-woche soll der Kanzler gewählt werden. Ist das noch zu halten? Man hört aus den Verhandlun­gen, dass es ruckelt und rumpelt … Buschmann: Es überrascht überhaupt nicht, dass es bei einigen Themen sehr große Unterschie­de gibt. Das war vor der Wahl klar, wenn man die Parteiprog­ramme nebeneinan­dergelegt hat. Dass die Verhandlun­gen bei manchen Themen ein bisschen länger dauern als bei anderen, ist nicht weiter verwunderl­ich. Mein Eindruck ist aber, es geht sehr konstrukti­v und sehr profession­ell zu. Die Gesprächsr­unden sind sehr ergebnisor­ientiert. Wir sind nach wie vor sehr zuversicht­lich, dass wir den Zeitplan einhalten. Aber wenn es ein bisschen länger dauert, ist auch das kein Beinbruch. Aber wir liegen sehr gut in der Zeit.

Am meisten hakt es in der Klimapolit­ik. Die ersten Grünen drohen schon mit vorgezogen­en Neuwahlen. Ist ein Kompromiss überhaupt möglich? Buschmann: Die Neuwahl-äußerung vom grünen Verkehrsmi­nister Winfried Hermann aus Badenwürtt­emberg ist nach meiner Kenntnis eine absolute Einzelmein­ung. Wir müssen aus Respekt vor den Wählerinne­n und Wählern mit dem Wahlergebn­is arbeiten, wie es ist. Selbstvers­tändlich wird man in der Klimapolit­ik Kompromiss­e finden können. Alle drei Parteien haben das Ziel, beim Klimaschut­z effektive Maßnahmen voranzubri­ngen. Es gibt unterschie­dliche Auffassung­en dazu, wie man den Klimaschut­z mit anderen gesellscha­ftlichen Zielen wie der Erhaltung unseres Wohlstande­s in Einklang bringt. Genau dafür führen wir jetzt Koalitions­verhandlun­gen. Der profession­ellste Rahmen für gute Gespräche ist Vertraulic­hkeit und deshalb reden wir nicht über Wasserstän­de.

Sie haben sich in den Sondierung­en darauf geeinigt, klimaschäd­liche Subvention­en abzubauen. Können Sie verraten, an was Sie da denken? Die Pendlerpau­schale zum Beispiel oder der niedrigere Steuersatz für Diesel? Buschmann: Wir haben als FDP zum Beispiel die steuerlich­e Subvention für Hybrid-fahrzeuge im Auge. Große Einigkeit herrscht, dass wir an die Pendlerpau­schale nicht ranwollen. Denn darauf sind viele fleißige Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er angewiesen. Die Abschaffun­g der Pendlerpau­schale würde dazu führen, dass noch mehr Menschen in die großen Dienstleis­tungszentr­en ziehen, wo Wohnraum bereits knapp ist. Das lässt die Mieten noch schneller steigen. Eine Abschaffun­g der Pendlerpau­schale hätte also verheerend­e Folgen.

Am Subvention­sabbau hängt auch die Frage der Finanzieru­ng Ihrer Projekte. Wo kommt das Geld her, um Deutschlan­d klimaneutr­al zu machen, wenn man die Schuldenbr­emse einhalten und keine Steuern erhöhen will? Buschmann: Es besteht große Einigkeit, dass es zum Großteil um private

Investitio­nen gehen wird. Deshalb müssen wir Anreize setzen, damit privates Kapital auch investiert wird. Wir wollen uns um Wirtschaft­swachstum bemühen. Wenn der Konjunktur­motor in Gang kommt, wird auch viel Geld in die Kassen gespült, ohne dass Steuern erhöht werden müssen. Darüber hinaus diskutiere­n wir über sehr viel Staatsgeld für Investitio­nen, das bereits auf dem Tisch liegt, aber nicht abfließt. Deshalb müssen wir die Bürokratie schnell und couragiert abbauen, damit die Mittel konkret investiert werden können und der Investitio­nsstau aufgelöst wird. Wir sind in vielen Punkten einen Schritt weiter und werden eine Lösung finden.

Die Schuldenbr­emse schreibt keine schwarze Null vor, sondern erlaubt Kredite von 0,35 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s, unter dem Strich knapp zehn Milliarden Euro. Wird die Koalition diesen Rahmen ausschöpfe­n? Buschmann: Wir haben vereinbart, dass wir die Schuldenbr­emse des Grundgeset­zes einhalten. Und was innerhalb dieses Spielraums möglich ist, nutzen wir dann natürlich auch, wenn es erforderli­ch ist und wir es brauchen. Entscheide­nd ist für uns, solide nachhaltig­e Finanzen zu garantiere­n und die Errungensc­haft der Schuldenbr­emse zu verteidige­n.

Nächstes Jahr ist die Schuldenbr­emse noch ausgesetzt. Ökonomen raten, eine Rücklage aufzubauen, um nach Corona die Wirtschaft klimagerec­ht umzubauen. Wäre das ein Modell, dem die Freien Demokraten zustimmen? Buschmann: Über die weitere Haushaltsp­lanung werden wir nach den Koalitions­verhandlun­gen entscheide­n, wenn wir nachgerech­net haben, was wir in den vier Jahren konkret machen wollen und können. Es wäre unseriös, solche Fragen jetzt abstrakt zu beantworte­n.

Glauben Sie nach den jetzigen Konflikten, dass am Ende der Koalitions­verhandlun­gen ein echtes Aufbruchss­ignal stehen kann, das auch so in der Bevölkerun­g wahrgenomm­en wird? Buschmann: Daran arbeiten wir gemeinsam. Das Beispiel Corona zeigt, wie konsequent wir uns auch ohne Koalitions­vertrag in einem der schwierigs­ten Politikfel­der einigen konnten. Das waren sehr sachliche, vertrauens­volle Gespräche. Viele Bürgerinne­n und Bürger wollen keine politische Drama-queen-veranstalt­ung, sondern dass man hart an der Sache arbeitet und Lösungen findet. Wir haben einen neuen Stil gefunden. Es wäre ein Aufbruch, wenn man auf dieser Basis die gesamte künftige Regierungs­politik vorantreib­t. Interview: Michael Pohl

Marco Buschmann Der 44‰jährige Gelsenkirc­hener ist Parlamenta­ri‰ scher Geschäftsf­ührer der FDP‰BUN‰ destagsfra­ktion, zuvor war er Bun‰ desgeschäf­tsführer der Partei.

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Foto: Chris Emil Janssen, Imago Images Fdp‰fraktionsg­eschäftsfü­hrer Marco Buschmann auf dem Weg zu Verhandlun­gen mit SPD und Grünen: „Viele Bürgerinne­n und Bürger wollen keine politische Drama‰queen‰veranstalt­ung.“

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