Schwul, verachtet und verfolgt
Kino II Franz Rogowski ist in „Große Freiheit“herausragend
Die Aufnahmen einer Super-8-kamera rattern tonlos über die Leinwand. Zwei Männer sind hier auf einer öffentlichen Toilette zu sehen, die nacheinander in derselben Kabine verschwinden. Die Bilder dienen in der Bundesrepublik des Jahres 1968 der Beweissicherung in einem Gerichtsprozess. Auf der Anklagebank sitzt Hans (Franz Rogowski). Und das vermeintliche Verbrechen, das ihm zur Last gelegt wird, nennt sich Homosexualität.
Der berüchtigte Paragraf 175 wurde 1872 in die deutsche Verfassung aufgenommen und erst 1992 aus dem Grundgesetz gestrichen. Über hundert Jahre wurden Schwule und Lesben durch verschiedene Gesellschaftssysteme hindurch verfolgt, eingesperrt und im Dritten Reich in den Konzentrationslagern ermordet. Auch Hans trägt eine Kz-nummer am Unterarm. Als die Alliierten 1945 die Lager befreiten, wurde er, wie die meisten schwulen Häftlinge, nicht freigelassen, sondern aus dem KZ direkt ins Gefängnis deportiert.
Fast schon beiläufig verweist Sebastian Meises „Große Freiheit“auf diese verdrängte Ungeheuerlichkeit der westdeutschen Nachkriegsgeschichte. Denn dies ist nur eine von vielen Stationen im Leben von Hans, das von der Kontinuität der Schwulenverfolgung in Deutschland geprägt ist. „§ 175“steht in gut lesbaren Lettern neben der Zellentür, sodass alle im Gefängnis genau Bescheid wissen. Als Hans 1945 zu Viktor (Georg Friedrich) in die Zelle kommt, will der ihn am liebsten gleich wieder rausschmeißen. Erst als er die Nummer am Unterarm sieht, wird sein Mitgefühl geweckt. Das ist der Beginn einer über Jahrzehnte währenden Freundschaft.
Meise verschachtelt die Zeit- und Erzählebenen ineinander. Oft kann man nur an den Haar- und Bartmoden erkennen, in welchem Jahrzehnt sich die Filmhandlung befindet. Die Pritschen, die graue Gefängniskleidung, die vollkommen verdunkelten Isolationsbunker, in die Hans immer wieder zur Strafe eingesperrt wird, sind immer wieder dieselben. Franz Rogowski liefert eine herausragende Vorstellung in der Rolle des schwulen Mannes, der stets ein Verfolgter bleibt und dennoch die Sehnsucht nach Zärtlichkeit, Sex und großer Liebe nie aufgibt. Martin Schwickert