„Ich bin niemand, der eine klare Position scheut“
Interview Von „Nächten mit Bosch“zum „Besten aus aller Welt“: Seit 1990 schreibt Axel Hacke Kolumnen für das Sz-magazin, seine Bücher sind Bestseller. Bald liest er im Ulmer Roxy – und spricht zuvor mit der Neu-ulmer Zeitung
Ulm Seine Kolumnen sind die Konstante im Magazin der Süddeutschen Zeitung: Zuerst schrieb Axel Hacke dort über seine Familie und seinen eisigen Mitbewohner Bosch, den sprechenden Kühlschrank. Bald aber knöpfte er sich die ganze Welt vor, in seinen geistreichen, fantasie- und humorvollen Texten. Vor seiner Lesung in Ulm teilt er im Gespräch seine Gedanken, über Anstand und Missverständnisse, über lustige Leserpost aus Schwaben – und darüber, was ein Kolumnist eigentlich ist.
Herr Hacke, die Legende besagt, dass Sie erst relativ kurzfristig entscheiden, welche Texte Sie an einem Abend für Ihr Publikum lesen. Wie komponiert Axel Hacke den perfekten Abend? Hacke: Es ist wirklich so, dass ich mir oft erst auf der Bühne überlege, was ich lese. Einen groben Leitfaden habe ich natürlich, aber man muss ja auch ein Gefühl für die Stimmung im Saal entwickeln. Und ich will mich nicht selbst langweilen auf der Bühne. Würde ich in einer Woche fünfmal hintereinander das gleiche Programm abspulen, wäre das auch für mich öde. Wenn ich aber einen kleinen Schnitt wage und sage: So, jetzt versuche ich etwas, was ich überhaupt noch nie gemacht habe – dann ist das auch für mich gut. Da kehrt die Körperspannung zurück.
Wenn Sie durch Ihre Archive blättern, erleben Sie manchmal Aha-momente: Ach, diesen Text habe ich geschrieben? Daran kann ich mich nicht erinnern. Hacke: Ich blättere nicht so wahnsinnig oft in meinem Archiv, und natürlich vergisst man vieles eigene Geschriebene. Das ist ja manchmal auch gnädig, denn man vergisst ja eher die schlechten Dinge, die nicht so gelungen sind, oder? Aber komisch, es gibt immer irgendjemanden, dem gerade das besonders gefallen hat, weil es ihn in einer bestimmten Lebenssituation berührt hat. Manchmal fragen mich Leser sogar, ob ich ihnen einen ganz bestimmten Text zusenden kann, weil sie ihn nicht mehr finden. Das mach ich dann auch.
Was ist das eigentlich, ein Kolumnist? Wie definieren Sie Ihre Rolle?
Hacke: Ein Kolumnist ist jemand, der regelmäßig schreibt, an derselben Stelle und in derselben Form sich äußert. Eine Kolumne ist eine Säule im Dasein für viele Menschen, auf die sie sich verlassen können müssen. Deswegen finde ich es auch nicht gut, wenn eine Kolumne Urlaub hat, drei Wochen im Sommer, noch zwei um Weihnachten. Nein, sie muss wirklich immer da sein. Im Übrigen definiere ich das für mich persönlich so: Ein Kolumnist ist jemand, der sich dem Weltgeschehen aussetzt, es auch reflektiert und spiegelt und verwandelt und mit seiner Fantasie verarbeitet. So eine Kolumne, wie ich sie schreibe, die sich potenziell mit allem beschäftigen kann, soll ganz bewusst durchs Leben begleiten. Ich wüsste ja
nicht mehr, wie mein Leben eigentlich ist, ohne meine Kolumne.
In ihrem neuen Buch „Im Bann des Eichelhechts“geht es wieder um ulkige Missverständnisse, Übersetzungsfehler, die eine eigene Sprachpoesie entwickeln. Haben Missverständnisse zu Unrecht einen miesen Ruf? Sollten wir liebevoller mit ihnen umgehen?
Hacke: Es ist das Menschlichste überhaupt, dass man sich nicht richtig versteht. Das passiert uns manchmal in sehr ernsthafter Weise, in unseren persönlichen Beziehungen, und dann passiert es eben auch auf so eine lustige Art. Wie in den Geschichten, um die es im „Eichelhecht“geht, oder in den „Wumbaba“-büchern. Natürlich ist es wichtig, dass man da gnädig ist, denn ohne Missverständnisse geht es nun einmal im Leben nicht. Das ist vielleicht auch die Botschaft dieser Bücher. Es ist nicht so schlimm, sich misszuverstehen, und man kann daraus sogar ein Spiel machen.
In Zeiten von Shitstorms und überhitzten Corona-debatten: Es scheint so, dass wir als Gesellschaft mit Missverständnissen, fehlschlagender Kommunikation immer schlechter umgehen?
Hacke: Das sieht man ja jeden Tag. Wir leben in teilweise von Hass zersetzten Zeiten. Das hat etwas mit den sozialen Medien zu tun, mit der Dynamik des Internets, mit den Schwierigkeiten dieser Zeit, dass Hass so eine Dominante im Alltagsleben geworden ist. Das ist ein Phänomen, das auch politisch benutzt wird. Das tun die Rechtsradikalen heute und das haben die Nazis schon getan. Diese Menschen versuchen, eine Gesellschaft mit Hass kaputtzumachen, um sich dann ihrer zu bemächtigen. Und genau das wird im Moment gerade wieder probiert.
Hat Sie schon einmal Hass getroffen? Hacke: Ich bin niemand, der eine klare Position scheut. Trotzdem bin ich damit noch relativ wenig konfrontiert worden. Wenn es passiert, dann schreibe ich auch zurück, einmal in der Regel. Wenn mir jemand blöd kommt, antworte ich, dass ich gerne über alles Mögliche diskutiere, aber dass wir uns bitteschön auf einen normalen menschlichen Umgangston einigen müssen. In der Regel kommt dann eine Entschuldigung zurück: „Ich wusste gar nicht, dass Sie das überhaupt lesen, tut mir leid“, und so kommt man ins Geauch spräch. Es gibt wirklich Rechtsradikale, üble Pöbler, und es gibt jene, die denken, da ist ja gar kein Mensch am anderen Ende. Manchmal sind die Leute sogar schockiert, wenn sie eine Antwort erhalten.
2017 erschien Ihr Buch „Über den Anstand in schwierigen Zeiten“. Haben Sie das Gefühl, das war vielleicht sogar drei Jahre zu früh?
Hacke: Nein, das war schon richtig so. Damals war Trump gerade zum amerikanischen Präsidenten gewählt worden, das war der Anlass für dieses Buch. Damals ging diese Entwicklung so richtig los – und es ist seitdem nicht besser geworden. Man vergisst dabei fast, dass die meisten Menschen sehr reflektiert und sehr vernünftig und oft bewusst respektvoll und anständig mit anderen umzugehen versuchen. Ich finde es wahnsinnig wichtig, dass man sich gerade in dieser Zeit bewusst macht, dass dieser Hass, mit dem viele Menschen ja überzogen und bedroht werden, wirklich nur ein Ausschnitt unserer Welt ist. Aber die laute Minderheit dominiert über die sozialen Medien. Das ist so, als ob ein nur kleiner Teil der Bevölkerung immerzu Krach macht, aber mit Vuvuzelas und Megafonen. Da kommen Sie nicht drüber, genau das ist das Phänomen.
Sie waren lange Reporter mitten im Geschehen, berichteten von der Wende, porträtierten Menschen wie Wolfgang Joop. Warum haben Sie entschieden: Jetzt erobere ich mir die Welt nur noch mit Kolumnen und Büchern? Hacke: Kolumnen und Reportagen, das hat sich bei mir zehn Jahre lang überschnitten. Irgendwann habe ich aber als Reporter das Gefühl gehabt, dass ich nicht mehr die nötige Neugier dafür aufbringe. Ich wollte auch nicht mehr so viel verreisen. Man muss ja als Reporter manchmal von jetzt auf gleich aufbrechen, und ich hatte dazu keine Lust mehr, auch aus familiären Gründen. Der Grund fürs Aufhören war also nicht die Kolumne. Ich wollte Bücher schreiben, die weder Reportagen- noch Kolumnensammlungen sind. Ich wollte mehr an meinen eigenen Projekten arbeiten und mir nicht mehr von irgendjemanden erzählen lassen, was ich zu tun habe. Das war der entscheidende Punkt, weshalb ich mich vor mehr als 20 Jahren selbstständig gemacht habe.
Sie erhalten Leserpost aus ganz Deutschland und über die Grenzen hinaus. Vor allem sind es witzige Beobachtungen aus dem Alltag, von Urlaubsreisen. Was bedeutet Ihnen das? Hacke: Es ist ganz einfach ein Vergnügen, diese Post zu bekommen. Einmal weil es lustig ist, was diese Menschen mir schicken, und auch weil mich diese Zuschriften wahnsinnig rühren. Menschen, die ich überhaupt nicht kenne, sitzen im Urlaub beim Essen vor der Speisekarte oder kommen an irgendeinem skurrilen Schild vorbei und fotografieren es, und denken dabei: Das schick ich dem Hacke! Das finde ich phänomenal. Es rührt mich, dass die Leute so an mich denken, dann denke ich auch an sie und so entsteht die Verbundenheit.
Können Sie sich an eine Lieblingszuschrift aus Schwaben erinnern?
Hacke: Oh, da erwischen Sie mich so spontan auf dem falschen Fuß.
Ich gebe Ihnen ein Stichwort: „Einweinen“. Diese Wortentdeckung hat Ihnen ein Mann aus Ulm zugesandt. Das steht in Ihrem Eichelhecht-buch. Hacke: Richtig, das Einweinen ist ein besonders schönes Wort. Dabei war bei diesem Text, den der Leser entdeckt hatte, einfach nur „einweihen“falsch geschrieben worden. Doch ich habe dem Wort nachrecherchiert. Hildegard Knef, die sich ihr Gesicht ein wenig hat straff ziehen lassen, hat einmal gesagt: So ein verändertes, neues Gesicht, müsse erst einmal eingelacht und eingeweint werden. Das finde ich schön, dass man manches im Leben auch erst einmal einweinen muss.
Axel Hacke liest am 30. November, 20 Uhr, im Ulmer Roxy (www.roxy.ulm.de).