Merkel hat ihr politischer Instinkt verlassen
Angela Merkels Anerkennung in der ganzen Welt beruht auf ihrer nüchternen Sachlichkeit. Prunk und Protz gehen der Pfarrerstochter vollkommen ab. Kein Vergleich zur Inszenierung französischer oder amerikanischer Präsidenten, wenn sie bei Staatsbesuchen mit enormer Entourage angerauscht kommen. Das Präsentieren der Macht haben sie von den Königen geerbt. Angela Merkel ist keine Königin und wird auch keine mehr, wenn sie sich bald in den Ruhestand zurückzieht. Deshalb will es überhaupt nicht zu ihr passen, dass sie sich jetzt ein zumindest fürstlich ausgestattetes Büro für ihre Zeit „außer Dienst“genehmigt. Es passt aber dazu, dass unter ihrer Ägide der Apparat der Staatsspitze mächtig zugelegt hat. Die Ministerien haben seit 2005 tausende Stellen hinzubekommen. Das Kanzleramt braucht sogar einen Anbau, der seine Grundfläche verdoppelt.
Begründet wird der kräftige Aufwuchs damit, dass die Welt komplizierter geworden sei und deshalb mehr entschieden, gesteuert und verwaltet werden müsse. Das verstärkte Beamtenheer hat aber nicht dazu geführt, dass die Regierung besser arbeitet. Keine Regierung hat so viele Millionen Euro für teure Beraterfirmen ausgegeben wie die Große Koalition der Kanzlerin.
Angela Merkel ist eine verdiente Politikerin und wird auch in Zukunft eine gefragte Rednerin und Autorin sein. Deshalb ist ihr ein Büro zu gönnen, das ihr Arbeit abnimmt und sie unterstützt.
Deutschland hat auch in Zukunft etwas davon, wenn eine derart geschätzte Politikerin ihre Kontakte einsetzt, um Dinge zu bewegen.
Gerhard Schröder hat das neben seinen Gasgeschäften immer wieder getan und zum Beispiel in der Türkei die Freilassung eines Menschenrechtsaktivisten erreicht. Doch für diese diplomatischen Missionen braucht es nicht neun Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Merkel hat in dieser Frage der Instinkt verlassen. Der Bundestag hat bereits 2019 entschieden, dass ihr Nachfolger im Ruhestand mit fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auskommen muss. Sie, die ihre Arbeit als Dienst begreifen wollte, hätte sich in diesem Fall auf dieses Maß bescheiden sollen, wie es eigentlich ihrer Persönlichkeit entspricht.