Lebenstraum Kind
Titelthema Wenn kein Nachwuchs kommen will, ist das für viele Paare eine Belastung. Was dann alles versucht wird, setzt oft Frau und Mann zu. Auch Singles sehnen sich nach einem Baby. Zwei Betroffene erzählen von ihrem Leidensweg – und vom großen Glück am Schluss
Augsburg „Ihr seid ganz besondere Kinder“– diesen Satz sagt Bettina Sauer ihrer sechsjährigen Tochter und ihrem dreijährigen Sohn häufig. Besonders, das sind die eigenen Kinder für die meisten Eltern. Doch die 40-Jährige meint damit noch etwas anderes: Dass sie überhaupt zwei Kinder bekommen konnte, ist ihr persönliches Wunder. Die Frau mit dem blonden Haar und dem ansteckenden Lachen hat viel auf sich genommen, um Mutter zu werden. Beide Kinder entstanden durch künstliche Befruchtung – ein Weg, der für die Mutter mit Enttäuschungen und Tränen verbunden war.
„Meinem Partner und mir war relativ schnell klar, dass es bei uns schwierig wird“, erzählt sie. Weil beide irgendwann Familie wollten, hätten sie von Anfang an nicht verhütet. Schwanger wurde Sauer trotzdem nicht. Als der Kinderwunsch mit den Jahren immer stärker wurde, entschieden sich die beiden schließlich, ärztlichen Rat einzuholen und wurden vom Frauenarzt in die Augsburger Kinderwunschklinik überwiesen. Doch es sollte von dort an noch einmal zwei Jahre dauern, bis Sauer schließlich mit ihrer Tochter schwanger war.
So offen wie die 40-Jährige sprechen nur wenige Frauen über ihr schwieriges Los – doch alleine ist Sauer mit ihrer Situation nicht. Nach Angaben des Bundesfamilienministeriums ist in Deutschland fast jedes zehnte Paar zwischen 25 und 59 Jahren ungewollt kinderlos. Das deutsche Ivf-register, das die Behandlungen und Ergebnisse fast aller Kinderwunschzentren in Deutschland erfasst und auswertet, geht sogar davon aus, dass der Weg zum Wunschkind für jedes sechste Paar nur mit medizinischer Hilfe möglich ist.
Eine Einschätzung, die auch Dr. Robert Ochsenkühn vom Kinderwunschzentrum Augsburg teilt. Die Einrichtung betreut im Jahr mehrere tausend Paare. Einige haben einen langen Weg vor sich – so wie Bettina Sauer, in deren Fall die Ursache für die Kinderlosigkeit nicht eindeutig gefunden werden konnte und die nach vielen Versuchen schließlich über die sogenannte Icsi-behandlung schwanger wurde. Bei diesem Verfahren wird die Eizelle unter dem Mikroskop mit einem einzelnen Spermium über eine Pipette befruchtet und später in die Gebärmutter der Frau eingesetzt.
Bei anderen wiederum ist solch eine Maximaltherapie, wie sie der Gynäkologe nennt, nicht notwendig. „Häufig reicht bereits eine Zyklusüberwachung
oder ein gezieltes Auslösen des Eisprungs aus, damit das Paar auf natürlichem Weg schwanger werden kann.“Welche Therapie angewendet wird, hängt mit der Ursache für den unerfüllten Kinderwunsch zusammen – in rund 80 Prozent der Fälle könne man diese auch benennen, sagt Ochsenkühn. Häufig seien hormonelle Probleme der Grund, aber auch undurchlässige Eileiter oder zu wenige bewegliche Spermien beim Mann können dafür verantwortlich sein.
Allerdings gibt es bei der künstlichen Befruchtung in Kinderwunschzentren auch ein paar Einschränkungen. Lesbische Paare können die Behandlung etwa nur dann in Anspruch nehmen, wenn sie verheiratet sind oder eine eingetragene Lebenspartnerschaft vorliegt. Heterosexuelle Paare können die Behandlung zwar auch ohne Trauschein antreten, in diesen Fällen übernimmt die gesetzliche Krankenkasse die Kosten aber nicht.
Auch immer mehr Single-frauen wollen ein Kind. Drängend wird die Realisierung dieses Herzenswunsches für Frauen generell dann, wenn die biologische Uhr erbarmungslos tickt. Sprich, wenn die Frau stramm auf die 40 zusteuert und weiß, bald ist Schluss mit Schwangerwerden. Exakt in so einer Situation befand sich eine Frau, die ihre Geschichte hier nur anonym erzählen will. Schließlich schummelte sie sogar für die Erfüllung ihres großen Wunsches.
„Für mich war schon als Kind klar, dass ich später einmal unbedingt ein Kind haben möchte, für das man sorgt, das man aufwachsen sieht, das man begleitet, dem man seine Werte mit auf den Weg gibt“, erzählt die 40-Jährige. Dass es einmal so schwierig werden würde, den passenden Partner zu finden, konnte sie damals ja noch nicht wissen. Sie wurde immer älter, wusste, lange kann sie nicht mehr warten. Der Gang zu einer Samenbank kam für sie nicht infrage. „Das wollte ich nicht. Mir war es wichtig, dass mein Kind auch einen Papa hat.“
Da erinnerte sie sich an einen Satz. Ein Angebot. Zwar in Trinklaune ausgesprochen und viele Jahre alt, aber immerhin. Ihr bester Freund hatte damals zu ihr gesagt, wenn sie ein Kind möge, solle sie sich bei ihm melden. Über das Thema hatten sie zwar nie mehr gesprochen, aber die Verbindung ist bis heute ausgesprochen eng. Daher traute sie sich und schrieb ihm vor drei Jahren eine Whatsapp mit der Frage, ob das Angebot denn noch immer stehe. „Anrufen hätte ich mich in diesem Fall nicht getraut.“
Und wie reagierte er? „Ich war positiv überrascht“, sagt der Mann. Denn auch er wünschte sich ein Kind. Doch so viel die beiden seit Schultagen auch verbindet, so eng ihr Verhältnis bis heute ist, ein gemeinsames Leben, eine sexuelle Beziehung war und ist nicht möglich. Der 41-Jährige ist homosexuell. Er lebt mit seinem Partner zusammen, der ebenfalls Kinder will. Und so machten sich die Frau und ihr bester Freund auf den Weg in eine Kinderwunschklinik in Bayern.
Ihre wahren Lebensverhältnisse hätten sie dort nicht angeben dürfen, erzählen sie. „Wir mussten sagen, dass wir ein Paar sind, sonst hätten sie uns damals in diesem Zentrum gar nicht genommen.“Sogar unterschreiben mussten sie das vor Behandlungsbeginn. Wohl sei einem dabei nicht. „Doch man macht es, weil es der einzige Weg ist“, erklärt er und sagt: „Und auch, weil man sich nicht für etwas rechtfertigen will, für was es eigentlich keine Notwendigkeit gibt. Aber unsere Gesellschaft ist nicht so offen, wie immer gesagt wird.“Das erlebe er oft. „Mit dem Schwulsein sollte man auch heute noch nicht hausieren gehen. Schon gar nicht, wenn man ein Kind haben möchte.“
Und die beiden haben heute ein Kind. Eine Tochter. Nach dem vierten Behandlungszyklus hat es geklappt. Einen weiteren Versuch hätte sie allerdings auch nicht überstanden, gibt sie offen zu, da sowohl die körperlichen als auch die psychischen Strapazen so hart waren.
Sie kämpft mit den Tränen, als sie erzählt, wie es sich anfühlt, wenn man weiß, alle Mühen haben sich gelohnt: „Ich habe geschrien. Es war so wundervoll, ich hätte die ganze Welt umarmen können.“Ihre Tochter sei „das Glück pur“.
Alleinstehende Frauen, die unbedingt ein Kind wollen, berät Tewes Wischmann immer häufiger. Und der erfahrene Psychologe kann deren Wunsch gut nachvollziehen. „Die meisten wollen einen Partner, finden aber keinen. Und das ist ja auch nicht immer so leicht.“Doch in den allermeisten Fällen kommen Paare zu Wischmann, der die Arbeitsgruppe „Gynäkologische Psychologie“und die Kinderwunschsprechstunde an der Universität Heidelberg leitet. Er weiß also, wovon er spricht, wenn er erklärt, wie unvorstellbar hoch der Leidensdruck der Betroffenen ist. „Sie können ihn vergleichen mit dem Verlust eines nahen Angehörigen oder einer schweren Erkrankung.“Für ihn ist daher Unfruchtbarkeit einer Krankheit gleichzusetzen. Die Weltgesundheitsorganisation erkennt Unfruchtbarkeit auch als solche an, „in
Deutschland ist dies leider nicht der Fall“. Was unter anderem zur Folge hat, dass die Krankenkassen nur einen Teil der Kosten für eine künstliche Befruchtung übernehmen. Dabei ist das Prozedere teuer: Etwa 1500 bis 1800 Euro Eigenanteil koste jeweils ein Versuch. Glaube man den Statistiken, sagt Wischmann, hätten die Hälfte der Paare nach drei Versuchen ein Kind, zwei Drittel nach sechs. Er weiß aber auch, dass die Sehnsucht nach einem Kind bei vielen so groß ist, dass nicht selten sehr viel Geld in die Behandlung investiert wird, die Summe eines Kleinwagens könne es locker sein.
Bettina Sauer sagt manchmal, ihre Kinder seien ihre 10000-Eurobabys. Viele Menschen halten das für einen Scherz – doch die Behandlung hat in beiden Fällen tatsächlich eine fünfstellige Summe verschlungen. Sie und ihr Partner sind nicht verheiratet und mussten daher die kompletten Kosten selbst tragen. Doch das sei ihr egal gewesen, sagt Sauer. „Ich war einfach froh, dass es diese Möglichkeit überhaupt gibt.“
Dennoch klappt es oft nicht, auch wenn noch so viele Versuche unternommen werden. „Die Chancen der modernen Reproduktionsmedizin werden von vielen Paaren überschätzt“, sagt Wischmann. Und was man erst seit ein paar Jahren weiß: Nicht nur die Fruchtbarkeit der Frauen nimmt mit dem Alter ab. „Die männlichen Forscher haben sich da lange ein bisschen etwas vorgemacht: Auch die biologische Uhr des Mannes tickt.“Zwar nicht so früh wie bei der Frau, und natürlich kommt es vor, dass Männer erst mit 50, 60 Jahren zum ersten Mal Vater werden, aber es sei nicht mehr uneingeschränkt möglich. „Auch wenn die Partnerin erheblich jünger ist, was ja nicht selten der Fall ist, steigt das Risiko für Fehlgeburten, je älter der Mann ist.“
Paaren, die in seine Beratung kommen, rät Wischmann von Anfang an, einen Plan B zu haben – also sich ein Leben auch ohne Kind vorzustellen. Das möchten die Betroffenen freilich nie hören und meist fließen da schon viele Tränen, aber Wischmann hält das für extrem wichtig. „Denn viele Paare unterschätzen die Achterbahn der Gefühle, die so eine Behandlung bedeutet.“Die immer wieder aufkeimende große Hoffnung. Die immer wieder schwere Enttäuschung – „das belastet unvorstellbar“. Daher rät er, dass sich jedes Paar selbst Grenzen setzt. Dass es spüren muss, wann genug probiert wurde, wann die körperliche Belastung, die gerade Frauen infolge der Hormonbehandlung durchmachen, zu hoch ist. Wann das spontane, lustvolle Sexualleben durch den ständigen Blick auf fruchtbare Rahmenbedingungen zu beeinträchtigt ist. Und wann vor allem auch die psychische Belastungsgrenze erreicht ist. „Denn es wird in den seltensten Fällen eine Medizinerin, ein Mediziner sagen, das hat jetzt keinen Sinn mehr, da ja eine Restchance fast immer bleibt.“
Als wäre die Verzweiflung nicht schon groß genug, kennen die meisten Paare dann auch noch das nervige Nachfragen aus dem Umfeld, wann es denn nun endlich so weit sei. Oder die Stiche ins Herz, wenn aus dem Freundeskreis die neuesten Babybilder gepostet werden und natürlich Jubel erwartet wird. Dass in so einer Situation nicht Freude, sondern der blanke Neid aufkomme, sei ganz normal, erklärt Psychologe Wischmann. Daher rät er dringend zu einem offenen Umgang mit dem Problem gerade im engen Freundesund Familienkreis. Denn ganz häufig erfahren die Betroffenen dann unerwartet Unterstützung etwa in der Form, dass andere plötzlich offenbaren, wie viele Fehlgeburten sie schon verkraften mussten, wie viel sie ausprobiert haben. Und alle anderen bohren dann zumindest nicht mehr nach. Das sei auch schon viel wert, denn Wischmann empfiehlt Paaren mit Kinderwunsch, ihre Kräfte zu sparen: „Der unerfüllte Kinderwunsch ist schon Baustelle genug, das Paar muss sich gut schützen.“
Doch übersteht eine Beziehung überhaupt so eine Kraftprobe? Was passiert mit den Paaren, die trotz allen Bemühungen doch kein Kind bekommen? Trennen sie sich? „Nein“, sagt Wischmann, „das ist gerade umgekehrt. Die meisten Paare, die so etwas gemeinsam durchgestanden haben, bleiben zusammen – auch ohne Kind.“
Bei vielen klappt es ja, wodurch das Glück umso größer ist. So
Ihre wahre Beziehung verheimlichten sie
Bettina Sauer würde alles wieder auf sich nehmen
schwärmt auch der homosexuelle Vater davon, welch große Bereicherung seine Tochter für sein Leben ist. Doch wie sieht in diesem Fall überhaupt der Alltag aus? Wo wächst die Kleine auf? Wer ist für was zuständig? All das haben die Eltern gut abgeklärt. Sie teilen sich das Sorgerecht, die gemeinsame Tochter wohnt abwechselnd bei ihrer Mutter und bei ihrem Vater. „Entscheidend für ein Kind ist doch, dass es geliebt wird“, sagt er.
Innig geliebt werden die beiden Kinder auch bei Bettina Sauer. An die Quälerei kann sie sich dennoch noch gut erinnern – sei es das Gefühlschaos nach Hormonbehandlungen oder die operative Entnahme der Eizellen, die vorher in großer Zahl herangezüchtet wurden. Am schlimmsten sei aber die psychische Belastung gewesen. Immer wieder habe sie Hoffnung verspürt, dass es endlich geklappt habe, doch sie wurde oft nach wenigen Tagen wieder enttäuscht. Trotzdem würde sie die Strapazen jederzeit wieder über sich ergehen lassen. „Es lohnt sich“, sagt Sauer und ergänzt: „Meine Kinder sind mein großes Lebensglück.“Etwas ganz Besonderes.