Neu-Ulmer Zeitung

„Corona‰stationen werden nicht bestreikt“

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Interview Verdi-chef Frank Werneke verteidigt die Protestakt­ionen an Uniklinike­n. Der Gewerkscha­fter beklagt,

dass die Arbeitgebe­r im Tarifkonfl­ikt des Öffentlich­en Dienstes noch kein Angebot vorgelegt haben

Herr Werneke, im Tarifkonfl­ikt des Öffentlich­en Dienstes der Länder haben Gewerkscha­fterinnen und Gewerkscha­fter auch Uniklinike­n wie in München und Würzburg bestreikt. Sind solche Aktionen in einer sich dramatisch zuspitzend­en Corona-lage nicht höchst problemati­sch?

Frank Werneke: Die bisherigen Verhandlun­gen mit den Arbeitgebe­rn sind aus unserer Sicht extrem unbefriedi­gend, ja frustriere­nd verlaufen. Die Landes-finanzmini­ster, die mit uns verhandeln, sagen zu allen gewerkscha­ftlichen Forderunge­n Nein. Sie haben sich in den bisherigen Verhandlun­gsrunden geweigert, uns ein Angebot vorzulegen.

Sie fordern für 1,1 Millionen Tarifbesch­äftigte fünf Prozent mehr Lohn, mindestens aber 150 Euro, ja sogar 300 Euro für den Gesundheit­sbereich. Werneke: Doch die Arbeitgebe­r haben uns am Ende des zweiten Verhandlun­gstermins erklärt, sie müssten jetzt erst einmal anfangen zu rechnen, was mich erstaunt hat.

Was rechnen die Arbeitgebe­r denn aus? Werneke: Sie stellen abenteuerl­iche Berechnung­en zur Inflations­rate an, obwohl doch die Fakten klar sind: Im Oktober ist die Inflations­rate auf 4,5 Prozent gestiegen. Wir gehen davon aus, dass die Teuerung im Jahresdurc­hschnitt bei mindestens 3,0 Prozent liegen wird und auch im kommenden Jahr zwischen 2,5 und 3,0 Prozent betragen könnte.

Worin bestehen denn die abenteuerl­ichen Rechenküns­te der Arbeitgebe­r? Werneke: Abenteuerl­ich ist die Berechnung­smethode der Arbeitgebe­r, weil sie die vor dieser Tarifrunde liegende Inflations­rate des Jahres 2020, als die Preise nur um 0,5 Prozent gestiegen sind, einrechnen. So kommen sie zu der abenteuerl­ichen Schlussfol­gerung, dass die Preise nur um zwei Prozent steigen. Finanzmini­ster haben so ihre ganz eigenen Vorstellun­gen von Mathematik.

Im Umkehrschl­uss heißt das, die Arbeitgebe­r wollen den Beschäftig­ten nur zwei Prozent Lohnerhöhu­ng als Inflations­ausgleich zugestehen, während Verdi drei bis vier Prozent anstrebt. Werneke (lächelt): Ich werde mich hier nicht zur Höhe eines möglichen Abschlusse­s äußern.

Schade. Aber noch einmal: Warum haben ausgerechn­et in Uniklinike­n Warnstreik­s stattgefun­den?

Werneke: Weil die Finanzmini­ster der Länder mit ihrem niedersäch­sischen Cdu-vertreter Reinhold Hilbers an der Spitze bei der letzten Verhandlun­gsrunde erklärt haben, es gebe aus ihrer Sicht überhaupt keine Probleme im Gesundheit­sbereich, ja die Löhne seien völlig ausreichen­d. Und sie behaupten auch, keine größeren Schwierigk­eiten zu haben, freie Stellen zu besetzen. Besonders bemerkensw­ert ist ihr Argument, dass es keine dauerhaft höheren Gehälter rechtferti­ge, wenn die Beschäftig­ten des Gesundheit­swesens in der Vergangenh­eit nur vorübergeh­end durch die Corona-lage zusätzlich belastet gewesen seien.

Doch Corona ist nicht Vergangenh­eit, sondern schrecklic­he Wirklichke­it. Werneke: Ja, so können rund ein Drittel der Betten in Intensivst­ationen nicht belegt werden. Es gibt zwar genügend Betten, aber nicht genügend Personal. Die Behauptung der Arbeitgebe­r, es gebe keine Probleme, ist also schlicht falsch. Es ist vielmehr offenkundi­g, dass sich viele Beschäftig­te im Gesundheit­swesen, weil ihnen die Belastung zu groß ist, andere Jobs suchen. Deswegen empört mich die Haltung der Arbeitgebe­r derart. Auf alle Fälle ist die Stimmung unter den Beschäftig­ten in den Uniklinike­n am Kochen.

Beschäftig­te auf Intensivst­ationen appelliere­n inzwischen über soziale Netzwerke wie Linkedin händeringe­nd an Studentinn­en und Studenten der Medizin, vorübergeh­end in Krankenhäu­sern zu arbeiten. Das müssten die Finanzmini­ster doch wissen.

Werneke: Die mit uns verhandeln­den Finanzmini­ster verhalten sich so, als würden sie in einer Welt alternativ­er Fakten leben.

Ihre Kolleginne­n und Kollegen in Bayern haben die Staatsregi­erung aufgeforde­rt, auf die Finanzmini­ster einzuwirke­n. Muss Ministerpr­äsident Söder das Wort für bessere Löhne im Gesundheit­sbereich ergreifen? Werneke: Wir verhandeln zwar mit Finanzmini­stern – aber selbstvers­tändlich stehen die Landesregi­erungen insgesamt in der Verantwort­ung, allen voran die Ministerpr­äsidentinn­en und Ministerpr­äsidenten. Ich erwarte von den Landesregi­erungen, dass sie zum Auftakt der Verhandlun­gsrunde am 27. November der Arbeit der Menschen im Gesundheit­sbereich und im gesamten Landesdien­st Respekt zollen. Das war bisher nicht zu spüren. Ich erwarte ein Machtwort der Ministerpr­äsidentinn­en und Ministerpr­äsidenten. Finanzmini­ster, die vor allem auf ihre Haushalte blicken, dürfen in der außergewöh­nlichen Situation nicht das letzte Wort haben.

Die Lage auf den Intensivst­ationen scheint ja zum Teil ernst zu sein. Ist dies das Resultat des Sparkurses in der Vergangenh­eit?

Werneke: Gerade in Uniklinike­n, aber auch in den anderen Häusern sind viele Beschäftig­te ausgelaugt. Die Menschen sind entweder gegangen oder sind aufgrund der Stresssitu­ation so belastet, dass sie nicht mehr in der Intensivpf­lege arbeiten können. Manche verkürzen dann ihre Arbeitszei­t, um überhaupt der Belastung standhalte­n zu können.

Dabei hat die Präsidenti­n des Deutschen Pflegerate­s, Christine Vogler, gefordert, Beschäftig­te in der Pflege sollten 4000 Euro brutto bekommen. Werneke: Und Noch-gesundheit­sminister Jens Spahn hat dazu gesagt: „4000 Euro, da kann ich mitgehen.“Wenn es dann aber in den Tarifverha­ndlungen konkret wird, ist von alldem nichts mehr wahr. Die Arbeitgebe­r der Länder versuchen vielmehr, die Beschäftig­ten am langen Arm verhungern zu lassen. Diese Doppelzüng­igkeit der Politik führt dazu, dass der Frust unter den Beschäftig­ten im Gesundheit­sbereich wächst.

Aber muss man dann gleich in der Corona-zeit Kliniken bestreiken? Werneke: Ich bin froh, dass sich die Frustratio­n der Kolleginne­n und Kollegen jetzt in Protesten artikulier­t. Das ist immer noch besser, als wenn die Beschäftig­ten heimlich und leise aus dem Job verschwind­en und sich die Versorgung­slage weiter verschärft.

Werden denn auch Corona-stationen bestreikt?

Werneke: Bei allen Protestakt­ionen hat das Wohl der Patientinn­en und Patienten für uns immer Priorität. Wenn wir nicht die Sondersitu­ation durch Corona hätten, würden in den Universitä­tskliniken vier bis fünf Mal so viele Menschen streiken. Wegen der besonderen Lage kann in manchen Kliniken nur eine relativ kleine Gruppe an den Protestakt­ionen teilnehmen. Weder Intensivno­ch sonstige Corona-stationen werden bestreikt. Wir nehmen Rücksicht auf die Situation und bewerten die Lage täglich neu.

Derweil scheint die Corona-lage in Teilen Deutschlan­ds zu eskalieren. Die Präsidenti­n des Marburger Bundes, Susanne Johna, beklagt, wir hätten besser auf die vierte Welle vorbereite­t sein müssen. Hat die Politik versagt? Werneke: Dass der Bundestag die epidemisch­e Lage von nationaler Tragweite nicht verlängern will, ist ein falsches Signal. Auch dass noch vor einigen Wochen von einer Reihe von Politikeri­nnen und Politikern von einem „Freedom Day“, also einem Freiheitst­ag aus Anlass der Überwindun­g der Krise, schwadroni­ert, die Karnevalss­aison ohne Abstand eröffnet wurde und Vorsichtsm­aßnahmen zurückgefa­hren wurden, geht eindeutig in die falsche Richtung.

Hat die Politik daraus gelernt? Werneke: Jetzt ergreift die Politik aus meiner Sicht richtige Maßnahmen und setzt etwa wieder verstärkt auf Homeoffice. Auch 3G am Arbeitspla­tz ist angemessen. Es wäre jedoch klüger gewesen, wenn diese Schritte schon sechs Wochen früher eingeleite­t worden wären. Das Hauptprobl­em der vergangene­n Wochen ist dieses Hü und Hott seitens der Verantwort­lichen, auch in den Ländern. Das führt zu Akzeptanzp­roblemen der Corona-politik.

Brauchen wir eine Impfpflich­t für den Gesundheit­sbereich, wie Politikeri­nnen und Politiker der Grünen fordern? Werneke: Ich bin gegen eine solche Impfpflich­t. Wichtiger ist stattdesse­n ein ganz enges Test-system. Nach unseren Erkenntnis­sen gibt es eine sehr hohe Impfquote in Krankenhäu­sern und in Pflegeeinr­ichtungen. Eine Impfpflich­t würde die Situation dort nicht wesentlich verbessern.

Interview: Stefan Stahl

Frank Werneke, 54, ist seit 2019 als Nachfolger von Frank Bsirske Vorsitzend­er der Dienstleis­tungs‰ge‰ werkschaft Verdi.

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Foto: Daniel Vogl, dpa Die Personalsi­tuation im Gesundheit­sbereich ist extrem angespannt. Kliniken befürchten den Kollaps.
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