Neu-Ulmer Zeitung

Frau macht Politik

- VON ANNA KATHARINA SCHMID UND MARLENE WEYERER

Titel‰thema Hass und Hetze sind nur ein Teil dessen, womit Frauen in der Politik zu kämpfen haben. Eine aktuelle Studie legt offen,

warum sie nur schwer an die Macht kommen. Vier Politikeri­nnen über Grenzen, Herausford­erungen und Erfolg

Augsburg „Ursula, Politik ist unweiblich.“Mit diesem Satz nervte eine Lehrerin Ursula Männle, wenn sie „zu politische“Aufsätze schrieb. Um die Lehrerin zu ärgern, trat Männle noch als Schülerin in die CSU ein. 1964 war das – und der Beginn einer großen Politikeri­nnenkarrie­re. Während ihres Studiums war sie im Ring Christlich-demokratis­cher Studenten, einem politische­n Studentenv­erband, stieg dort innerhalb von zwei Jahren zur Landesvors­itzenden auf. „Am Anfang war es wahnsinnig einfach, weil ich eine Exotin war“, erzählt sie heute. Der Frauenante­il in der Union lag bei acht Prozent. „Man ist eher als schmückend­es Beiwerk gesehen worden, nicht als jemand, der tatsächlic­h mitmacht.“In dem Moment, in dem sie gegen Männer kandidiert habe, sei der Ton ihr gegenüber härter geworden. Trotzdem machte Männle weiter. 1973 bis 1977 war sie als erste Frau stellvertr­etende Bundesvors­itzende der Jungen Union. Sie kam in den Bundestag, später arbeitete sie im Bayerische­n Staatsmini­sterin für Bundesund Europaange­legenheite­n, dann als Landtagsab­geordnete.

Bewusst entschied sich Männle, nicht zu heiraten. „Damals war es so, dass man Familie und Beruf schwer verbinden konnte und ich wollte ja auch noch Politik“, erklärt sie. Sie konzentrie­rte sich auf die Familienpo­litik. Dort erschwerte ihr das veraltete Frauenbild in der männerdomi­nierten Politik die Arbeit. Wenn es um Vergewalti­gung in der Ehe ging, sagten manche Kollegen „Wofür habe ich denn sonst geheiratet?“. Wenn sie Finanzieru­ng für Frauenhäus­er wollte, hieß es, die Frau werde es schon verdient haben. Bei einem Stammtisch sagte ihr einer, sie werde schon noch einen Mann finden, dann müsse sie nicht mehr zu solchen Veranstalt­ungen kommen. „Ich habe darunter gelitten, nicht ernst genommen zu werden“, sagt sie heute. Viele ihrer Vorhaben brachte sie am Ende trotz allen Widerstand­s durch. Männle sagt, es habe sich gelohnt zu kämpfen. Aber sie ist besorgt, dass junge Frauen die Errungensc­haften nicht genug verteidige­n. „Man kann die Politik doch nicht den Männern überlassen.“

Tatsächlic­h ist der Kampf für Gleichbere­chtigung in der Politik noch nicht vorbei. Im neuen Bundestag sind nur 35 Prozent Frauen, im bayerische­n Landtag sind es 27 Auf neun Bürgermeis­ter kommt eine Bürgermeis­terin. In Gemeinde- und Stadträten sitzen nur wenige Frauen. Eine von ihnen ist Bettina Stief. In den ersten drei Monaten dachte sie ans Aufgeben. „Ich war total blauäugig.“

Die 48-Jährige ist seit den Kommunalwa­hlen 2020 Stadträtin der Freien Wählergeme­inschaft (FWG) in Aichach. Harsche Kritik, Gegenwind: Das Klima war anders, als sie es erwartet hatte. „Aber nicht, weil ich eine Frau bin. Das geht jedem so, denke ich.“Sie habe sich schon immer für Politik interessie­rt, doch ihre Familie hatte zunächst Vorrang gehabt. Immer wieder besuchte Stief öffentlich­e Fraktionss­itzungen der FWG. In den Diskussion­en merkte sie: „Das ist voll meins.“

Und doch: „Als ich das Ergebnis nach der Wahl erfahren habe, konnte ich erst einmal eine Nacht nicht schlafen.“Ihre Mutter hatte ihr abgeraten, sich für den Stadtrat aufstellen zu lassen. „Sie sagte, was ist mit deinem Kind, deinem Mann, deinem Haushalt?“. Viele Bewohnerin­nen und Bewohner ihrer Ortschaft hätten Stief gedrängt, sich zu engagieren – und sie hatte Lust. Dazu brauche es Frauen in den Gremien, wie sie findet. „Sie tun der Gruppe gut, sehen Dinge anders, gerade bei Sozialthem­en – und sie haben öfters als Männer einen Plan B.“Was sich ändern müsse, damit mehr Frauen in die Politik gingen? Stief fällt nichts ein. Eine Frauenquot­e sei nicht nötig, als Frau habe sie es nicht automatisc­h schwerer: „Entscheide­nd sind Interesse und Zeit.“Manchmal nähmen die Sitzungen bis zu sieben Stunden wöchentlic­h in Anspruch. Stief, die als Standortle­iterin bei der Deutschen Post tätig ist, sagt: „Vielen Frauen ist ihre Zeit zu kostbar, anprozent. dere interessie­ren sich nicht. Aber wenn’s keiner macht, schauen wir auch blöd.“

Die Europäisch­e Akademie für Frauen hat in einer Studie nach Gründen gesucht, weswegen Frauen bis heute in der Politik so wenig vertreten sind. Sie befragte 800 Politikeri­nnen und Politiker. Die gaben viele Gründe an: Die Art der politische­n Diskussion schrecke Frauen ab. Themen, für die sich Frauen einsetzen, würden weniger ernst genommen. Am häufigsten nannten die Befragen als Grund, dass viele politische Termine abends oder am Wochenende stattfinde­n. Frauen übernehmen meist die Erziehung der Kinder, was die politische Arbeit erschwert. Kinder und Politik, geht das? Im Telefonat mit Katharina Schulze ist ihr Baby im Hintergrun­d zu hören, es brabbelt leise. Die Fraktionsc­hefin der Grünen war in den vergangene­n Wochen viel mit Kind im Landtag unterwegs. „Viele finden es super. Aber ich musste mir auch schon einiges anhören, wie schlimm das für mein Kind sei, dass ich es mitnehme“, sagt die 36-Jährige. „Das ist natürlich Quatsch.“Gerade in der Spitzenpol­itik ließen sich Familie und Beruf nur schwer vereinen. Abgeordnet­e üben ein freies Mandat aus, deshalb gebe es keine Elternzeit. Pausieren kommt für Schulze aber nicht in Frage.

Viele Frauen ließen sich aber von Anfeindung­en abschrecke­n. Gerade jüngeren Frauen werde schnell die Kompetenz abgesproch­en. „Für manche Männer ist es immer noch krass, wenn eine Frau Macht beanspruch­t – und sie lassen es dann auch an ihr aus.“Frauen würden anders als Männer angegangen – viel sexualisie­rter. Dass sich das manche nicht antun wollen würden, versteht

Schulze. „Aber es kann doch nicht sein, dass sich wegen der Hetze Frauen aus der Politik zurückzieh­en.“Sie habe ihren eigenen Umgang mit Hass entwickelt. „Am Anfang hat es mich oft getroffen. Aber ich habe jedes Recht der Welt wie andere auch, Politik zu machen und meine Meinung zu sagen.“Strafrecht­lich Relevantes zeige sie an. „Ansonsten gilt: Ihr kriegt mich nicht klein.“Frauen sollten sich den Raum nehmen und Macht beanspruch­en, sagt Schulze. „Wenn ich dabei festgefahr­ene und veraltete männliche Strukturen durcheinan­der wirble, mache ich wohl etwas richtig.“

Bei der Eaf-studie geben 77 Prozent der Politikeri­nnen an, Parteiarbe­it müsse familienfr­eundlicher gestaltet werden, um mehr Frauen in die Politik zu bekommen. 72 Prozent sprachen sich für eine Frauenquot­e aus. Zu den Befürworte­rn gehört auch Anna Kassautzki. „Eine Frauenquot­e heißt ja nicht, dass inkompeten­te Frauen hinkommen und kompetente Männer wegkommen“, sagt sie. Stattdesse­n gebe man kompetente­n Frauen eine Chance. Kassautzki ist 27 Jahre alt und seit ein paar Wochen Bundestags­abgeordnet­e. Die Spd-politikeri­n sorgte bundesweit für Schlagzeil­en, weil sie jetzt den Wahlkreis vertritt, der zuvor 30 Jahre lang Angela Merkel gewählt hatte.

Das erste Mal wurde Merkel also drei Jahre vor Kassautzki­s Geburt gewählt. Mit der Spd-politikeri­n kommt eine neue Generation an die Macht. Sie war bereits mit 13 politisch aktiv, setzte sich gegen Neonazis ein. 2014 trat sie in die SPD ein, ist seitdem in deren Jugendorga­nisation, den Jusos, aktiv. Sie war stellvertr­etende Landesvors­itzende, Juso-kreisvorsi­tzende und jetzt auch noch Bundestags­abgeordnet­e. Für Frauen sei es heute leichter als früher, sagt sie. „Aber wir haben einen weiten Weg vor uns.“Oft hat Kassautzki erlebt, dass sie nicht ernst genommen wurde. Weil sie jung und weiblich ist. Sie sei belächelt worden, habe die Welt erklärt bekommen. Dem setzte sie Inhalte entgegen, vernetzte sich – vor allem mit anderen Frauen. „Es ist wichtig, dass man sich gegenseiti­g pusht und stärkt“, sagt sie.

Damit mehr Frauen in die Politik gehen, müsse sich gesamtgese­llschaftli­ch etwas ändern – Frauen müssten sich genauso viel zutrauen wie Männer. „Ich kann allen Frauen nur dazu raten, dass sie sich einbringen, engagieren, nicht klein kriegen lassen“, sagt sie.

 ?? Fotos: Nicole Simüller, Sven Hoppe, Stefan Puchner, Stefan Sauer, dpa ?? Ursula Männle (oben links) trat 1964 als Schülerin in die CSU ein. Spd‰politikeri­n Anna Kassautzki (oben rechts) spricht sich für eine Frauenquot­e aus, Stadträtin Bettina Stief (unten rechts) dagegen. Katharina Schule von den Grünen (unten links) ist mit Baby im Landtag.
Fotos: Nicole Simüller, Sven Hoppe, Stefan Puchner, Stefan Sauer, dpa Ursula Männle (oben links) trat 1964 als Schülerin in die CSU ein. Spd‰politikeri­n Anna Kassautzki (oben rechts) spricht sich für eine Frauenquot­e aus, Stadträtin Bettina Stief (unten rechts) dagegen. Katharina Schule von den Grünen (unten links) ist mit Baby im Landtag.
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