Neu-Ulmer Zeitung

Reicht 2G, um die vierte Welle zu brechen?

- VON SARAH SCHIERACK

Gesundheit Noch immer gibt es kaum Zahlen, wo sich Menschen wirklich anstecken

Augsburg Die Nachrichte­n ähneln jenen aus dem Herbst und Frühjahr 2020: Nach und nach werden Veranstalt­ungen abgesagt, bei jedem Treffen schwingt nun wieder der Gedanke an das Coronaviru­s mit. Und wie auch in den vergangene­n Wellen gibt es eine große Unbekannte: Noch immer existieren kaum gesicherte Zahlen darüber, wo sich Menschen mit dem Virus infiziert haben – und damit auch darüber, welche Corona-maßnahmen letzten Endes am sinnvollst­en sind.

Daten des Robert-koch-instituts ermögliche­n lediglich eine Annäherung: Der größte Teil der Ansteckung­en, die sich zurückverf­olgen lassen, findet demnach in Privathaus­halten statt, gefolgt von Altenheime­n und Schulen. Dass viele sich im Klassenzim­mer anstecken, zeigt auch die aktuelle Sieben-tage-inzidenz bei Kindern und Jugendlich­en: Für die Altersgrup­pe der Sechs- bis Elfjährige­n meldete das Landesamt für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it eine Inzidenz von 1073. Bei den Zwölf- bis 15-Jährigen beträgt sie 979. Zum Vergleich: Für alle Altersgrup­pen liegt sie bei 555. Die große Mehrheit der Infektione­n in Deutschlan­d kann laut RKI jedoch keinem Ort zugeordnet werden – da die Betroffene­n oft gar nicht wissen, wo sie sich infiziert haben.

Weil das Infektions­geschehen weiterhin so diffus ist, raten Wissenscha­ftler und Forscherin­nen mit Blick auf die Ministerpr­äsidentenk­onferenz am Donnerstag, nicht ausschließ­lich auf 2G- und 3G-beschränku­ngen zu setzen. Ein Forscherte­am um die Physikerin und Modelliere­rin Viola Priesemann hat verschiede­ne Szenarien erarbeitet, wie der Corona-winter ablaufen könnte. „Das, was derzeit geplant ist, nur 2G, 3G im öffentlich­en Bereich, das wird nicht reichen, um die Fallzahlen runterzubr­ingen“, sagte die Wissenscha­ftlerin vom Maxplanck-institut für Dynamik und

Selbstorga­nisation in Göttingen bei einer Anhörung im Bundestag. Die meisten Kontakte zwischen Menschen fänden in Privathaus­halten statt. Außerdem würden in Schulen und am Arbeitspla­tz weiterhin ungeimpfte und geimpfte Personen zusammenko­mmen.

Priesemann und ihr Forscherte­am fordern in dem Papier stattdesse­n, dringend die regulären Impfungen sowie die Boosterimp­fungen voranzutre­iben. Die Wissenscha­ftler skizzieren drei mögliche Szenarien. Bleibe alles wie gehabt, würden die Infektions­zahlen weiter in die Höhe schnellen und „wahrschein­lich zu einer Überlastun­g des Gesundheit­ssystems führen“. Setze die Regierung ihr geplantes Programm mit 2G- und 3G-einschränk­ungen um, könne ein Kollaps der Kliniken voraussich­tlich verhindert werden – die Belastung in den Krankenhäu­sern bliebe aber hoch.

Gebrochen werden könne die vierte Welle nach Ansicht der Forscher nur mit einer „Impf- und Booster“-offensive – auch, weil der Impfschutz vor allem bei älteren Menschen bereits wieder nachgelass­en hat. Vorbild für die Booster-aktion ist Israel: In dem Land hat bereits mehr als die Hälfte der Bevölkerun­g eine Auffrischu­ngsimpfung erhalten, die Infektions­zahlen sanken in der Folge wieder deutlich ab.

Um in Deutschlan­d bis Weihnachte­n noch 50 Prozent aller Menschen zu impfen, müssten Ärzte und Impfzentre­n das Impftempo jedoch deutlich steigern und rund sieben Prozent der Bevölkerun­g pro Woche immunisier­en, also in etwa so viele wie zu den Hochzeiten der Impfaktion im Sommer. Würde pro Tag ein Prozent der Bevölkerun­g geimpft, wären erste Wirkungen in etwa einem Monat zu sehen, erläuterte Expertin Priesemann. Impfungen und Auffrischi­mpfungen, gab sie den Bundestags-abgeordnet­en mit, seien „der nachhaltig­e Weg aus dieser Welle, alles andere sind Übergangsm­aßnahmen“.

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