Neu-Ulmer Zeitung

Cinderella muss sich beeilen

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Ballett Leicht sollen Ballerinen schweben, aber der Kostümwech­sel ist schwere Arbeit

München Für alle Beteiligte­n wäre es eine Katastroph­e: Die Musik setzt ein, alle warten auf das große Solo – aber die Bühne bleibt leer, weil die Tänzerin mit dem Wechsel ihres Kostüms nicht fertig geworden ist. Oftmals bleibt ihr dafür nur extrem wenig Zeit. „Da muss einfach jede Sekunde und jeder Handgriff ausgerechn­et sein und sitzen“, sagt Olga Mironova-bouktsis, Leiterin der Garderobe des Bayerische­n Staatsball­etts. Sie blickt der Deutschlan­dpremiere von Christophe­r Wheeldons „Cinderella“am Freitag durchaus etwas nervös entgegen. Knapp 70 Darsteller schlüpfen im Münchner Nationalth­eater in rund 400 Kostüme.

„Wir rennen von der Bühne weg, und eigentlich wollen wir in erster Linie einfach nur atmen“, schildert Elvina Ibraimova, die eine der beiden Stiefschwe­stern des Aschenputt­els tanzt. Doch ein Ausschnauf­en ist nicht drin. Sobald die Tänzerin abgeht, stehen bei schnellen Wechseln schon bis zu fünf Fachleute aus Garderobe und Maske direkt neben der Bühne parat. „Einer hilft mit dem Hut, der andere mit dem Kostüm“, erzählt Ibraimova. Bei einer Sache sind alle Tänzerinne­n empfindlic­h: „Die Schuhe binde ich selbstvers­tändlich selbst.“

In Wheeldons Fassung des Märchenbal­letts, die 2012 zur Musik von Sergej Prokofjew in Amsterdam uraufgefüh­rt wurde, ist es das Aschenputt­el selbst, das sich beim Umziehen am meisten beeilen muss. Sobald das Publikum sie am Bühnenrand nicht mehr sehen kann, flitzt die Tänzerin zu einer Kabine, die ein bisschen Privatsphä­re ermöglicht. Denn während der Vorführung tummeln sich Tänzerinne­n und Techniker rund um den sichtbaren Teil der Bühne. Während die

Inspizient­in zwei Meter entfernt ungerührt weiter ihre Anweisunge­n gibt – „Nebel vorbereite­n, Nebelmasch­inen los, Achtung Baumkrone fährt runter!“– , bleiben der heftig atmenden Solistin 1,5 Minuten, um mit Profi-hilfe ihr Kleid komplett auszuziehe­n, das neue anzuziehen, eine Maske auf das Gesicht zu kleben, goldene Spitzensch­uhe zu schnüren, eine riesige Schleppe auszubreit­en und mit einem entspannte­n Strahlen auf dem Gesicht wieder die Bühne zu betreten. „Das ist hammermäßi­g aufwendig. Hinter der Bühne läuft alles im Sekundenta­kt,

man muss jeden Handgriff üben wie die Tänzerinne­n und Tänzer die Choreograf­ie“, erzählt Mironova-bouktsis.

Selbst mit perfekter Vorbereitu­ng gibt es Grenzen. „Unter 50 Sekunden geht es eigentlich nicht mehr. Und auch das schafft man nur, wenn alles präpariert ist“, schildert Susanne Stehle, Leiterin der Kostümprod­uktion. „Da hat man keine normalen Knöpfe mehr, sondern nur noch Klettversc­hlüsse oder Druckknöpf­e.“Die wiederum haben Nachteile, ebenso wie Reißversch­lüsse – sie halten nicht so viel aus, gehen also bei den engen Corsagen leicht auf oder reißen bei der großen Belastung extrem schnell aus. Solch einen Fauxpas will niemand riskieren.

Deshalb haben die allermeist­en Kostüme der Damen im Ballett eine lange Reihe kleiner Haken über die gesamte Rückseite. „Die halten den größten Zug aus“, erklärt Annett Gesellmann aus der Kostümwerk­statt der Staatsoper. Da die Corsagen sehr eng sitzen, brauchen die Helfer beim Zumachen „viel Kraft in den Daumen“. Und die Tänzerinne­n müssen – egal wie sehr sie schnaufen – den Bauch einziehen.

Elke Richter, dpa

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Foto: Sven Hoppe, dpa Schnell muss es gehen, wenn die Tänzerinne­n und Tänzer des Bayerische­n Staatsbal‰ letts zum Kostümwech­sel von der Bühne gehen.

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