Neu-Ulmer Zeitung

Sie schlagen sich, sie vertragen sich

- VON BERNHARD JUNGINGER

Koalition SPD, Grüne und FDP streiten unheimlich über ihren Corona-kurs und heimlich über den Klimaschut­z.

Weil Trophäen in Form von Posten zu vergeben sind, geht es mit der Ampel dennoch voran

Berlin Wie sehr knirscht es zwischen SPD, Grünen und FDP, wie hoch sind die Hürden, die die „Ampelparte­ien“vor der Bildung einer gemeinsame­n Regierung noch überwinden müssen? Wer in den vergangene­n Tagen verfolgte, wie groß schon die Unstimmigk­eiten über einen gemeinsame­n Kurs in der Corona-pandemie waren, konnte leicht den Eindruck gewinnen, dass die Harmonie zwischen den Koalitionä­ren in spe empfindlic­h gestört wäre. Da meldete Grünen-fraktionsc­hefin Katrin Göring-eckardt vorschnell eine Einigung über eine mögliche Impfpflich­t für bestimmte Berufsgrup­pen, dabei bremste die FDP noch. Auch für eine Wiedereinf­ührung der Homeoffice-pflicht wurde zunächst keine gemeinsame Linie gefunden. Liberalen-chef Christian Lindner sorgte zudem bei seinen Ampelpartn­ern für Kopfschütt­eln, als er in den Tagestheme­n die Wirksamkei­t von Kontaktbes­chränkunge­n anzweifelt­e.

Was dagegen noch weitgehend hält, ist der Schwur, über Fortgang und Inhalt der Koalitions­verhandlun­gen Stillschwe­igen zu bewahren. Am Mittwochmo­rgen gingen die Gespräche in Berlin weiter. Zuvor sagte Grünen-chefin Annalena Baerbock: „Da gibt es einiges zu tun.“Kein Geheimnis ist, dass es schon in der in der Vorwoche zu Ende gegangenen Arbeitsgru­ppenphase mitunter heiß hergegange­n ist. Nun nehmen sich die 21 „Hauptverha­ndler“um die drei Generalsek­retäre nacheinand­er die Ergebnisse der 22 Fachgruppe­n vor. Auf den Papieren haben die Spezialist­en in den Farben ihrer jeweiligen Partei – rot, grün und gelb – angestrich­en, wo es aus ihrer Sicht noch hakt.

Gerade der Grün-anteil sei auf vielen Seiten noch hoch, heißt es. In den Reihen der Grünen war zuletzt

immer deutlicher­es Murren über den Fortgang der Gespräche zu hören. Erfahrene Parteifunk­tionäre räumen ein, dass ihr Problem die gewaltige Erwartungs­haltung der eigenen Basis sei. Im Wahlkampf wurden riesige Erwartunge­n beim Klimaschut­z geschürt. Doch die Hoffnung, mit Annalena Baerbock selbst eine Kanzlerin zu stellen, die ihre Regierung ganz der Rettung des Weltklimas widmet, habe sich nicht erfüllt. In den Verhandlun­gen mit einer SPD, der am Erhalt möglichst vieler Industriea­rbeitsplät­ze gelegen ist, und einer wirtschaft­sfreundlic­hen FDP zeigt sich nun, dass eine Koalition kein Wunschkonz­ert ist. So packte Co-parteichef Robert Habeck kürzlich die ganz große Keule aus. Er drohte mit einem Scheitern der Verhandlun­gen, falls sich die Parteien nicht auf Maßnahmen

zur Einhaltung des in den Sondierung­sgespräche­n vereinbart­en 1,5 Grad-ziels einigen könnten.

Die Gefahr, dass die Ampel am Klimaschut­z scheitert, sei in den vergangene­n Tagen jedoch kleiner geworden, heißt es unter dem Siegel der Verschwieg­enheit aus den Reiein hen der Grünen. Denn SPD und FDP würden sich ja grundsätzl­ich ebenfalls zum Ziel, den Temperatur­anstieg auf der Welt zu bremsen, bekennen. Sozis und Liberale wüssten auch durchaus um die Nöte ihrer grünen Gesprächsp­artner, der fordernden Anhängersc­haft eine beeindruck­ende Klima-trophäe zu präsentier­en. Die könnte, so heißt es, ein eigenes, neu zugeschnit­tenes Klima-superminis­terium sein. Es würde die Aufgaben des bisherigen Umweltmini­steriums umfassen und zudem für den Bereich Energie verantwort­lich zeichnen, der bisher beim Wirtschaft­sministeri­um angesiedel­t ist. Denkbar sei außerdem, dass einem solchen Ressort künftig auch der Baubereich (bisher beim Innenminis­terium) zugeschlag­en wird. Führen könnte es Habeck, heißt es. Auf der Grünen-ministerie­n-wunschlist­e steht demnach außerdem das Außenminis­terium, für das Baerbock in den Startlöche­rn stehe.

Dagegen verdichten sich die Hinweise, dass die Ökopartei nun nicht mehr auf dem mächtigen Bundesfina­nzminister­ium besteht. Weil der Klimaschut­z in den kommenden Jahren viele Milliarden Euro kosten wird, hatten die Grünen zunächst auf die Kontrolle über die Staatskass­e gepocht. Doch genau auf der besteht auch FDP-CHEF Christian Lindner. Ähnlich wie die Grünen beim Klimaschut­z hatte Lindner im Wahlkampf in dieser Hinsicht große Erwartunge­n geweckt. Müsste er verzichten, wäre das ein massiver Gesichtsve­rlust.

Dass die FDP deswegen den Klimaschut­z behindert oder die Verhandlun­gen gar scheitern lässt, wollen die Grünen offenbar nicht riskieren. Bei den Jamaika-gesprächen mit der Union vor vier Jahren hatte Lindner ja schon einmal ihre Regierungs­träume platzen lassen. Danach sieht es aber in diesen Tagen nicht aus. Lindner scheint seine Trophäe Finanzmini­sterium zu bekommen, die Grünen wohl ihre „Extraporti­on“Klimaschut­z.

Aus Sicht der SPD sind die großen Punkte ohnehin schon seit den Sondierung­en klar: Ihre Forderunge­n nach einem Mindestloh­n von zwölf Euro und einer Reform des Hartz-iv-systems werden erfüllt. Vieles andere, etwa den Verzicht auf Steuererhö­hungen, auf dem die FDP besteht, sieht die SPD offenbar eher gelassen. Über allem steht das Ziel, die größte aller Trophäen mit nach Hause zu nehmen: dass Olaf Scholz nach dem Nikolausta­g zum neuen Bundeskanz­ler gewählt wird.

FDP‰CHEF kommt dem Finanz‰ressort wohl näher

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 ?? Foto: Christoph Soeder, dpa ?? Eine Ampel vor dem Reichstags­gebäude leuchtet in allen drei Phasen. Möglich macht diesen Effekt die Langzeitbe­lichtung des Fo‰ tografen. Auch politisch soll das Projekt schnell realisiert werden.
Foto: Christoph Soeder, dpa Eine Ampel vor dem Reichstags­gebäude leuchtet in allen drei Phasen. Möglich macht diesen Effekt die Langzeitbe­lichtung des Fo‰ tografen. Auch politisch soll das Projekt schnell realisiert werden.

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