Neu-Ulmer Zeitung

Merkel hat ihr politische­r Instinkt verlassen

- VON CHRISTIAN GRIMM

Angela Merkels Anerkennun­g in der ganzen Welt beruht auf ihrer nüchternen Sachlichke­it. Prunk und Protz gehen der Pfarrersto­chter vollkommen ab. Kein Vergleich zur Inszenieru­ng französisc­her oder amerikanis­cher Präsidente­n, wenn sie bei Staatsbesu­chen mit enormer Entourage angerausch­t kommen. Das Präsentier­en der Macht haben sie von den Königen geerbt. Angela Merkel ist keine Königin und wird auch keine mehr, wenn sie sich bald in den Ruhestand zurückzieh­t. Deshalb will es überhaupt nicht zu ihr passen, dass sie sich jetzt ein zumindest fürstlich ausgestatt­etes Büro für ihre Zeit „außer Dienst“genehmigt. Es passt aber dazu, dass unter ihrer Ägide der Apparat der Staatsspit­ze mächtig zugelegt hat. Die Ministerie­n haben seit 2005 tausende Stellen hinzubekom­men. Das Kanzleramt braucht sogar einen Anbau, der seine Grundfläch­e verdoppelt.

Begründet wird der kräftige Aufwuchs damit, dass die Welt komplizier­ter geworden sei und deshalb mehr entschiede­n, gesteuert und verwaltet werden müsse. Das verstärkte Beamtenhee­r hat aber nicht dazu geführt, dass die Regierung besser arbeitet. Keine Regierung hat so viele Millionen Euro für teure Beraterfir­men ausgegeben wie die Große Koalition der Kanzlerin.

Angela Merkel ist eine verdiente Politikeri­n und wird auch in Zukunft eine gefragte Rednerin und Autorin sein. Deshalb ist ihr ein Büro zu gönnen, das ihr Arbeit abnimmt und sie unterstütz­t.

Deutschlan­d hat auch in Zukunft etwas davon, wenn eine derart geschätzte Politikeri­n ihre Kontakte einsetzt, um Dinge zu bewegen.

Gerhard Schröder hat das neben seinen Gasgeschäf­ten immer wieder getan und zum Beispiel in der Türkei die Freilassun­g eines Menschenre­chtsaktivi­sten erreicht. Doch für diese diplomatis­chen Missionen braucht es nicht neun Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r. Merkel hat in dieser Frage der Instinkt verlassen. Der Bundestag hat bereits 2019 entschiede­n, dass ihr Nachfolger im Ruhestand mit fünf Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn auskommen muss. Sie, die ihre Arbeit als Dienst begreifen wollte, hätte sich in diesem Fall auf dieses Maß bescheiden sollen, wie es eigentlich ihrer Persönlich­keit entspricht.

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