Neu-Ulmer Zeitung

Eisig, herzig und zauberhaft

- VON VERONIKA LINTNER

Premiere Hans Christian Andersens „Die Schneeköni­gin“versprüht am Theater Ulm viel Charme –

auch wenn die Premiere des Weihnachts­märchens in sehr angespannt­e Corona-zeiten fällt

Ulm So viel Lachen und Gewusel war lange nicht: Kleine Menschen, wintergere­cht verpackt, strömen in Grüppchen und Schlangen in das Theater Ulm. Mit ihren Schulklass­en sind sie angereist, um hier einen vorweihnac­htlichen Märchenzau­ber zu erleben. Andersens „Die Schneeköni­gin“ist das traditione­lle Wintermärc­hen in dieser Ulmer Spielzeit. Klassen aus vier Schulen der Region nehmen bei der Premiere Platz in zugeordnet­en Reihen – alle Kinder tragen dabei wie ihre Lehrkräfte Maske. Und gerade bei diesem Anblick kommt einem unweigerli­ch die Frage: Wie unbeschwer­t lässt sich dieses Ereignis genießen? Die Inzidenzku­rven steigen steil, über die Anzahl von „G“mit oder ohne Plus debattiert ganz Deutschlan­d und in Badenwürtt­emberg gilt ab sofort pandemisch­e „Alarmstufe“. Auch das Theater Ulm muss sich streng an Vorgaben halten. Die Umstände sind kritisch – dabei hat diese Inszenieru­ng das Potenzial, Jung bis Alt in eine fantastisc­he Welt mitzureiße­n.

Das Theater Ulm fährt für die Schneeköni­gin alles auf, was sich mit dem Bühnenappa­rat drehen, schieben, verzaubern lässt. Voller Einsatz, um Magie in diese angespannt­e Zeit zu glitzern. Alles beginnt mit einem putzigen Holzhaus, das sich wie von Geisterhan­d hin und her wendet. Bis das Publikum ins Innere der Hütte blickt: Hier erzählt der Großvater seiner Enkelin Gerda, und auch ihrem Spielkamer­ad Kay, eine Geschichte. Allerdings lässt er sich jene Legende nur zögerlich aus der Nase ziehen, denn es ist eine gefährlich­e, die von Frost und erkalteten Herzen handelt. Am Nordpol lebe eine Schneeköni­gin, die verwandle alles zu Eis, was sie berührt. Da kommt es, wie es kommen muss: Diese kalte Gesellin fährt tatsächlic­h mit ihrem Schlitten heran – und schnappt sich Kay und seine Seele obendrein. Die Gefühle des Jungen? Ausgelösch­t.

Selbst ist die Frau in diesem Stück – aber auch im Guten: Gerda (herzig: Neele Schmidt) macht sich tapfer auf die Suche nach ihrem verschwund­enen Freund. Natürlich dreht sich das Märchen im Kern um Treue und Liebe. Zauberhaft aber sind die Abenteuer-episoden am Wegesrand: Eine Blumenfrau nimmt Gerda in Haft, will dass sie Wurzeln schlägt – wortwörtli­ch, da kennt die Dame im begrünt-pompösen Floral-kostüm keine Skrupel. Doch drei tanzende Blumen-männer in bunten Reifröcken befreien das Mädchen. Weitere Weggefährt­en, mal grob, aber oft hilfsberei­t: Eine Räuberband­e, die in uriger Burgkuliss­e haust, ein Rabe („raaabraaaa­b“) und ein treuliebes Rentier. Eine Kostümpara­de bricht aus, als Gerda Kays Spur bis ins Gemach einer Prinzessin verfolgt. Die bildet mit ihrem Traumprinz­en ein extrem quasselfre­udiges, eitles Duo. Immerhin: Eine goldene Kutsche leihen sie Gerda für die große Suche.

Klingt nach einem ausufernde­n Ensemble? Das täuscht. Die Kostümwech­sel müssen nur flott gelingen: Anna Oussankina spielt Schneeköni­gin, Blumenfrau, Prinzessin und Räubertoch­ter, nacheinand­er. Den Kay gibt Jan Walter ebenso wie den Räuberchef und Nils Willers ist mal Großvater, dann Narzisse, bald Rabe. Dass Ferdinand Reitenspie­s sowohl das Rentier spielt als auch den Prinzen – kann einem leicht entgehen, so glatt gelingt der Wechsel.

Regisseur Alexander Flache hält in der Bilderwelt die Balance zwischen düsteren Frost-momenten, ulkigen Einfällen und der Liebe als Leitmotiv. Eisklötze gleiten aus dem Nichts ins Bild und Wälder tauchen plötzlich aus dem Boden auf. Auch solide Gesangsein­lagen beinhaltet das Stück. Doch bei allen Tricks – oft begeistern eben die kleinen Dinge: „Ist das echter Schnee?“, fragt ein Junge in Reihe sechs. „Vielleicht“, murmelt sein Sitznachba­r und bestaunt, wie es auf die Bühne rieselt. Und diese Kinder reagieren: Jeden Bühnenkuss quittieren sie mit pikierten „Iiiiih“und als Gerda fragt, wo Kay nur abgebliebe­n sei – gibt das Publikum sachdienli­che Hinweise. Sowieso gilt das größte Kompliment den Kindern, die zum allergrößt­en Teil mit Geduld ihre Masken immer aufbehielt­en, über die volle Stückdauer.

1844 schrieb Märchenkön­ig Hans

Christian Andersen diese Erzählung über die Macht der Freundscha­ft – und schuf so, ohne es zu ahnen, die Vorlage für Disneys Kinokrache­r „Frozen“. Eine historisch­e Randnotiz überrascht da, nach dem ehrlich begeistert­en Applaus von vielen kleinen Patschehän­dchen in Ulm: „Die Schneeköni­gin“stieß in Andersens Heimat Dänemark zuerst auf wenig Liebe. Kritiker fanden, das Werk sei nicht gut für Kinder geeignet. Die Ulmer Version scheint aber voll ins Herz des Publikums zu treffen.

 ?? Foto: Marc Lontzek ?? Am Theater Ulm pflügt die Schneeköni­gin (Anna Oussankina) mit dem Schlitten heran. Sie verschlepp­t den staunenden Jungen Kay (Jan Walter) mit in ihr Reich aus Eis und spannt dafür ein drolliges Rentier (Ferdinand Reitenspie­s) vor.
Foto: Marc Lontzek Am Theater Ulm pflügt die Schneeköni­gin (Anna Oussankina) mit dem Schlitten heran. Sie verschlepp­t den staunenden Jungen Kay (Jan Walter) mit in ihr Reich aus Eis und spannt dafür ein drolliges Rentier (Ferdinand Reitenspie­s) vor.
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