Willkommen in der Vorhölle
Wmqualifikation Die italienische Nationalmannschaft muss auf dem Weg zur Weltmeisterschaft einen Umweg nehmen.
Das erinnert an traumatische Tage vor vier Jahren. Der Europameister traut sich selbst nicht mehr
Rom Im Juli war die Welt für Italien mehr als in Ordnung. Die damals seit mehr als zwei Jahren unbesiegte Mannschaft von Trainer Roberto Mancini hatte die EM gewonnen. Überraschend zwar, doch der Erfolg war angesichts der begeisternden Spielweise eines Teams aus eher unbekannten Spielern verdient. Vier Monate später ist Italiens Fußball in der Vorhölle angekommen. Am letzten Spieltag der Wm-qualifikation gegen Nordirland am Montagabend kamen die „Azzurri“über ein 0:0 nicht hinaus und wurden nur Tabellenzweiter hinter der Schweiz. Denn die tat, was sie tun musste und gewann zeitgleich mit 4:0 gegen Bulgarien. „Was für ein Albtraum“, titelte die Gazzetta dello Sport am und fügte hinzu: „Aber es ist noch nicht zu Ende“.
Gemeint war die Möglichkeit, sich doch noch für die WM im kommenden November in Katar zu qualifizieren. Im März finden Play-offs statt, in denen sich zwölf europäische Mannschaften in einem Finalturnier um drei Wm-plätze streiten werden. Italien ist dabei. Pessimisten interpretieren den Zusatz in der Titelzeile der Gazzetta auf folgende Weise: Der Albtraum sei eben noch nicht zu Ende. Er werde sich bis nach den Play-offs im Frühjahr fortsetzen. Wenn auch diese Chance verpasst sei. Denn für Pessimismus gibt es im Hinblick auf die Squadra Azzurra derzeit genügend Anlass – auch wenn am Montagabend Trainer Roberto Mancini selbstsicher prognostizierte: „Wir qualifizieren uns im März für die WM. Und vielleicht gewinnen wir sie dann auch noch, wer weiß“. Was vor Monaten realistisch war, klang in Belfast nach tiefem Trotz. Denn dass Italien in seinem desolaten Zustand erneut ein großes Turnier gewinnen könnte, ist heute pure Fantasie.
In den Wm-qualifikationsspielen seit Gewinn der EM gelang Italien nur ein Sieg in fünf Spielen, ein 5:0 gegen Litauen. Viermal gingen die Spieler um Torwart Gianluigi Donnarumma mit einem Unentschieden vom Platz. In den beiden Partien gegen den Direkt-konkurrenten Schweiz verschoss Jorginho jeweils einen entscheidenden Elfmeter, beim 1:1 am vergangenen Freitag gar in der 90. Minute. Die mentale Krise des Europameisters wurde in diesen Momenten deutlich.
Die Welle der Euphorie, auf der die Männer Mancinis durch das Em-turnier gesurft waren, ist längst gebrochen. Als „erschöpft und etwas hochnäsig“empfand Trainer-legende Arrigo Sacchi nun das Auftreten der Mannschaft in Nordirland.
Italien hat ein „Problem mit dem Tor“, urteilte Tuttosport. Die bestimmt das Spiel, erzielt aber keine Treffer. Das Thema begleitet Mancinis Team bereits seit der EM, als Stürmer Immobile, der bei Lazio Rom in dieser Saison schon elf Treffer erzielt hat, zwar gut startete – seit dem zweiten Gruppenspiel aber nicht mehr traf. Auch seine Vertreter haben das Problem nicht gelöst.
Italiens im Sommer bewunderter Angriffsfußball ist Vergangenheit. Den Em-pokal eroberte Italien, eine Mannschaft ohne große Stars und ohne außerordentliches Talent, in einem euphorischen Sturmlauf. Der Erfolg setzte nicht etwa neue Kräfte frei, sondern führte zu Selbstüberschätzung und Sattheit. Die Leichtigkeit ist weg, der Überraschungseffekt auch. Der Europameister hängt nun „am seidenen Faden“. So titelte der Corriere dello Sport.
Immer stärker kommen nun auch traumatische Erinnerungen auf. 1958 verpasste Italien erstmals die Qualifikation für eine WM, ausgemannschaft rechnet ebenfalls in Belfast gegen Nordirland. Vor der WM 2018 scheiterten die Azzurri in den Playoffs gegen Schweden, und fuhren erstmals seit 60 Jahren nicht zum Turnier. Schweden droht nun erneut als Gegner bei den Play-offs im März. Vor welchem Gegner Italien am meisten Angst haben müsse, wurde der stellvertretende Chefredakteur der Gazzetta dello Sport, Andrea Di Caro, am Dienstag gefragt. Seine Antwort lautete: „Vor sich selbst.“