Die Angst des Handels vor der vierten Welle
Einkaufen Corona wirkt wie ein Brandbeschleuniger für den Strukturwandel der Innenstädte. Vor allem in den Großstädten brechen die Ladenmieten ein. Ausgerechnet vor dem Weihnachtsgeschäft könnte es noch dicker kommen
Augsburg Man hat sich daran gewöhnt, dass München an der Spitze steht, wenn es um Immobilienpreise geht. Doch diese Statistik ist anders: Laut dem jüngsten Gewerbepreisspiegel des Immobilienverbands IVD sind die Einzelhandelsmieten in der Landeshauptstadt im vergangenen Jahr um fast 27 Prozent gesunken – so stark wie in keiner anderen deutschen Stadt. Stuttgart folgt mit 20 Prozent Rückgang auf Platz zwei, in Berlin und Düsseldorf waren bei Neuverträgen gut zwölf Prozent weniger fällig.
Die Ladenmieten gehen bundesweit zurück und das schon seit einigen Jahren. Doch die Corona-krise hat den Trend verstärkt, Ladenschließungen und Kontaktbeschränkungen wirken wie ein Brandbeschleuniger auf die mitten in einem Strukturwandel steckenden Innenstädte. Im Bundesdurchschnitt lag die Leerstandsquote in den Innenstädten im Sommer 2021 bei rund 20 Prozent, berichtet der IVD. Doch unter den von dem Verband befragten Immobilienunternehmen gaben 77 Prozent an, dass sich der Leerstand in den vergangenen acht Monaten weiter erhöht hat.
Wie unterschiedlich die Lage ist, zeigt ein Blick in die Region. Thomas Deiser, Chef des Ingolstädter Stadtmarketing-vereins In-city, bestätigt, dass der Leerstand zugenommen hat, auch in guten Lagen. Allerdings hat vor allem ein Fall die Situation verschärft: „Seit der Kaufhof-pleite und der Schließung des Standorts in der Innenstadt haben wir dort nur auf die Verkaufsfläche bezogen einen Leerstand von 40 Prozent“, sagt Deiser, der selbst ein Schuhgeschäft führt. Er glaubt nicht an ein Zurück in alte Zeiten. „So große Flächen werden von Filialisten derzeit nicht gebucht“, sagt Deiser.
Laut IVD sind die Mietpreise für Ladengeschäfte in Ingolstadt vor al
in den Randlagen gesunken. 16 Euro pro Quadratmeter werden bei Läden bis 60 Quadratmeter Fläche nun aufgerufen. Vor der Krise waren es rund 18 Euro. In Top-lagen sind rund 22,50 Euro fällig im Vergleich zu 25 Euro im Herbst 2016. In dem Gebäude, in dem früher C&A eine Filiale in der Stadt unterhielt, sind nun zwar Untergeschoss und Erdgeschoss wieder belegt. Vielleicht tue sich auch noch etwas für den ersten Stock. „Aber im Rest wird nie wieder Einzelhandel sein“, sagt Deiser. Doch wie können solche Flächen anders genutzt werden?
Der Verband IVD fordert, das Baunutzungsrecht zu ändern, damit Vermieter Einzelhandelsflächen in Wohnraum umwandeln können. „Der Leerstand in vielen Innenstädten – insbesondere in B- und Nebenkernlagen und in Klein- und – ist kein vorübergehendes Phänomen“, erklärt Ivdpräsident Jürgen Michael Schick in einer Mitteilung dazu. Doch das ist nicht so einfach. „Immobilien, die für den Einzelhandel gebaut wurden, haben in der Regel große Flächen, wenige Wände und wenig Fenster. Das passt nicht zu Büros oder Wohnungen“, sagt Deiser. Werden zu viele Flächen umgenutzt, droht die Innenstadt für Besucher uninteressant zu werden. „Die Innenstadt kann nicht nur von den Bewohnern der Stadt leben“, sagt er.
Wenn Innenstädte veröden, ist das nicht nur ein Problem für die Händler. Immobilien, die nicht vermietet werden können, verlieren an Wert. Bestehen Leerstände länger, wird es immer schwieriger, sie zu beseitigen. Verfallen die Immobilien, leidet die Attraktivität der Nachbarlem schaft, es droht eine Abwärtsspirale. Wolfgang Puff, Chef des Bayerischen Handelsverbands, sieht die Städte vor extremen Herausforderungen stehen. „Die meisten Probleme werden die bekommen, die jetzt schon schwach sind. Wieder auf die Füße zu kommen, wird für sie ganz schwer“, sagt er. Aber auch Städte, die gut dastehen, müssten weiter daran arbeiten, attraktiv zu bleiben. Es gehe nur im Zusammenwirken von Städten, Eigentümern, Handel und Gastronomie, ist sich Puff sicher. Das sei nicht immer einfach. Doch in den vielen, oft historisch geprägten Mittelstädten Bayerisch-schwabens drohten sonst Leerstände, die gar nicht mehr vermietet werden könnten. „Vielleicht muss man Flächen auch mal zusammen mit dem Nachbarn entwickeln, weil sie sonst zu klein sind. Dabei muss dann aber zum Beispiel der Denkmalschutz mitspielen. Es sind viele komplexe Themen und nicht alle Entwicklungen der Vergangenheit lassen sich von heute auf morgen umkehren“, sagt Puff.
Von einer guten Basis aus kann man diese Entwicklungen in Kempten angehen, ist Niklas Ringeisen, Leiter des dortigen City-managements überzeugt. Allerdings sagt auch er: „Die Preise für Neuvermietungen fallen um 20 bis 25 Prozent.“Momentan habe die Innenstadt eine Leerstandsquote von nur sechs bis sieben Prozent. Doch anders als früher gebe es nun durchaus Leerstand in A-lagen, der über Monate andauere. Der Handel verliert an Bedeutung für die Innenstädte, dafür werden andere Nutzungsformen wichtiger, das beobachtet auch er. Die Menschen kommen nicht unbedingt zum Einkaufen in die Stadt, sondern für kulturelle Angebote, um die Gastronomie zu besuchen oder häufiger auch wieder, um dort zu arbeiten. Darauf müssten sich auch die Eigentümer einstellen und ihre Pläne für die Immobilie hintermittelstädten fragen, sagt der City-manager. Das Wiederaufflammen von Corona könnte die Lage verschärfen. Denn wie schon im vergangenen Jahr explodieren die Infektionszahlen vor Weihnachten – in der umsatzstärksten Zeit des Handels. In Kempten herrscht längst Corona-warnstufe Rot. Am Donnerstag wurde nach dem Weihnachtsmarkt nun auch die Einkaufsnacht am 27. November abgesagt. „Schon seit Montag ist die Frequenz in der Innenstadt deutlich zurückgegangen. Es könnte eng werden für viele Geschäfte“, warnt Ringeisen.
Augsburg hält bislang am Christkindlesmarkt fest. Aber auch bei Stephan Mayr von der Wirtschaftsförderung der Stadt häufen sich die Anfragen besorgter Händler. „Die Angst ist da“, sagt er. Der Markt werde von vielen Händlern herbeigesehnt. Corona hat das Leerstandsproblem seiner Beobachtung nach nicht verschärft. Und andere Entwicklungen machen ihm Mut für die größte Stadt in Schwaben. Bei zwei Ausschreibungen der Stadt für Ladengeschäfte habe es jüngst eine ganze Reihe sehr guter Bewerber gegeben. Der Großstadtbonus hilft Augsburg aber auch noch anders. Händler, die bisher nur im Internet aktiv waren, suchen Flächen, um sich stationär zu präsentieren. Für sie ist Augsburg attraktiver als kleinere Städte. Laut den Ivd-zahlen liegen die Mieten für Toplagen in Augsburg derzeit bei rund 58 Euro pro Quadratmeter, bei B-lagen bei 21,50 Euro. Sinkende Mieten böten die Chance, dass die Innenstädte wieder individueller werden, sagt Mayr. Die hohen Mieten früherer Jahre hätten vor allem größere Ketten bezahlen können. Mit dem Erstarken des Onlinehandels sei das aber schon vor Corona immer weniger rentabel geworden. „Die Eigentümer waren lange Zeit verwöhnt. Das Umdenken muss erst stattfinden“, sagt Mayr.