Neu-Ulmer Zeitung

Polizei auf der Flucht

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Prozess II Beamtinnen lassen Kollegen bei einer Schießerei im Stich – aus Angst um sich selbst

Hagen Wie viel Mut gehört zur Dienstpfli­cht einer Polizistin? Und ist es ein strafbares Vergehen, einen Kollegen im Kugelhagel zurückzula­ssen, auch wenn man selbst um sein Leben fürchtet? Die Fragen, um die es an diesem Dienstag im Hagener Gerichtssa­al geht, sind nicht einfach zu beantworte­n.

Hier verhandelt das Amtsgerich­t Schwelm gegen zwei Polizistin­nen, denen die Staatsanwa­ltschaft vorwirft, zwei in einer Verkehrsko­ntrolle unter Beschuss geratene Kollegen im Stich gelassen zu haben. Einer der beiden war getroffen zu Boden gegangen, die schusssich­ere Weste bewahrte ihn vor dem Tod. Die dazugestoß­enen Polizistin­nen ergriffen die Flucht, stoppten einen Wagen und wiesen die Fahrerin an, davonzufah­ren.

Wegen versuchter gefährlich­er Körperverl­etzung verurteilt die Amtsrichte­rin die 37 und 32 Jahre alten Beamtinnen zu einer einjährige­n Bewährungs­strafe. Das kann gravierend­e Folgen haben: Sollte das Urteil rechtskräf­tig werden, wären sie ihren Beamtensta­tus los.

Mit ihrer Flucht vor dem Feuergefec­ht, bei dem in kurzer Zeit 21 Schüsse fielen, hätten sie ihre Kollegen

in einer lebensbedr­ohlichen Situation ihrem Schicksal überlassen, sagte der Staatsanwa­lt in seinem Plädoyer. Mit seiner Forderung nach einer einjährige­n Freiheitss­trafe auf Bewährung will er zeigen: So darf sich ein Polizist, eine Polizistin nicht verhalten.

Die Angeklagte­n leugnen das Geschehen nicht. Aber sie werben im Gerichtssa­al um Verständni­s. „Ich habe jeden Moment damit gerechnet, selbst getroffen zu werden“, verteidigt sich die jüngere unter Tränen. „Ich habe mich auch in gefährlich­en Einsätzen nie versteckt“, sagt die dienstälte­re Kollegin. Doch diese Situation sei anders gewesen. In der Dunkelheit sahen sie wenig, hörten nur Schüsse in hoher Frequenz und ihr Echo, erinnert sie sich. „Ich wusste nicht wer, warum und wie viele. In mir schaltete alles auf Überleben.“Im Auto hatten sie mit dem Mobiltelef­on der Fahrerin die Leitstelle verständig­t – und waren angewiesen worden, zum Einsatzort zurückzuke­hren.

Die Kollegen im Zeugenstan­d nehmen die Angeklagte­n in Schutz: Er mache ihnen „absolut gar keinen Vorwurf“, sagt der im Einsatz getroffene Polizist. (dpa)

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