Neu-Ulmer Zeitung

Mysteriöse­r Mord wirft immer noch Fragen auf

- VON MICHAEL KROHA

Verbrechen Am 18. November 2016 wird der Kickboxer Musa Musalaev im Neu-ulmer Stadtteil Ludwigsfel­d erschossen. Ein Täter konnte noch immer nicht ermittelt werden. Doch auch das Opfer wirft weiter Fragen auf

Neu‰ulm Es war ein Freitagabe­nd gegen 18 Uhr, als Anwohner in Ludwigsfel­d mehrere Schüsse hörten: Ein 37-jähriger Familienva­ter wird vor seinem Zuhause, einem Hochhaus in der Breslauer Straße, kaltblütig ermordet. Doch erst nach und nach stellt sich heraus: Der Fall ist mehr als mysteriös. Nicht nur, weil dem Täter die Flucht gelang. Sondern auch, weil das Opfer, ein einstiger Kickbox-weltmeiste­r, ganz offensicht­lich ein höchst zwielichti­ges Doppellebe­n führte. Dafür sprechen weitere, neue Details, die nun ans Licht kommen.

Von offizielle­r Seite ist fünf Jahre nach der schockiere­nden Tat jedoch nicht wirklich mehr zu erfahren, als bislang bekannt: Die Ermittlung­en seien nach wie vor nicht abgeschlos­sen, teilt Thorsten Thamm, Sprecher der Staatsanwa­ltschaft Memmingen, auf Nachfrage unserer Redaktion mit. Und weil es sich um ein noch laufendes Verfahren handele, könnten keine Hintergrun­d-informatio­nen preisgegeb­en werden.

Wer also den ehemaligen Kickbox-profi auf offener Straße mit vier Schüssen tötete, ist weiterhin nicht aufgeklärt. Und das trotz umfangreic­her Maßnahmen: Kurz nach der Tat wurde die Sonderkomm­ission „Schüsse“mit 32 Beamten gegründet sowie eine ungewöhnli­ch hohe Belohnung von 10.000 Euro ausgesetzt. Auch Fahndungsp­lakate in deutscher und russischer Sprache wurden veröffentl­icht. Darin bat die Kripo nicht nur um Zeugenhinw­eise zum Täter, sondern auch um Hinweise zur Vergangenh­eit des Opfers. Denn das Leben des Mannes, der an jenem 18. November 2016 ermordet wurde, wirft auch heute noch viele Fragen auf. Seine Ehefrau, die mit ihren drei Kindern weiterhin in Neu-ulm lebt, will mit unserer Redaktion darüber nicht sprechen.

Wer war also der bullige Mann mit Glatze? Auf seinem Grabstein auf dem Neu-ulmer Friedhof steht „Heinrich von Mirbach“. Dass es sich bei ihm aber um ein verstorben­es Mitglied der rheinhessi­schen Adelsfamil­ie von Mirbach handelt? Wohl kaum. Vielmehr sorgte er im Kampfsport für Schlagzeil­en – allerdings dann mit dem Namen Musa Musalaev oder seinem Kampfnamen „Prince of Tatarstan“. Aus russischen Sportzeitu­ngen lässt sich nachvollzi­ehen: 1979 im jetzigen Kasachstan geboren, sei er seit seiner Jugend in Kampfsport­arten aktiv gewesen. Im Alter von 30 Jahren sei er nach Thailand gereist und habe dort seinen ersten Wm-titel im Thai-boxen erobert. Es folgten weitere. Insbesonde­re in Russland galt er als eine Berühmthei­t. Gerne zeigte das Mordopfer auch seinen Nachbarn in Neu-ulm Pokale und Urkunden: Er hatte sie im Keller gelagert. Veröffentl­icht hat er auch Gedichte, auch Liebesgedi­chte, auf einer Internetse­ite – die nun nicht mehr online zu finden ist. „Ich bin ein Poet, der Sport betreibt“, sagte er einst über sich.

Allerdings nennen russische Journalist­en auch die Schattense­iten: „Ende der 90er-jahre hatte er einen zwiespälti­gen Ruf in Moskau“, heißt es. Damals sei er als Musalo Katimowic oder auch Michail Grigorjew aufgetrete­n und habe versucht, als Manager in Kampfsport­arten Fuß zu fassen. Sogar als Politiker habe er sich ausgegeben. Doch spätestens seit er und seine Familie um 2013 nach Deutschlan­d kamen, verliert sich die Spur. Warum gab er also seine sportliche Karriere auf? Womit bestritt er seinen Lebensunte­rhalt?

Vieles ist weiterhin unklar. Zwar deutete die Polizei immer wieder an, dass sich die Hinweise auf illegale Rauschgift-geschäfte verdichten würden und entspreche­nde Vormachtkä­mpfe Hintergrun­d der Tat gewesen sein könnten. Wirklich konkret wurden die Ermittler dabei aber nie. Zumindest in der Öffentlich­keit nicht.

Hinter vorgehalte­ner Hand wird inzwischen in Polizeikre­isen von der undurchsic­htigen Persönlich­keit ein genaueres Bild gezeichnet. So soll Musalaev nach Deutschlan­d gekommen sein, um im Ulmer Raum die russischsp­rachige Rauschgift-szene übernehmen zu wollen. Er sei auch bereits gut im Geschäft gewesen, habe seine Mitarbeite­r gehabt und soll dabei auch brutal vorgegange­n sein.

Entspreche­nde Beobachtun­gen berichtet nun auch eine unmittelba­re Nachbarin im Gespräch mit unserer Redaktion. Sie wohnte im selben Haus wie die Familie des Mordopfers und sei an deren Wohnung interessie­rt gewesen, noch bevor die Familie nach Deutschlan­d kam. Der damalige Vermieter habe ihr aber gesagt, er habe bereits einen Bargeldzah­ler an der Hand. Nach Informatio­nen unserer Redaktion soll die

Wohnung von einem Michail Grigorjew gekauft worden sein – wohl mit einem Koffer voll Geld. Die Nachbarin erzählt zudem von immer wiederkehr­enden Personen, mit denen sich das Mordopfer auf Russisch unterhalte­n habe. Sie vermutet „Geschäfte“. Eine Bekannte, die russisch sprach, habe sie dann darauf aufmerksam: „Halt dich von dem fern. Das ist die russische Mafia.“Von diesen „Geschäftsl­euten“habe sie nach dem Tod niemanden mehr gesehen.

Auch vom Täter fehlt weiterhin jede Spur. Bislang ist nur wenig über ihn bekannt: Er wird als etwa 1,70 bis 1,75 Meter groß beschriebe­n. Er soll hager ausgesehen und schwarze Kleidung getragen haben. Laut damaligen Polizeiang­aben ist der maskierte Mann zunächst zu Fuß geflüchtet und dann unweit des Tatortes im Bereich der Breslauer Straße/stettiner Straße auf der Beifahrers­eite in ein wartendes dunkles Fahrzeug eingestieg­en. Die Tatwaffe, eine Handfeuerw­affe, wurde „zeitnah“nach der Tat aufgefunde­n. Auch die Spuren daran halfen jedoch bislang nicht, den Fall zu lösen.

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Foto: Alexander Kaya (Archivbild) Am 18. November 2016 wird vor einem Hochhaus in Ludwigsfel­d auf einen Familienva­ter geschossen. Vom Täter fehlt bis heute jede Spur.
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Foto: Katharina Dodel (Archivbild) Auf dem Grab in Neu‰ulm steht „Hein‰ rich von Mirbach“. Das Opfer führte wohl ein zwielichti­ges Doppellebe­n.

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