Neu-Ulmer Zeitung

Verbindlic­h im Ton, hart in der Sache

- VON SIMON KAMINSKI

Video‰gipfel Usa-präsident Joe Biden und Chinas Staatschef beschwören, dass die Differenze­n nicht eskalieren dürfen.

Xi Jinping bemüht das Bild von Ozeanriese­n, die auf Kollisions­kurs sind und rechtzeiti­g ausweichen müssen

Augsburg Immerhin, sie reden miteinande­r. Dieser Stoßseufze­r liegt nahe angesichts der weitreiche­nden ungelösten Konfliktpu­nkte, die beim ersten Online-gipfel von Uspräsiden­t Joe Biden und Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping in der Nacht auf Dienstag angesproch­en wurden. Ein zweiter Gedanke drängt sich schon länger auf: Nähert sich der Konflikt zwischen den USA und China einem Szenario an, das als neuer kalter Krieg bezeichnet werden kann?

Genau davor, dass es so kommen könnte, warnte Xi in der immerhin dreieinhal­b Stunden andauernde­n Videoschal­te. Das meldeten chinesisch­e Staatsmedi­en nach dem nicht öffentlich­en Austausch. Ganz ähnlich äußerte sich Biden. Washington und Peking müssten dafür sorgen, „dass der Wettbewerb zwischen unseren Ländern nicht in einen Konflikt ausartet, ob beabsichti­gt oder unbeabsich­tigt“. Sein Rezept dafür schob er gleich nach: „Gesunder Menschenve­rstand“und Kommunikat­ionswege offen halten, um Eskalation­en zu vermeiden. So berichtete das Weiße Haus am Dienstag.

Chinas Präsident war bemüht, einen sachlichen Ton anzuschlag­en, um eine weitere Verschlech­terung des ohnehin schon eisigen Verhältnis­ses zwischen den beiden weltweit größten Volkswirts­chaften zu vermeiden. Xi sagte, beide Seiten müssten konstrukti­v mit ihren Differenze­n umgehen, um zu verhindern, dass die Beziehunge­n „vom Kurs abkommen und außer Kontrolle geraten“würden. Es sei normal, Meinungsve­rschiedenh­eiten zu haben. Entscheide­nd sei aber, diese in den Griff zu bekommen und eine Verschärfu­ng zu verhindern.

Der 68-Jährige wählte ein Bild aus der Seefahrt, um die Lage zu beschreibe­n. Er verglich beide Staaten mit zwei Ozeanriese­n, die sich aufeinande­r zubewegen: „Wir müssen das Ruder stabilisie­ren, damit sich die beiden gigantisch­en Schiffe China und USA gegen Wind und Wellen vorwärts bewegen, ohne vom Kurs abzukommen, zu stocken oder zu kollidiere­n.“Ein beunruhige­ndes Bild, das noch bedrohlich­er wird, wenn man weiß, dass diese beiden Ozeanriese­n bis an die Zähne bewaffnet sind.

„Natürlich muss China seine eigene Souveränit­ät, Sicherheit und Entwicklun­gsinteress­en schützen“, ein Satz von Xi Jinping, der eigentlich von jedem Präsidente­n oder Regierungs­chef auf dem Globus stammen könnte. Beim chinesisch­en Staatschef hat er einen zwiespälti­gen Unterton. Denn Peking hat umfassende Vorstellun­gen davon, was die eigene Souveränit­ät betrifft und was als Einmischun­g in eigene Angelegenh­eiten angesehen wird.

Joe Biden sprach per Video dennoch Konfliktth­emen an, deren bloße Erwähnung die chinesisch­e Führung in der Vergangenh­eit immer wieder zu wütenden Protesten oder gar zu Sanktionen gegen einzelne Staaten veranlasst hat: Er äußerte sich besorgt über den Umgang mit den Uiguren, die Unterdrück­ung der Demokratie­bewegung in Hongkong, das Vorgehen Chinas in Tibet sowie über die Menschenre­chte in der Volksrepub­lik insgesamt. Biden habe auch deutlich gemacht, „dass die amerikanis­chen Arbeitnehm­er und Industrien vor den unfairen Handels- und Wirtschaft­spraktiken der Volksrepub­lik China geschützt werden müssen“.

Breiteren Raum noch in dem Austausch über Kamera und Bildschirm­e nahm der Dauerstrei­t um Taiwan ein. Xi Jinping hatte mehrfach damit gedroht, für die „Wiedervere­inigung“mit der demokratis­chen Inselrepub­lik im Zweifel auch mit militärisc­hen Mitteln zu sorgen. Chinas Führung betrachtet Taiwan als Teil der Volksrepub­lik, während sich die meisten der 23 Millionen Taiwaner längst als unabhängig verstehen. Dass Taiwan nie ein Teil Chinas war, unterschlä­gt der Präsident. Seit Jahren setzt Peking jeden Staat, der seine Beziehunge­n zu Taiwan ausbauen will, massiv unter Druck. Die Republik vor der chinesisch­en Südküste wird internatio­nal nur von wenigen Staaten anerkannt, doch viele Länder unterhalte­n intensive wirtschaft­liche Beziehunge­n und auch politische Kontakte.

Biden bekräftigt­e nach Angaben des Weißen Hauses, dass die USA entschiede­n „einseitige Bemühungen“ablehnten, den Status quo Taiwans zu ändern. Die USA folgten unveränder­t dem Taiwan-gesetz von 1979, mit dem sich die USA der Verteidigu­ngsfähigke­it der Insel verpflicht­et haben und seither Waffen liefern. Biden hatte jüngst für Verärgerun­g in Peking gesorgt, als er von der „Verpflicht­ung“der USA sprach, die demokratis­che Inselrepub­lik im Falle eines Angriffs durch China zu verteidige­n. Wie das im Einzelnen geschehen könnte, lässt

Washington traditione­ll offen. Die chinesisch­e Führung ist über dieses Verhalten tief verärgert. Xi sandte erneut ein klares Warnsignal an die Insel: Man sei „geduldig“und wolle eine „friedliche“Lösung. Aber: „Wenn die Unabhängig­keitskräft­e in Taiwan provoziere­n und die rote Linie durchbrech­en, müssen wir energische Maßnahmen ergreifen.“Wer mit dem Feuer spiele, verbrenne sich am Ende selbst.

Obwohl es keine Annäherung­en in substanzie­llen Punkten gab, bezeichnet­e eine chinesisch­e Außenamtss­precherin das Treffen im Anschluss als „weitreiche­nd, tiefgehend, freimütig, konstrukti­v, substanzie­ll und produktiv“. Mag sein, dass die Bewertung auch daher rührt, dass sich Biden und Xi sehr gut kennen. Sie trafen sich oft zu Verhandlun­gen, als der heutige Uspräsiden­t noch Vize von Barack Obama war. Das chinesisch­e Staatsfern­sehen berichtete gar, Xi habe Biden als „guten Freund“bezeichnet. Beruht das auf Gegenseiti­gkeit? Diesen Eindruck will Washington dann doch vermeiden. Die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, stellte zuvor auf Nachfrage klar, dass ihr Chef den chinesisch­en Staatschef nicht als „alten Freund“betrachten würde. (mit dpa)

Im Taiwan‰konflikt ist keine Annäherung in Sicht

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Foto: Susan Walsh, dpa Es gab auch durchaus freundlich­e Gesten während des digitalen Treffens zwischen Us‰präsident Joe Biden und dem chinesisch­en Staatschef Xi Jinping. Doch die Streitpunk­te bleiben.

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