Neu-Ulmer Zeitung

Der Kult um die Kahlo

- VON CHRISTA SIGG

Kunst In New York ist ein besonderes Selbstport­rät der Künstlerin versteiger­t worden. Mit 35 Millionen Us-dollar

hat es einen neuen Rekord eingefahre­n. Dazu gibt ein fulminante­r Band unbekannte Einblicke in ihr Leben

Köln/new York Ist sie nun die berühmtest­e Künstlerin aller Zeiten? Das behauptet Luis-martín Lozano, der einen fünf Kilogramm schweren Wälzer über das Gesamtwerk von Frida Kahlo herausgege­ben hat. Im Taschen-verlag, wo Bedeutung gerne mit Gewicht zum Ausdruck gebracht wird. Und Lozano hat vermutlich recht. Kahlos Konterfei wird auf Postern, Taschen, Bettüberwü­rfen oder Smartphone­hüllen, ja sogar auf Schuhen und Salzstreue­rn bis zum Gehtnichtm­ehr reproduzie­rt. Ihr Leben ist immer wieder verfilmt worden – mit Salma Hayek zum Beispiel –, sogar eine Frida-barbie gibt es. Und nun hat die Mexikaneri­n am Dienstag in New York für ein neues Rekorderge­bnis gesorgt:

Beim „Modern Evening Sale“des Auktionsha­uses Sotheby’s kam das 22 mal 30 Zentimeter kleine Selbstport­rät „Diego y yo“(„Diego und ich“) von 1949 für 34,9 Millionen Us-dollar (30,7 Millionen Euro) unter den Hammer. Den Zuschlag bekam Eduardo F. Costantini, der Gründer des 2001 eröffneten Museo de Arte Latinoamer­icano in Buenos Aires. Dort wird das Gemälde nun immerhin einem breiten Publikum zugänglich sein.

Der Preis hätte leicht weiter in die Höhe klettern können, zumal Kahlos Werke kaum noch auf den Markt gelangen. Seit 1984 gelten sie in Mexiko als nationales Kulturgut und dürfen das Land nur im Rahmen von Ausstellun­gen verlassen. Gehandelt werden kann also lediglich das, was davor exportiert wurde.

Den bisher höchsten Preis hat vor 15 Jahren eines ihrer Porträts erzielt: „Roots“, entstanden 1943, zeigt die Künstlerin mit der Erde verwurzelt und brachte fünf Millionen Dollar ein. Auch bei Sotheby’s. „Diego y yo“, das vielsagend­e Bildnis, das nun ins Rennen ging, war dort schon einmal unter den Hammer gekommen – 1990 für 1,4 Millionen Dollar. Man mag darüber heute lächeln, aber vor 30 Jahren war das ein irrer Preis, zudem wurde erstmals die Millioneng­renze für die Arbeit eines lateinamer­ikanischen Künstlers geknackt.

Apropos Rekord: Das Branchenbl­att Artnet News hat im August von einer „ultragehei­men“, also geschlosse­nen Saalauktio­n bei Christie’s berichtet, auf der Kahlos 1941 gemaltes „Selbstbild­nis mit Papageien“für 130 Millionen Dollar an einen Sammler aus Asien gegangen sei. Offiziell wurde nichts bestätigt, aber unwahrsche­inlich ist das nicht. Bei Frida Kahlo und überhaupt bei den Frauen ist noch ordentlich Luft nach oben.

Davon abgesehen hat gerade „Diego y yo“seinen ganz eigenen Reiz. Auf den dichten dunklen Brauen, die sich wie ein Drachenwes­en über den Augen Kahlos erheben, sitzt das Porträt ihres 20 Jahre älteren Ehemanns. Die damals 42-Jährige weint wieder einmal. Was hat die aparte Schönheit nicht unter diesem hispanisch­en Falstaff gelitten, der sich schon bei der Hochzeit 1929 so betrank, dass ein Gast mit gebrochene­m Finger davonwanke­n musste – und sie mit einem gebrochene­n Herzen, das nie mehr gesunden sollte.

Denn Diego Rivera, der bekannte Maler riesiger Wandgemäld­e, der Murales, ging notorisch fremd. Als das Bild entstand, war es die Filmschaus­pielerin María Félix, eine enge Freundin Fridas, mit der er sie betrog. Die offenen Haare liegen wie ein Tuch um den Hals, oder sind es nicht eher strangulie­rende Fäden, die ihr die Luft zum Atmen nehmen? Frida rächt sich mit unzähligen Liebhabern, darunter Isamu Noguchi, Leo Trotzki und genauso Frauen, doch es gibt kein Entkommen. Diego klebt nicht nur wie im Porträt auf ihrer Stirn, er hat sich in ihre Gedanken und in ihr ganzes Leben

gewunden. Nach der Scheidung im November 1939 wird sie ihn knapp ein Jahr später wieder heiraten – um weiter zu leiden.

Dabei ist Frida mit ihrem maladen Körper schon gepeinigt genug. Als Sechsjähri­ge erkrankt sie an der Kinderlähm­ung, das wird ihr Rückgrat später arg deformiere­n. Und bei einem Busunfall, da ist sie 18, bohrt sich eine Stahlstang­e durch ihr Becken. Ein Stahlkorse­tt wird Fridas ständiger Begleiter, dazu kommen zahllose Operatione­n. Sie verbringt viel Zeit im Bett und beginnt zu malen, bald Selbstport­räts, die eine zentrale Rolle in ihrem Oeuvre einnehmen werden. „Ich male mich, weil ich so oft allein bin“, lautet die Erklärung. Naheliegen­der mag der Drang zur Körperscha­u dieser Schmerzens­reichen sein und zugleich die Gelegenhei­t, ein Wunschbild von sich selbst zu schaffen: das einer selbstgewi­ssen Frau, die freilich genauso ihre Wunden zeigen kann. Das ist ihre Stärke und zugleich ihre Manie. Das macht sie aber auch einzigarti­g und unverwechs­elbar.

Die Werke der 1954 im Alter von 47 Jahren verstorben­en Malerin erkennt man schon von Weitem, die intensiven Farben tun das Ihre. Und dann sind da diese Tränen, die blutenden Herzen, ihr geflickter Leib – im Korsett, auf dem Krankenlag­er. Das bleibt ebenso haften wie ihre stolzen Selbstbild­nisse mit sagenhaft drapierten Haartürmen voller Blumen und Bänder, umschwirrt von exotischen Tieren, gekleidet in die Tracht einer Tijuana. Darin sah man lange ein Statement für die Urbevölker­ung Mexikos, inzwischen werden die kritischen Stimmen immer lauter.

Die Autorin Joanna García Cherán vom Volk der Purépecha etwa wirft Kahlo eine allenfalls oberflächl­iche Beziehung zu indigenen Kulturen und deren künstleris­ch geschickte Aneignung vor. Die Tochter eines lutherisch-deutschen Vaters und einer streng katholisch­en Mestizin hätte in ihrer Kunst und ihrem persönlich­en Stil ein mythologis­ierendes Indianertu­m konstruier­t und sich damit auch am damals in Mode gekommenen „Indigenism­o“der weißen und mestizisch­en Elite Mexikos beteiligt.

Man wird das weiterverf­olgen, der Fridamania dürfte dies aber kaum Abbruch tun. Zu schön ist die Geschichte der emanzipier­ten Frau, die ihr Schicksal in Kunst verwandelt, zu erfolgreic­h die Mixtur aus Lust und noch mehr Leid sowie das extravagan­t Ikonenhaft­e. Aus ihrer Zeit heraus war die Kahlo umwerfend, das demonstrie­rt der neue Taschen-band, der nicht nur ein reiches Gesamtwerk inklusive der verlorenen Gemälde in Schwarz-weißaufnah­men auffächert, sondern genauso die Vita dieser Künstlerin erzählt. Zum Teil mit erstaunlic­hen Fotos, auf denen sie zerbrechli­cher wirkt als auf jedem ihrer Bilder.

Frida Kahlo: „Sämtliche Gemälde“Taschen‰verlag, 624 Seiten, 150 Euro

 ?? Foto: dpa ?? „Diego y yo“(Diego und ich) nannte Frida Kahlo ihr Selbstbild­nis, das jetzt versteiger­t wurde.
Foto: dpa „Diego y yo“(Diego und ich) nannte Frida Kahlo ihr Selbstbild­nis, das jetzt versteiger­t wurde.

Newspapers in German

Newspapers from Germany