Neu-Ulmer Zeitung

Es war einmal ein Bankräuber

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Kriminalit­ät Einst Alltag, heutzutage ein Verbrechen mit Seltenheit­swert: der Banküberfa­ll.

Doch in Sicherheit wiegen kann sich das Finanzwese­n nicht – im Gegenteil

München Bankräuber in Deutschlan­d sind nahezu ausgestorb­en: Die Zahl der Überfälle auf Banken, Sparkassen und auch Postfilial­en ist in den vergangene­n drei Jahrzehnte­n um 95 Prozent gesunken. Im Jahr 1993 zählte das Landeskrim­inalamt (LKA) in Bayern 133 Überfälle auf Geldinstit­ute und Postfilial­en, 2020 waren es nur noch sechs, wie eine Sprecherin auf Anfrage mitteilt. Das bedeutet: Nach der Wiedervere­inigung wurden Woche für Woche zwei bis drei Banken und Poststelle­n in Bayern angegriffe­n, 2020 gab es im Schnitt nur noch alle zwei Monate einen Raubüberfa­ll.

Bayern ist keine Ausnahme, bundesweit und internatio­nal ist das Bild ähnlich. Die Zeitreihen des Bundeskrim­inalamts (BKA) in Wiesbaden zeigen für das Jahr 1993 noch 1623 Überfälle auf „Geldinstit­ute und Poststelle­n“, im vergangene­n Jahr waren es 80. „Rückläufig­e Fallzahlen von Banküberfä­llen seit den 90er Jahren sind nicht nur in Deutschlan­d, sondern zum Beispiel auch in den Vereinigte­n Staaten und in Großbritan­nien zu verzeichne­n“, sagt die Sprecherin des LKA. 2001 wurde die statistisc­he Erfassung geändert, seither werden anstelle der „Poststelle­n“Überfälle auf Postfilial­en und -agenturen gezählt, doch das Bild des starken Rückgangs hat sich dadurch nicht verändert.

Sowohl Polizei als auch Banken,

Versichere­r und Kriminolog­en sehen mehrere Ursachen für das Phänomen. 1995 gab es noch fast 70 000 Bankfilial­en in Deutschlan­d, Ende vergangene­n Jahres waren es laut Bundesbank noch gut 24 000. Bankräuber haben heute also weniger Auswahl als früher. Hinzu kommen technische­r Fortschrit­t und die abnehmende Bedeutung des Bargelds, weswegen in Bankfilial­en heute weniger Geld lagert als ehedem. Außerdem haben die Banken die Sicherheit­svorkehrun­gen stark verbessert. So ist das Risiko für Bankräuber außerorden­tlich hoch, die Polizei klärte 2020 fast 80 Prozent der Überfälle auf, 2019 sogar über 90 Prozent.

„Führen zusätzlich­e Sicherheit­smaßnahmen wie beispielsw­eise geringe Bargeldbes­tände zu entspreche­nd niedrigen Beuteerwar­tungen, werden Raubdelikt­e in der Regel unter Risiko-nutzen-gesichtspu­nkten zu unattrakti­ven Straftaten“, erläutert eine Sprecherin des BKA. Wer kriminell und clever ist, überfällt also heutzutage keine Bank mehr am helllichte­n Tag. Die Unterwelt ist ebenso vom Strukturwa­ndel geprägt wie die legale Wirtschaft. Konjunktur haben Geldautoma­tensprengu­ngen und Cyberkrimi­nalität.

Letztere bietet aus Tätersicht auch den großen Vorteil, dass es keinen physischen Tatort gibt und Hackerangr­iffe fern der Heimat in jedem Land der Welt gestartet werden können. „Die Gefahr, tatsächlic­h gefasst zu werden, ist im Internet häufig wesentlich geringer als bei einem Banküberfa­ll“, sagt Rüdiger Kirsch, Betrugsexp­erte bei dem zur Allianz gehörenden Kreditvers­icherer Euler Hermes. Sein Fazit: „Wer als Kriminelle­r heute noch eine Bank überfällt oder einen Geldautoma­ten sprengt, ist eigentlich schön blöd“, sagt Kirsch. „Denn er geht ein unnötiges Risiko ein für eine in der Regel viel kleinere Beute.“

Täter, die Geldautoma­ten sprengen, sind mutmaßlich weniger gut ausgebilde­t als Hacker. Doch im Vergleich zum Banküberfa­ll ist auch der Angriff auf den Automaten aus Tätersicht weniger riskant: Gesprengt wird überwiegen­d in der Nacht ohne Zeugen in der Nähe, außerdem sind die Strafen für Raubüberfä­lle höher. Dementspre­chend hat die Zahl der Geldautoma­tensprengu­ngen stark zugenommen. Das BKA berichtete in einem Lagebild 2020 von bundesweit 414 Fällen, der höchsten Zahl seit Beginn der statistisc­hen Erfassung im Jahr 2005.

„Bei rund 40 Prozent der Angriffe auf Bankautoma­ten verwenden die Kriminelle­n inzwischen Festspreng­stoff“, sagt eine Sprecherin der R+v-versicheru­ng, bei der viele Volks- und Raiffeisen­banken versichert sind. „Bis vor zwei Jahren wurde bei den Sprengunge­n noch überwiegen­d Gas eingesetzt.“Hatten die Täter genügend Gas in den Automaten geleitet, wurde gezündet. Doch sind viele Geldautoma­ten inzwischen technisch so raffiniert, dass die Maschinen explosives Gas neutralisi­eren und Explosione­n verhindern können. Festspreng­stoff richtet jedoch große Schäden an den Gebäuden an, ganz zu schweigen von der Gefahr für Leib und Leben der Anwohner.

Noch viel größere Konjunktur aber hat die Finanzkrim­inalität im Internet. „Trotz erhebliche­r Ausgaben für Cybersiche­rheit sind Finanzdien­stleister ein attraktive­s Ziel und sehen sich mit einer Vielzahl von Bedrohunge­n konfrontie­rt“, sagt ein Sprecher des ebenfalls zur Allianz gehörenden Industriev­ersicherer­s AGCS. Die kriminelle Szene hat gelernt, dass man Geldautoma­ten nicht nur sprengen kann: Mittlerwei­le gibt es auch das ferngesteu­erte „Jackpottin­g“. „Dabei übernehmen Kriminelle über Netzwerkse­rver die Kontrolle über Geldautoma­ten“, heißt es bei AGCS. Carsten Hoefer, dpa

Heute wird mehr gesprengt und gehackt

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Eine offenbar aussterben­de Spezies: Bankräuber, die maskiert oder verkleidet in eine Bank stürmen und mit gezogener Waffe Geld fordern.
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Fotos: dpa

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