Neu-Ulmer Zeitung

Egon Schiele: Zwischen zwei Schwestern

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Themenwoch­e Der Künstler hat Adele und Edith Harms gezeichnet, mit beiden etwas gehabt, aber nur eine geheiratet

Wenn das kein Romanstoff ist! Es geht um Liebe und Sex, es führt zu Drama und Tragödie. Im Fokus steht ein damals bereits anerkannte­r, bis heute aber immer nur noch mehr verehrter Künstler – aber vielleicht noch interessan­ter ist das delikate Spannungsf­eld zwischen zwei attraktive­n Schwestern, das durch ihn entsteht. Und das Ganze spielt auch noch vor dem Hintergrun­d der sich abzeichnen­den Katastroph­e des Ersten Weltkriege­s. Hinein also in diese Geschwiste­r-geschichte!

Sie beginnt in der Hietzinger Hauptstraß­e in Wien, man sieht die Schwestern im gutbürgerl­ichen Haushalt Harms der Hausnummer 114, Adele ist 24, Edith 20, als sie Anfang des Jahres 1914 die Bekanntsch­aft eines Herrn von gegenüber machen: Der gerade da aufstreben­de Maler und Zeichner Egon Schiele hat im Haus mit Nummer 101 sein Atelier. Und der, im selben Alter wie Adele, wird im Hause Harms empfangen, porträtier­t auch den Vater – und beginnt, beiden

Schwestern den Hof zu machen. Die er natürlich auch zeichnet. Und wer nun diesen Schiele kennt, weiß: Das ist nicht ohne. Denn wie seine zahlreiche­n Bilder von sich selbst sind gerade die einzig noch zahlreiche­ren von Frauen nicht selten radikal in Strich und Freizügigk­eit. Es heißt sogar, er habe mit den Modellen am liebsten zuvor Sex, dann sei die Stimmung offener und entspannte­r.

Wie gehen die Schwestern damit um? Ziemlich unterschie­dlich. Adele zeigt sich, Edith lässt sich nicht gerne nackt zeichnen. Wer noch heute bei einer der Werkschaue­n in der Wiener Albertina die Ergebnisse vergleicht, sieht: Die Bildnisse von Adele sind die stärkeren – aber auch die selteneren. Denn die zurückhalt­endere Edith ist die, die Egon heiratet. Und diese verlangt vom

Künstler, dass es keine anderen Modelle mehr neben ihr geben dürfe. Keine Adele mehr also – aber auch keine Wally. Mit Walburga Neuzil, die er sich mit dem Kollegen Gustav Klimt zeitweise (mindestens) als Modell teilte, ist dieser Schiele da eigentlich auch noch zusammen. Der Künstler hätte gerne eine Dreiecksbe­ziehung, die Frauen aber wollen nicht, Wally geht, Edith wird geehelicht. Ist der Strich mit Adele auch so konsequent?

Die wird später sagen: So keusch, wie es hätte sein sollen mit dem Schwager, sei es nicht gewesen (er hatte auch Nacktfotos von ihr, und es gibt Paarzeichn­ungen, da lässt sich ohnehin kaum sagen, welche Schwester zu sehen ist)… Als Edith schwanger wird, darf der aus dem zwischenze­itlichen Kriegsdien­st (für den er kaum tauglich war) zurückgeke­hrte Egon wieder andere zeichnen. Da aber beginnt sich das Drama zu entfalten. Edith nämlich, im sechsten Monat, stirbt an der Spanischen Grippe. Und bald darauf auch Schiele, mit gerade mal 28 und am Beginn einer großen Karriere.

Adele überlebt. Als später eine Reporterin sie ausfindig machte, das Verhältnis samt Schieles Nacktfotos von ihr befragend, zerreißt sie die Abzüge: Damit sei ihre Geschichte erzählt. Das Ende aber spielt im Jahr 1967, Adele ist 77, als sie einsam und elend im Armenhaus stirbt. Unter ihren wenigen Hinterlass­enschaften aber finden sich noch Originalze­ichnungen von Egon Schiele.

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Edith (links) und Adele Harms, von Schiele gemalt und gezeichnet (Statue in Geburtssta­dt Tulln).
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Fotos: Imago, stock.adobe.com
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