Neu-Ulmer Zeitung

„Ich bin niemand, der eine klare Position scheut“

- VON VERONIKA LINTNER

Interview Von „Nächten mit Bosch“zum „Besten aus aller Welt“: Seit 1990 schreibt Axel Hacke Kolumnen für das Sz-magazin, seine Bücher sind Bestseller. Bald liest er im Ulmer Roxy – und spricht zuvor mit der Neu-ulmer Zeitung

Ulm Seine Kolumnen sind die Konstante im Magazin der Süddeutsch­en Zeitung: Zuerst schrieb Axel Hacke dort über seine Familie und seinen eisigen Mitbewohne­r Bosch, den sprechende­n Kühlschran­k. Bald aber knöpfte er sich die ganze Welt vor, in seinen geistreich­en, fantasie- und humorvolle­n Texten. Vor seiner Lesung in Ulm teilt er im Gespräch seine Gedanken, über Anstand und Missverstä­ndnisse, über lustige Leserpost aus Schwaben – und darüber, was ein Kolumnist eigentlich ist.

Herr Hacke, die Legende besagt, dass Sie erst relativ kurzfristi­g entscheide­n, welche Texte Sie an einem Abend für Ihr Publikum lesen. Wie komponiert Axel Hacke den perfekten Abend? Hacke: Es ist wirklich so, dass ich mir oft erst auf der Bühne überlege, was ich lese. Einen groben Leitfaden habe ich natürlich, aber man muss ja auch ein Gefühl für die Stimmung im Saal entwickeln. Und ich will mich nicht selbst langweilen auf der Bühne. Würde ich in einer Woche fünfmal hintereina­nder das gleiche Programm abspulen, wäre das auch für mich öde. Wenn ich aber einen kleinen Schnitt wage und sage: So, jetzt versuche ich etwas, was ich überhaupt noch nie gemacht habe – dann ist das auch für mich gut. Da kehrt die Körperspan­nung zurück.

Wenn Sie durch Ihre Archive blättern, erleben Sie manchmal Aha-momente: Ach, diesen Text habe ich geschriebe­n? Daran kann ich mich nicht erinnern. Hacke: Ich blättere nicht so wahnsinnig oft in meinem Archiv, und natürlich vergisst man vieles eigene Geschriebe­ne. Das ist ja manchmal auch gnädig, denn man vergisst ja eher die schlechten Dinge, die nicht so gelungen sind, oder? Aber komisch, es gibt immer irgendjema­nden, dem gerade das besonders gefallen hat, weil es ihn in einer bestimmten Lebenssitu­ation berührt hat. Manchmal fragen mich Leser sogar, ob ich ihnen einen ganz bestimmten Text zusenden kann, weil sie ihn nicht mehr finden. Das mach ich dann auch.

Was ist das eigentlich, ein Kolumnist? Wie definieren Sie Ihre Rolle?

Hacke: Ein Kolumnist ist jemand, der regelmäßig schreibt, an derselben Stelle und in derselben Form sich äußert. Eine Kolumne ist eine Säule im Dasein für viele Menschen, auf die sie sich verlassen können müssen. Deswegen finde ich es auch nicht gut, wenn eine Kolumne Urlaub hat, drei Wochen im Sommer, noch zwei um Weihnachte­n. Nein, sie muss wirklich immer da sein. Im Übrigen definiere ich das für mich persönlich so: Ein Kolumnist ist jemand, der sich dem Weltgesche­hen aussetzt, es auch reflektier­t und spiegelt und verwandelt und mit seiner Fantasie verarbeite­t. So eine Kolumne, wie ich sie schreibe, die sich potenziell mit allem beschäftig­en kann, soll ganz bewusst durchs Leben begleiten. Ich wüsste ja

nicht mehr, wie mein Leben eigentlich ist, ohne meine Kolumne.

In ihrem neuen Buch „Im Bann des Eichelhech­ts“geht es wieder um ulkige Missverstä­ndnisse, Übersetzun­gsfehler, die eine eigene Sprachpoes­ie entwickeln. Haben Missverstä­ndnisse zu Unrecht einen miesen Ruf? Sollten wir liebevolle­r mit ihnen umgehen?

Hacke: Es ist das Menschlich­ste überhaupt, dass man sich nicht richtig versteht. Das passiert uns manchmal in sehr ernsthafte­r Weise, in unseren persönlich­en Beziehunge­n, und dann passiert es eben auch auf so eine lustige Art. Wie in den Geschichte­n, um die es im „Eichelhech­t“geht, oder in den „Wumbaba“-büchern. Natürlich ist es wichtig, dass man da gnädig ist, denn ohne Missverstä­ndnisse geht es nun einmal im Leben nicht. Das ist vielleicht auch die Botschaft dieser Bücher. Es ist nicht so schlimm, sich misszuvers­tehen, und man kann daraus sogar ein Spiel machen.

In Zeiten von Shitstorms und überhitzte­n Corona-debatten: Es scheint so, dass wir als Gesellscha­ft mit Missverstä­ndnissen, fehlschlag­ender Kommunikat­ion immer schlechter umgehen?

Hacke: Das sieht man ja jeden Tag. Wir leben in teilweise von Hass zersetzten Zeiten. Das hat etwas mit den sozialen Medien zu tun, mit der Dynamik des Internets, mit den Schwierigk­eiten dieser Zeit, dass Hass so eine Dominante im Alltagsleb­en geworden ist. Das ist ein Phänomen, das auch politisch benutzt wird. Das tun die Rechtsradi­kalen heute und das haben die Nazis schon getan. Diese Menschen versuchen, eine Gesellscha­ft mit Hass kaputtzuma­chen, um sich dann ihrer zu bemächtige­n. Und genau das wird im Moment gerade wieder probiert.

Hat Sie schon einmal Hass getroffen? Hacke: Ich bin niemand, der eine klare Position scheut. Trotzdem bin ich damit noch relativ wenig konfrontie­rt worden. Wenn es passiert, dann schreibe ich auch zurück, einmal in der Regel. Wenn mir jemand blöd kommt, antworte ich, dass ich gerne über alles Mögliche diskutiere, aber dass wir uns bitteschön auf einen normalen menschlich­en Umgangston einigen müssen. In der Regel kommt dann eine Entschuldi­gung zurück: „Ich wusste gar nicht, dass Sie das überhaupt lesen, tut mir leid“, und so kommt man ins Geauch spräch. Es gibt wirklich Rechtsradi­kale, üble Pöbler, und es gibt jene, die denken, da ist ja gar kein Mensch am anderen Ende. Manchmal sind die Leute sogar schockiert, wenn sie eine Antwort erhalten.

2017 erschien Ihr Buch „Über den Anstand in schwierige­n Zeiten“. Haben Sie das Gefühl, das war vielleicht sogar drei Jahre zu früh?

Hacke: Nein, das war schon richtig so. Damals war Trump gerade zum amerikanis­chen Präsidente­n gewählt worden, das war der Anlass für dieses Buch. Damals ging diese Entwicklun­g so richtig los – und es ist seitdem nicht besser geworden. Man vergisst dabei fast, dass die meisten Menschen sehr reflektier­t und sehr vernünftig und oft bewusst respektvol­l und anständig mit anderen umzugehen versuchen. Ich finde es wahnsinnig wichtig, dass man sich gerade in dieser Zeit bewusst macht, dass dieser Hass, mit dem viele Menschen ja überzogen und bedroht werden, wirklich nur ein Ausschnitt unserer Welt ist. Aber die laute Minderheit dominiert über die sozialen Medien. Das ist so, als ob ein nur kleiner Teil der Bevölkerun­g immerzu Krach macht, aber mit Vuvuzelas und Megafonen. Da kommen Sie nicht drüber, genau das ist das Phänomen.

Sie waren lange Reporter mitten im Geschehen, berichtete­n von der Wende, porträtier­ten Menschen wie Wolfgang Joop. Warum haben Sie entschiede­n: Jetzt erobere ich mir die Welt nur noch mit Kolumnen und Büchern? Hacke: Kolumnen und Reportagen, das hat sich bei mir zehn Jahre lang überschnit­ten. Irgendwann habe ich aber als Reporter das Gefühl gehabt, dass ich nicht mehr die nötige Neugier dafür aufbringe. Ich wollte auch nicht mehr so viel verreisen. Man muss ja als Reporter manchmal von jetzt auf gleich aufbrechen, und ich hatte dazu keine Lust mehr, auch aus familiären Gründen. Der Grund fürs Aufhören war also nicht die Kolumne. Ich wollte Bücher schreiben, die weder Reportagen- noch Kolumnensa­mmlungen sind. Ich wollte mehr an meinen eigenen Projekten arbeiten und mir nicht mehr von irgendjema­nden erzählen lassen, was ich zu tun habe. Das war der entscheide­nde Punkt, weshalb ich mich vor mehr als 20 Jahren selbststän­dig gemacht habe.

Sie erhalten Leserpost aus ganz Deutschlan­d und über die Grenzen hinaus. Vor allem sind es witzige Beobachtun­gen aus dem Alltag, von Urlaubsrei­sen. Was bedeutet Ihnen das? Hacke: Es ist ganz einfach ein Vergnügen, diese Post zu bekommen. Einmal weil es lustig ist, was diese Menschen mir schicken, und auch weil mich diese Zuschrifte­n wahnsinnig rühren. Menschen, die ich überhaupt nicht kenne, sitzen im Urlaub beim Essen vor der Speisekart­e oder kommen an irgendeine­m skurrilen Schild vorbei und fotografie­ren es, und denken dabei: Das schick ich dem Hacke! Das finde ich phänomenal. Es rührt mich, dass die Leute so an mich denken, dann denke ich auch an sie und so entsteht die Verbundenh­eit.

Können Sie sich an eine Lieblingsz­uschrift aus Schwaben erinnern?

Hacke: Oh, da erwischen Sie mich so spontan auf dem falschen Fuß.

Ich gebe Ihnen ein Stichwort: „Einweinen“. Diese Wortentdec­kung hat Ihnen ein Mann aus Ulm zugesandt. Das steht in Ihrem Eichelhech­t-buch. Hacke: Richtig, das Einweinen ist ein besonders schönes Wort. Dabei war bei diesem Text, den der Leser entdeckt hatte, einfach nur „einweihen“falsch geschriebe­n worden. Doch ich habe dem Wort nachrecher­chiert. Hildegard Knef, die sich ihr Gesicht ein wenig hat straff ziehen lassen, hat einmal gesagt: So ein veränderte­s, neues Gesicht, müsse erst einmal eingelacht und eingeweint werden. Das finde ich schön, dass man manches im Leben auch erst einmal einweinen muss.

Axel Hacke liest am 30. November, 20 Uhr, im Ulmer Roxy (www.roxy.ulm.de).

 ?? Foto: Thomas Dashuber ?? Axel Hacke hat eine ganze Liste von Bestseller­n geschriebe­n, vor allem seine „Wumbaba“‰bücher sind heißgelieb­t. Jetzt liest er am 30. November im Ulmer Roxy.
Foto: Thomas Dashuber Axel Hacke hat eine ganze Liste von Bestseller­n geschriebe­n, vor allem seine „Wumbaba“‰bücher sind heißgelieb­t. Jetzt liest er am 30. November im Ulmer Roxy.

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