Alarmstimmung nach Raketentest
Konflikt Russland hat im All einen eigenen Satelliten zerstört. Bedrohen die Trümmer die Menschen in der Raumstation ISS? Moskau weist die Vorwürfe aus Washington zurück und spricht von amerikanischer „Heuchelei“. Was die Nato dazu sagt
Washington/moskau Russland hat mit dem Abschuss eines ausgedienten Satelliten heftige Kritik auf sich gezogen. Die Us-regierung warf Moskau vor, dadurch die Sicherheit der Astronauten auf der Internationalen Raumstation ISS gefährdet zu haben. Dort hält sich seit ein paar Tagen auch der Deutsche Matthias Maurer auf. Groß ist nun die Sorge, dass die ISS in mehr als 400 Kilometern über der Erde von Resten des zerstörten Satelliten getroffen werden könnte.
Das russische Verteidigungsministerium bestätigte den Abschuss des ausgedienten Raumflugkörpers „Zelina-d“durch eine Anti-satelliten-rakete. Das Militär betonte aber, die Trümmer stellten „keine Bedrohungen für Raumstationen, Raumflugkörper und Weltraumaktivitäten dar und werden keine darstellen“. Verteidigungsminister Sergej Schoigu sprach von einem „vielversprechenden System“, das erprobt worden sei. Laut dem Weltraumkommando der Us-streitkräfte hat der Test mehr als 1500 nachverfolgbare Trümmerteile im All hinterlassen. Vermutlich würden diese in hunderttausende kleinere
Trümmer zerfallen und „über Jahre und möglicherweise Jahrzehnte in der Umlaufbahn verbleiben“. Dies bedeute „ein erhebliches Risiko für die Besatzung der ISS und andere bemannte Raumfahrtaktivitäten sowie für die Satelliten mehrerer Länder“. Die sieben Raumfahrer brachten sich am Montag zweimal in zwei an der Station angedockten Raumschiffen in Sicherheit, Maurer in die „Crew Dragon“. Im Falle eines Zusammenstoßes der ISS mit Trümmerteilen hätte die Besatzung so zur Erde zurückfliegen können. Zu einer Kollision kam es aber nicht. Die
Us-raumfahrtbehörde Nasa teilte mit, die Astronauten und Kosmonauten auf der ISS hätten „Notfallverfahren für die Sicherheit“eingeleitet, nachdem die Flugsicherung sie geweckt hatte. Die Luken zu bestimmten Modulen seien geschlossen worden. Bis die ISS die Trümmerwolke durchflogen hatte, hätten die Astronauten und Kosmonauten in ihren Raumschiffen gewartet. Die New York Times zitierte aus dem Weckruf, der von Houston aus an die Iss-astronauten ging: „Hey Mark, guten Morgen, entschuldige den frühen Anruf“, habe ein Nasamitarbeiter
zu Mark Vande Hei gesagt. „Wir wurden vor kurzem über einen Satellitenabschuss informiert und müssen euch bitten, das (entsprechende Rückzugsverfahren) zu prüfen.“Der Vorfall droht das Verhältnis der Partner zu belasten: „Ich bin empört über dieses unverantwortliche und destabilisierende Vorgehen“, erklärte Nasa-chef Bill Nelson. Die europäische Esa wurde ebenfalls deutlich: „Solche Tests in großen Höhen sind sehr belastend für die Raumfahrt“, sagte Holger Krag, Leiter des Esa-weltraumsicherheitsprogramms in Paris. Sie seien absolut kontraproduktiv, idealerweise mache man sie gar nicht – und wenn doch, dann in niedriger Höhe. Denn je höher das Zielobjekt, desto länger blieben Fragmente im All. Die russische Raumfahrtbehörde Roskosmos ging nicht auf den Abschuss des Satelliten ein, betonte aber: „Für uns war und ist die absolute Sicherheit der Besatzung oberstes Gebot.“Das russische Warnsystem für den erdnahen Weltraum überwache weiterhin die Lage, um mögliche Bedrohungen für die Raumstation und die Besatzung zu verhindern.
Kritik gab es auch auf oberster politischer Ebene: Us-außenminister Antony Blinken sagte: „Wir verurteilen Russlands rücksichtslosen Test.“Sein Sprecher Ned Price ergänzte, der Abschuss zeige deutlich, dass Russlands Behauptungen, es lehne die Militarisierung des Weltraums ab, „unaufrichtig und scheinheilig“seien. Ähnlich äußerte sich Nato-generalsekretär Jens Stoltenberg. Der Test sei besorgniserregend, weil er zeige, dass Russland Waffensysteme entwickele, die auch die Infrastruktur für zivile Navigationsund Kommunikationssysteme auf der Erde zerstören könnten.
Russlands Außenminister Sergej Lawrow konterte: Den Vorwurf, Moskau gefährde die friedliche Nutzung des Weltraums, nannte er „Heuchelei“. Stattdessen treibe das Pentagon selbst „auf aktivste Art und Weise“ein Wettrüsten im All voran, kritisierte er – etwa durch Tests von Angriffswaffen. Die Nato hatte im Juni beschlossen, dass auch Angriffe aus dem oder im Weltraum als Bündnisfall behandelt werden können. Das gilt bisher für Angriffe am Boden, im Luft-, See- oder Cyberraum. (dpa)