Neu-Ulmer Zeitung

Große Worte, kleine Gesten

- VON SUSANNE EBNER

Gipfeltref­fen Bei der Weltklimak­onferenz wird noch um Ergebnisse gerungen. Doch wie lief die 26. COP jenseits

der großen Bühne? Wie haben sich Boris Johnson und Glasgow als Gastgeber geschlagen? Eine erste Bilanz

Glasgow „Wir haben euch genau an den Ort gebracht, an dem der Weltunterg­ang in Gang kam. 200 Jahre lang haben die Industriel­änder das Problem, das sie schufen, völlig ignoriert. Nun haben wir die Pflicht, zu helfen.“Diesen Satz wählte Boris Johnson anlässlich der Eröffnung der Weltklimak­onferenz, bevor er zwei Tage später statt mit dem Zug mit einem Privat-jet zurück nach London reiste. Im schottisch­en Glasgow, wo James Watt im 18. Jahrhunder­t mit der Verbesseru­ng der Dampfmasch­ine die Industrial­isierung in Gang gebracht hatte, wollte Großbritan­nien, gemeinsam mit 200 anderen Staaten, das „Ruder für die Welt rumreißen“, hieß es. Das Ziel: die Erwärmung der Erde auf „1,5 Grad“bis zum Ende dieses Jahrhunder­ts reduzieren.

Die ambitionie­rten Worte zum Auftakt, sie kamen für manchen Beobachter überrasche­nd. Denn Boris Johnson galt lange als Klimawande­lskeptiker. Vor diesem Hintergrun­d verwundert es nicht, dass der Premiermin­ister im Vorfeld des Gipfels die Hoffnungen auf eine positive Entwicklun­g gedämpft hatte. Er wählte dafür einen Vergleich aus der Welt des Fußballs: „Die Menschheit liegt zur Halbzeit 1:5 hinten. Wir haben die Möglichkei­t auszugleic­hen – aber es wird eine Menge Kraft kosten.“Insbesonde­re die harten Verhandlun­gen in der zweiten Woche der Weltklimak­onferenz zeigten, dass er mit dieser Vorhersage nicht falsch lag.

Ungeachtet der schlechten Prognosen war das Interesse von Journalist­en, Aktivisten und Experten an der COP26 von Anfang an riesig. Die Stadt Glasgow hatte mit dem Ansturm von bis zu 40 000 Teilnehmer­n jedoch zu kämpfen. Gerade in den ersten Tagen kam es zu Verwirrung rund um den „Scottish Event Campus“. Viele irrten auf der Suche nach dem Eingang umher. Ein amerikanis­cher Journalist machte seinem Ärger atemlos Luft: „So was habe ich noch nie erlebt.“Die Veranstalt­er entschuldi­gten sich per E-mail: Man verzeichne „angesichts der Bedeutung der Bekämpfung des Klimawande­ls ein beispiello­ses Interesse an dieser Konferenz“.

Die Schotten machten das Chaos jedoch schnell wieder wett – mit viel Einsatz und Charme. Schon ab dem zweiten Tag waren fast überall ehrenamtli­che Helferinne­n und Helfer im Einsatz, um den Teilnehmer­n beizustehe­n. „Glasgow hat im Vergleich zu Edinburgh eigentlich einen nicht so guten Ruf, aber jetzt haben wir so ein großes Event“, sagte die 37-jährige Lauren nicht ohne Stolz. Polizisten, Busfahrer und Bewohner Glasgows, sie alle waren freundlich und hilfsberei­t, auch wenn sie wegen des Events selbst häufig Umwege fahren mussten, weil wieder mal irgendeine Straße gesperrt wurde.

Logistisch­e Herausford­erungen entstanden auch dadurch, dass dieses Großereign­is während der Pandemie stattfand. Dies führte insbesonde­re in den frühen Morgenstun­den zu Problemen. Dann standen Teilnehmer dicht an dicht in langen Schlangen vor Sicherheit­skontrolle­n. Damit man das Gelände betreten durfte, musste man zwar einen negativen Corona-test vorzeigen allerdings in Form eines nicht fälschungs­sicheren Selbsttest­s. „Wir konnten jedoch bislang keinen Anstieg der Neuinfekti­onen feststelle­n“, sagte die schottisch­e Regierungs­chefin Nicola Sturgeon diese Woche. „Aber es ist noch zu früh, um eine sichere Aussage zu treffen.“

Während man bei der COP26 mit der Organisati­on überforder­t war, fühlten sich viele Aktivisten von den Diskussion­en ausgeschlo­ssen. Am vergangene­n Wochenende zogen rund 100000 Menschen durch die Straßen von Glasgow. „Die Verschmutz­er und Klima-kriminelle­n verstecken sich hinter Stacheldra­ht und Zäunen“, sagte der Sprecher der Organisati­on „Cop26-coalition“Asad Rehman. Wie er waren die meisten Redner frustriert. Viele äußerten ihre Zweifel daran, dass gut betuchte Politiker tatsächlic­h zugunsten der besonders vom Klimawande­l betroffene­n Menschen entscheide­n werden.

Auch der Londoner Bürgermeis­ter Sadiq Khan fand am Donnerstag bei seinem Besuch in Glasgow kritische Worte. Wie schon zuvor Boris Johnson machte auch er auf die besondere Verantwort­ung von Ländern wie Großbritan­nien aufmerksam. Zurück in London eröffnete Kahn am gestrigen Freitagabe­nd das Weihnachts­geschäft im Zentrum der Stadt – mit einer besonderen Überraschu­ngsaktion für die Londoner Bürgerinne­n und Bürger. Pünktlich um 18 Uhr ließ er über eine Million Lichter an historisch­en Gebäuden erleuchten: „world’s largest switch-on“, „das weltgrößte Einschalte­n“.

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Foto: dpa „Now“. Doch wann ist jetzt? Der Klima‰ wandel ist längst da.

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