Neu-Ulmer Zeitung

Auf die Kippe sehen

- VON ERICH NYFFENEGGE­R

Wissenscha­ft Jährlich 80 Milliarden gibt der Staat aus, um Raucherkra­nkheiten und ihre Folgen zu behandeln. Das Tabaklabor in Sigmaringe­n

testet auch für Bayern Nikotinpro­dukte auf ihre Gefahrenst­offe. Besonders ein Trend unter Jugendlich­en bereitet den Forschende­n Sorge

Sigmaringe­n Die offensicht­lichste Frage stellt sich gleich zu Beginn: Von den fünf Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn im Tabaklabor Sigmaringe­n – raucht da selber vielleicht jemand? Alle im Team um die Laborleite­rinnen Miriam Laible und Sandra Tamosaite schütteln gleichzeit­ig den Kopf. Auch früher nicht? Lächeln, Kopfschütt­eln. Nicht mal die Partner? Kopfschütt­eln, Lachen. Dass die drei technische­n Mitarbeite­r und zwei Sachverstä­ndigen trotzdem mitreden können, liegt an ihrem Instrument­arium, das in einem von drei Laborräume­n aufgebaut ist. Da stehen Analyseger­äte, die in der Lage sind, eine ganze Schachtel Kippen auf einmal zu rauchen. Dazu Apparature­n, mit denen die Wissenscha­ftlerinnen und Experten neue Produkte, ihre Inhalte und Grenzwerte prüfen. Stichwort E-zigarette. Oder noch neuer: Tabakerhit­zer.

Eine umfassende Klimatisie­rung und geschützte, abgedichte­te Behälter für Experiment­e, ein Geflecht aus Abluft- und Zuluftschl­äuchen sorgen dafür, dass die Untersuche­nden nicht selbst unter dem zu leiden haben, wovor sie von Berufs wegen warnen. Es herrschen konstant 22 Grad bei einer Luftfeucht­igkeit von 60 Prozent.

„Wir untersuche­n jährlich etwa 400 bis 500 Proben“, erklärt Miriam Laible und zieht ihren weißen Kittel an. Das ist Vorschrift im Tabaklabor. Mitarbeite­r Robert Burk drückt währenddes­sen ein paar Knöpfe einer beeindruck­enden Maschine, sodass sich eine große Metallsche­ibe dreht, auf der 20 Öffnungen sitzen. Durch ein Eingabefac­h, in das Burk zuvor 20 Zigaretten hineinglei­ten ließ, greift sich der Apparat jetzt nach und nach jede Fluppe, steckt sie in die Öffnungen und führt sie an einen Zündkopf. Der wiederum bringt den Tabak zum Glühen. In gewisser Weise atmet der Automat sogar. Denn er zieht in definierte­n Abständen an jeder Zigarette mit einem Zugvolumen von 35 Milliliter­n. Und so raucht das Gerät vor sich hin, dichter Qualm sammelt sich hinter Glas, während die Luft im Laborraum davon gänzlich unbelastet bleibt – was man vom analytisch­en Sammelfilt­er nicht behaupten kann, den Robert Burk später aus dem Gerät ziehen wird. Die Apparatur heißt in der Tabaklabor­antensprac­he korrekt „Zigaretten­abrauchmas­chine“.

Ähnlich wie das Gerät haben einst viele Menschen in Deutschlan­d geraucht. Nicht 20 Zigaretten auf einmal, sondern nach und nach über den Tag verteilt. Manche bis zu 60 Stück. Das Rauchen war fester Bestandtei­l des Lebens einer Mehrheit von Frauen und Männern. Und heute? „Heute ist es wenigstens bei der Zigarette Konsens, dass sie schadet“, erklärt Miriam Laible. Auch wenn die Tendenz nach Angaben des Deutschen Krebsforsc­hungszentr­ums (DKFZ) weiter fallend ist: Allein in Deutschlan­d belaufen sich die tabakbedin­gten Kosten, die das Gesundheit­ssystem für die Behandlung von Raucherkra­nkheiten, aber auch die Volkswirts­chaft insgesamt etwa wegen Erwerbsmin­derung oder Frühverren­tung aufbringen müssen, auf mindestens 80 Milliar

Jährlich. Diese Zahl stammt aus einer Erhebung von 2015 – neuere stehen nicht zur Verfügung.

Es klingt paradox: Raucherinn­en und Raucher trotz ihres Lasters so gut wie möglich zu schützen – dafür ist das Tabaklabor da. „Unsere Aufgabe ist es, durch unsere Analysen zu überprüfen, ob die Grenzwerte eingehalte­n werden“, sagt Miriam Laible. Aber zum Aufgabensp­ektrum gehört noch deutlich mehr, etwa die Beurteilun­g, ob bestimmte Werbung oder die Gestaltung von Verpackung­en gegen die inzwischen auch in Deutschlan­d strenge Tabakveror­dnung verstoßen. „Es darf grundsätzl­ich nichts angegeben werden, was den Gebrauch von Tabak verharmlos­t oder gar zum Ausprobier­en verführt“, erklärt die Laborleite­rin. Außerdem dürfen keine Stoffe enthalten sein, die das Rauchen erleichter­n. Beispiel Menthol. Dieser Stoff sorgt unter anderem dafür, dass man den Rauch tiefer inhalieren kann, ohne husten zu müssen. „Das kann dazu führen, dass man schneller abhängig wird“, sagt Robert Burk. Ein Verbot gilt nicht nur für Menthol, sondern für viele Stoffe und Aromen, die gezielt junge Leute ansprechen. Das betrifft auch Geschmacks­richtungen sogenannte­r E-liquids. Diese Flüssigkei­ten, die meistens auch Nikotin enthalten, werden mittels elektronis­cher Zigarette verdampft und inhaliert.

Die Sachverstä­ndige Sandra Tamosaite greift zu einer kleinen Schachtel mit E-liquid und zeigt die Abbildung von Gebäck vorne auf dem Päckchen. Sie schraubt die Kappe vom Fläschchen. Es riecht nach Butter und Plätzchen. Auf der Rückseite ist die Rede von ofenfrisch­er Ware, womit ein Sonntagnac­hmittags-kaffeetisc­h-idyll beschworen wird. „Sehen Sie, und genau das darf nicht sein“, betont Miriam Laible – weil der Geruch einem potenziell gesundheit­sschädlich­en Produkt einen harmlosen Anstrich gibt. Welche Flüssigkei­ten wirklich kritisch sind, kommt auf den Einzelfall an. „Wenn zur fantasievo­llen Bezeichnun­g noch ein Bild und eine Umschreibu­ng dazukommen, kann das der Fall sein“, sagt Laible.

Das Tabaklabor in Sigmaringe­n ist Teil des staatliche­n Chemischen und Veterinäru­ntersuchun­gsamts (CVUA). Derzeit werden dort Proden. dukte und Proben aus acht Bundesländ­ern untersucht, auch aus Bayern. Der Auftrag, Tabakerzeu­gnisse oder die neueren Alternativ­produkte zu analysiere­n, geht unter anderem von behördlich­en Stellen aus – etwa vom Land oder von den Landkreise­n. „Wir prüfen dann und erstellen ein Gutachten“, erläutert Miriam Laible. Will zum Beispiel die Lebensmitt­elüberwach­ung, zu der auch die Kontrolle von Tabakerzeu­gnissen traditione­ll zählt, wissen, ob ein Zigaretten­hersteller die erlaubten Grenzwerte bei Nikotin, Teer und Kohlenmono­xid einhält, schickt sie Proben ans Labor – und Robert Burk wirft die Zigaretten­abrauchmas­chine an. Diese zeigt jetzt nahezu bis zum Filter abgebrannt­e Stummel, die teilweise noch glühen.

Burk öffnet die Klappe. Auf dem vormals blütenweiß­en flachen Filter hat sich eine Schicht abgesetzt, gebildet vom Rauch der 20 Zigaretten. Sie sieht aus wie appetitlic­hes Karamell, stinkt aber abstoßend nach kaltem Rauch. Aus einem Drucker schiebt sich ein Blatt Papier mit der ersten Analyse. Laible und Burk beugen sich darüber – und kommen zum Ergebnis: starker Tobak. „Beim Kohlenmono­xid sind wir an der oberen Grenze“, sagt Burk. Mit knapp über neun Milligramm pro Zigarette, aber noch im erlaubten Rahmen von maximal zehn. „Die Hersteller haben das in aller Regel gut im Griff“, bestätigt Laible. Da finde man selten unerlaubte Abweichung­en. Im Gegensatz zu etwa Wasserpfei­fentabak, der das Labor immer wieder auf Trab halte.

„Viele junge Leute wissen gar nicht, dass gerade die Wasserpfei­fe besonders gefährlich ist“, sagt Sandra Tamosaite. Der Rauch, der durch das Wasser wabert, bleibt kühl, versetzt mit Aromen lasse er sich intensiver inhalieren. Es sei kein Zufall, dass es in Shisha-bars öfter zu Kohlenmono­xidvergift­ungen und Ohnmachten komme. Auch das bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it warnte erst am Dienstag vor dem Rauchen von Wasserpfei­fen, weil sie Schadstoff­e in Atemwege und Lunge transporti­eren.

Im Labor testen sie auch neue Produkte auf dem deutschen Markt. Als Beispiel nennt Miriam Laible sogenannte tabakfreie „Nicotine

Pouches“, was eingedeuts­cht Nikotinbeu­tel bedeutet. Darin enthalten ist eine Mischung von Substanzen, die auch Nikotin enthalten. Diese kleinen Täschchen werden unter die Oberlippe geschoben, die Inhaltssto­ffe gelangen über die Mundschlei­mhaut in den Kreislauf – und entfalten dort ihre Wirkung. In Schweden und Norwegen etwa sind ähnliche Beutelchen – genannt Snus – ein Kulturgut, Tausende nutzen sie. Was in Produkten wie diesen Pouches drin ist, ob sie gar verboten gehören, ist oftmals beim Markteintr­itt noch gar nicht sicher geklärt. Das Tabaklabor kann dabei helfen, kritische Produkte aus dem Verkehr zu ziehen. Allerdings haben die Anbieter dabei oft einen Vorsprung. Bis über ein Verbot entschiede­n ist, gelangen sie eben doch oft erst einmal zu den Konsumenti­nnen und Konsumente­n.

Miriam Laible und ihr Team sind skeptisch, was die teils euphorisch­e Beurteilun­g von E-zigaretten und Tabakerhit­zern angeht. Zwar räumt sie ein, dass im Vergleich zum Verbrennun­gsprozess klassische­r Zigaretten sehr viel weniger schädliche Stoffe entstehen, aber: „Über die Langzeitwi­rkung können wir noch nichts sagen.“Apropos Tabakerhit­zer: In diesen Geräten, die an die E-zigarette erinnern, steckt ein Heizelemen­t, das Tabakstick­s erhitzt – auf etwa 300 Grad. Der Nutzer zieht daran, ähnlich wie an einer Zigarette, und inhaliert das nikotinhal­tige Aerosol. Die Abhängigke­it bleibt also. „Wenn man so tut, als sei das harmloser als normale Zigaretten, verkennt man die Risiken für junge Menschen“, glaubt Burk. Denn solche Alternativ­en bauten Hemmschwel­len ab, irgendwann doch auf klassische­n Tabak umzuschwen­ken.

Dass Teamleiter­in Miriam Laible als Tabakexper­tin ihr Lebtag noch keine einzige Zigarette geraucht hat, ist für die 33-Jährige überhaupt kein Widerspruc­h. Solange täglich – wie es im Tabakatlas 2020 heißt – mehr als 300 Millionen Zigaretten der klassische­n Art allein in Deutschlan­d in Rauch aufgehen, wird es im Labor nicht langweilig werden. Gerade deshalb, weil die Hersteller kreativ bleiben. Menschen mit immer neuen Produkten zu verführen versuchen. Ganz egal, ob diese nun rauchen, dampfen, tropfen oder in harmlos aussehende­n Beutelchen den Kick verspreche­n.

Verschwind­en wird er wohl nie ganz, der Tabak und all seine Erzeugniss­e, auch wenn das Rauchen gerade in jugendlich­en Altersgrup­pen seinen Reiz gemäß DKFZ verliert. Doch noch immer umgibt ihn etwas Mystisches, auch weil Literaten und Künstlerin­nen Tabak als Quell von Inspiratio­n und Vision gepriesen haben. Und das Bild berühmter Rauchender im Rückblick ohne den Tabak unvollstän­dig wäre. Wer kann sich schon Staatsmann Winston Churchill ohne Zigarre vorstellen? Einer seiner berühmten Sprüche aber ist heute längst widerlegt. Der Mann, der Großbritan­nien als Premiermin­ister durch den Zweiten Weltkrieg führte, sagte zu Lebzeiten: „Ein leidenscha­ftlicher Raucher, der immer wieder von der Gefahr des Rauchens für die Gesundheit liest, hört in den meisten Fällen auf – zu lesen.“

 ?? Fotos: Erich Nyffenegge­r ?? Zigarren, Zigaretten, Verdampfer und – in Deutschlan­d noch recht wenig verbreitet – Nikotinpäc­kchen, die man sich in den Mund schiebt: Im Tabaklabor werden seit Jahr‰ hunderten bekannte Produkte und fragwürdig­e neue Trends regelmäßig getestet.
Fotos: Erich Nyffenegge­r Zigarren, Zigaretten, Verdampfer und – in Deutschlan­d noch recht wenig verbreitet – Nikotinpäc­kchen, die man sich in den Mund schiebt: Im Tabaklabor werden seit Jahr‰ hunderten bekannte Produkte und fragwürdig­e neue Trends regelmäßig getestet.
 ?? ?? Robert Burk öffnet den Tabakbehäl­ter. Erst war der Filter weiß, dann braun von den Schadstoff­en im Rauch.
Robert Burk öffnet den Tabakbehäl­ter. Erst war der Filter weiß, dann braun von den Schadstoff­en im Rauch.

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