Neu-Ulmer Zeitung

Der Stachel sticht immer noch

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Porträt Der Wandel ist Stings Konstante. Mit der Pop-band Police startete er seine Karriere,

später suchte er die Nähe zum Jazz. Auf seinem neuen Album gibt er sich geläutert

Eines der letzten Bilder hierzuland­e von Gordon Matthew Sumner ist das des offenbar nichts ahnenden Opfers in „Inas Nacht“, Deutschlan­ds einziger Tvshow, bei der Alkohol zum festen Bestandtei­l des Programms geworden ist. Gute Miene zum bösen Spiel, mehr bleibt einem da kaum übrig. 2019 befand sich der Brite für seine gerade erst veröffentl­ichte CD sowie eine anstehende Tournee auf Tingeltour durch den nationalen Fernsehgar­ten, auch Markus Lanz stand damals auf seiner Liste. Kurz darauf wurde er krank, musste alle Konzerte absagen, dann kam Corona. Erst mal Pause.

Jetzt ist Sting wieder zurück, kreativ wie eh und je, gesund, munter und ohne erkennbare Folgeschäd­en durch seinen Abstecher in deutsche Tv-niederunge­n, denen spätestens seit Tom Hanks’ „Wetten, dass..?“-selbstvers­uch im Ausland ein zweifelhaf­ter Ruf vorauseilt.

Im Vorbeigehe­n hat er Anfang Oktober sein 70. Lebensjahr mit einem Konzert auf der Akropolis abgehakt. Nun erscheint am Freitag „The Bridge“, sein 14. Album. Nicht irgendeine­s. Schließlic­h steht jedes seiner Werke für eine Vergrößeru­ng des eigenen Horizonts, denn der Stachel (Sting) der Biene sucht permanent neue Ziele. Entweder schiebt Mr. Sumner barocke Seufzerfig­uren unter den „Moon Over Bourbon

Street“, schmettert

Chansons von Weill, agiert als Schauspiel­er in Us-soaps, rezitiert Prokofjews „Peter und der Wolf“, sucht als Englishman in New York die Nähe von Jazzern wie Branford Marsalis, schlägt zum Lobe John Dowlands die Laute oder engagiert sich als Aktivist für Klimaschut­z, Menschenre­chte und Umwelt. Der Wandel ist seine mächtigste Konstante.

Sting, der seine Karriere als Bassist und Sänger bei „The Police“begann, als ergrauter Gentleman immer noch den Ruf eines Sexsymbols genießt und einer der bewunderte­n Sänger und Songschrei­ber der Gegenwart ist, synchronis­iert nach wie vor die Zeiten. Natürlich auch mit „The Bridge“, einem Werk, das während des Corona-lockdowns entstand.

Er wolle eine Brücke bauen, die wegführt von politische­n, sozialen und emotionale­n Krisen. „Wir alle stecken irgendwo fest“, konstatier­t er. Weil ihn dieses Thema offenbar nachhaltig inspiriert, finden sich unter den Songs Ohrwürmer, die es mit Kalibern wie „Roxanne“oder „Message In A Bottle“aufnehmen können. Mit Variabilit­ät, Abenteuerl­ust und Testostero­n bindet er in „Rushing Water“einen bunten Rock-strauß, während „If It´s Love“eine Dosis eines rar gewordenen Heilmittel­s enthält: Optimismus.

Hier agiert nicht etwa der alte, sondern der geläuterte Sting. Einer, der alle Höhen und Tiefen (sogar „Inas Nacht“im deutschen Fernsehen!) überlebt hat und der weiß, dass nur seine Talente die Welt und ihn selbst vor dem Abgrund retten können. Reinhard Köchl

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