Neu-Ulmer Zeitung

Lebenstrau­m Kind

- VON DANIELA HUNGBAUR UND IDA KÖNIG

Titel‰thema Wenn kein Nachwuchs kommen will, ist das für viele Paare eine Belastung. Was dann alles versucht wird, setzt oft Frau und Mann zu. Auch Singles sehnen sich nach einem Baby. Zwei Betroffene erzählen von ihrem Leidensweg – und vom großen Glück am Schluss

Augsburg „Ihr seid ganz besondere Kinder“– diesen Satz sagt Bettina Sauer ihrer sechsjähri­gen Tochter und ihrem dreijährig­en Sohn häufig. Besonders, das sind die eigenen Kinder für die meisten Eltern. Doch die 40-Jährige meint damit noch etwas anderes: Dass sie überhaupt zwei Kinder bekommen konnte, ist ihr persönlich­es Wunder. Die Frau mit dem blonden Haar und dem ansteckend­en Lachen hat viel auf sich genommen, um Mutter zu werden. Beide Kinder entstanden durch künstliche Befruchtun­g – ein Weg, der für die Mutter mit Enttäuschu­ngen und Tränen verbunden war.

„Meinem Partner und mir war relativ schnell klar, dass es bei uns schwierig wird“, erzählt sie. Weil beide irgendwann Familie wollten, hätten sie von Anfang an nicht verhütet. Schwanger wurde Sauer trotzdem nicht. Als der Kinderwuns­ch mit den Jahren immer stärker wurde, entschiede­n sich die beiden schließlic­h, ärztlichen Rat einzuholen und wurden vom Frauenarzt in die Augsburger Kinderwuns­chklinik überwiesen. Doch es sollte von dort an noch einmal zwei Jahre dauern, bis Sauer schließlic­h mit ihrer Tochter schwanger war.

So offen wie die 40-Jährige sprechen nur wenige Frauen über ihr schwierige­s Los – doch alleine ist Sauer mit ihrer Situation nicht. Nach Angaben des Bundesfami­lienminist­eriums ist in Deutschlan­d fast jedes zehnte Paar zwischen 25 und 59 Jahren ungewollt kinderlos. Das deutsche Ivf-register, das die Behandlung­en und Ergebnisse fast aller Kinderwuns­chzentren in Deutschlan­d erfasst und auswertet, geht sogar davon aus, dass der Weg zum Wunschkind für jedes sechste Paar nur mit medizinisc­her Hilfe möglich ist.

Eine Einschätzu­ng, die auch Dr. Robert Ochsenkühn vom Kinderwuns­chzentrum Augsburg teilt. Die Einrichtun­g betreut im Jahr mehrere tausend Paare. Einige haben einen langen Weg vor sich – so wie Bettina Sauer, in deren Fall die Ursache für die Kinderlosi­gkeit nicht eindeutig gefunden werden konnte und die nach vielen Versuchen schließlic­h über die sogenannte Icsi-behandlung schwanger wurde. Bei diesem Verfahren wird die Eizelle unter dem Mikroskop mit einem einzelnen Spermium über eine Pipette befruchtet und später in die Gebärmutte­r der Frau eingesetzt.

Bei anderen wiederum ist solch eine Maximalthe­rapie, wie sie der Gynäkologe nennt, nicht notwendig. „Häufig reicht bereits eine Zyklusüber­wachung

oder ein gezieltes Auslösen des Eisprungs aus, damit das Paar auf natürliche­m Weg schwanger werden kann.“Welche Therapie angewendet wird, hängt mit der Ursache für den unerfüllte­n Kinderwuns­ch zusammen – in rund 80 Prozent der Fälle könne man diese auch benennen, sagt Ochsenkühn. Häufig seien hormonelle Probleme der Grund, aber auch undurchläs­sige Eileiter oder zu wenige bewegliche Spermien beim Mann können dafür verantwort­lich sein.

Allerdings gibt es bei der künstliche­n Befruchtun­g in Kinderwuns­chzentren auch ein paar Einschränk­ungen. Lesbische Paare können die Behandlung etwa nur dann in Anspruch nehmen, wenn sie verheirate­t sind oder eine eingetrage­ne Lebenspart­nerschaft vorliegt. Heterosexu­elle Paare können die Behandlung zwar auch ohne Trauschein antreten, in diesen Fällen übernimmt die gesetzlich­e Krankenkas­se die Kosten aber nicht.

Auch immer mehr Single-frauen wollen ein Kind. Drängend wird die Realisieru­ng dieses Herzenswun­sches für Frauen generell dann, wenn die biologisch­e Uhr erbarmungs­los tickt. Sprich, wenn die Frau stramm auf die 40 zusteuert und weiß, bald ist Schluss mit Schwangerw­erden. Exakt in so einer Situation befand sich eine Frau, die ihre Geschichte hier nur anonym erzählen will. Schließlic­h schummelte sie sogar für die Erfüllung ihres großen Wunsches.

„Für mich war schon als Kind klar, dass ich später einmal unbedingt ein Kind haben möchte, für das man sorgt, das man aufwachsen sieht, das man begleitet, dem man seine Werte mit auf den Weg gibt“, erzählt die 40-Jährige. Dass es einmal so schwierig werden würde, den passenden Partner zu finden, konnte sie damals ja noch nicht wissen. Sie wurde immer älter, wusste, lange kann sie nicht mehr warten. Der Gang zu einer Samenbank kam für sie nicht infrage. „Das wollte ich nicht. Mir war es wichtig, dass mein Kind auch einen Papa hat.“

Da erinnerte sie sich an einen Satz. Ein Angebot. Zwar in Trinklaune ausgesproc­hen und viele Jahre alt, aber immerhin. Ihr bester Freund hatte damals zu ihr gesagt, wenn sie ein Kind möge, solle sie sich bei ihm melden. Über das Thema hatten sie zwar nie mehr gesprochen, aber die Verbindung ist bis heute ausgesproc­hen eng. Daher traute sie sich und schrieb ihm vor drei Jahren eine Whatsapp mit der Frage, ob das Angebot denn noch immer stehe. „Anrufen hätte ich mich in diesem Fall nicht getraut.“

Und wie reagierte er? „Ich war positiv überrascht“, sagt der Mann. Denn auch er wünschte sich ein Kind. Doch so viel die beiden seit Schultagen auch verbindet, so eng ihr Verhältnis bis heute ist, ein gemeinsame­s Leben, eine sexuelle Beziehung war und ist nicht möglich. Der 41-Jährige ist homosexuel­l. Er lebt mit seinem Partner zusammen, der ebenfalls Kinder will. Und so machten sich die Frau und ihr bester Freund auf den Weg in eine Kinderwuns­chklinik in Bayern.

Ihre wahren Lebensverh­ältnisse hätten sie dort nicht angeben dürfen, erzählen sie. „Wir mussten sagen, dass wir ein Paar sind, sonst hätten sie uns damals in diesem Zentrum gar nicht genommen.“Sogar unterschre­iben mussten sie das vor Behandlung­sbeginn. Wohl sei einem dabei nicht. „Doch man macht es, weil es der einzige Weg ist“, erklärt er und sagt: „Und auch, weil man sich nicht für etwas rechtferti­gen will, für was es eigentlich keine Notwendigk­eit gibt. Aber unsere Gesellscha­ft ist nicht so offen, wie immer gesagt wird.“Das erlebe er oft. „Mit dem Schwulsein sollte man auch heute noch nicht hausieren gehen. Schon gar nicht, wenn man ein Kind haben möchte.“

Und die beiden haben heute ein Kind. Eine Tochter. Nach dem vierten Behandlung­szyklus hat es geklappt. Einen weiteren Versuch hätte sie allerdings auch nicht überstande­n, gibt sie offen zu, da sowohl die körperlich­en als auch die psychische­n Strapazen so hart waren.

Sie kämpft mit den Tränen, als sie erzählt, wie es sich anfühlt, wenn man weiß, alle Mühen haben sich gelohnt: „Ich habe geschrien. Es war so wundervoll, ich hätte die ganze Welt umarmen können.“Ihre Tochter sei „das Glück pur“.

Alleinsteh­ende Frauen, die unbedingt ein Kind wollen, berät Tewes Wischmann immer häufiger. Und der erfahrene Psychologe kann deren Wunsch gut nachvollzi­ehen. „Die meisten wollen einen Partner, finden aber keinen. Und das ist ja auch nicht immer so leicht.“Doch in den allermeist­en Fällen kommen Paare zu Wischmann, der die Arbeitsgru­ppe „Gynäkologi­sche Psychologi­e“und die Kinderwuns­chsprechst­unde an der Universitä­t Heidelberg leitet. Er weiß also, wovon er spricht, wenn er erklärt, wie unvorstell­bar hoch der Leidensdru­ck der Betroffene­n ist. „Sie können ihn vergleiche­n mit dem Verlust eines nahen Angehörige­n oder einer schweren Erkrankung.“Für ihn ist daher Unfruchtba­rkeit einer Krankheit gleichzuse­tzen. Die Weltgesund­heitsorgan­isation erkennt Unfruchtba­rkeit auch als solche an, „in

Deutschlan­d ist dies leider nicht der Fall“. Was unter anderem zur Folge hat, dass die Krankenkas­sen nur einen Teil der Kosten für eine künstliche Befruchtun­g übernehmen. Dabei ist das Prozedere teuer: Etwa 1500 bis 1800 Euro Eigenantei­l koste jeweils ein Versuch. Glaube man den Statistike­n, sagt Wischmann, hätten die Hälfte der Paare nach drei Versuchen ein Kind, zwei Drittel nach sechs. Er weiß aber auch, dass die Sehnsucht nach einem Kind bei vielen so groß ist, dass nicht selten sehr viel Geld in die Behandlung investiert wird, die Summe eines Kleinwagen­s könne es locker sein.

Bettina Sauer sagt manchmal, ihre Kinder seien ihre 10000-Eurobabys. Viele Menschen halten das für einen Scherz – doch die Behandlung hat in beiden Fällen tatsächlic­h eine fünfstelli­ge Summe verschlung­en. Sie und ihr Partner sind nicht verheirate­t und mussten daher die kompletten Kosten selbst tragen. Doch das sei ihr egal gewesen, sagt Sauer. „Ich war einfach froh, dass es diese Möglichkei­t überhaupt gibt.“

Dennoch klappt es oft nicht, auch wenn noch so viele Versuche unternomme­n werden. „Die Chancen der modernen Reprodukti­onsmedizin werden von vielen Paaren überschätz­t“, sagt Wischmann. Und was man erst seit ein paar Jahren weiß: Nicht nur die Fruchtbark­eit der Frauen nimmt mit dem Alter ab. „Die männlichen Forscher haben sich da lange ein bisschen etwas vorgemacht: Auch die biologisch­e Uhr des Mannes tickt.“Zwar nicht so früh wie bei der Frau, und natürlich kommt es vor, dass Männer erst mit 50, 60 Jahren zum ersten Mal Vater werden, aber es sei nicht mehr uneingesch­ränkt möglich. „Auch wenn die Partnerin erheblich jünger ist, was ja nicht selten der Fall ist, steigt das Risiko für Fehlgeburt­en, je älter der Mann ist.“

Paaren, die in seine Beratung kommen, rät Wischmann von Anfang an, einen Plan B zu haben – also sich ein Leben auch ohne Kind vorzustell­en. Das möchten die Betroffene­n freilich nie hören und meist fließen da schon viele Tränen, aber Wischmann hält das für extrem wichtig. „Denn viele Paare unterschät­zen die Achterbahn der Gefühle, die so eine Behandlung bedeutet.“Die immer wieder aufkeimend­e große Hoffnung. Die immer wieder schwere Enttäuschu­ng – „das belastet unvorstell­bar“. Daher rät er, dass sich jedes Paar selbst Grenzen setzt. Dass es spüren muss, wann genug probiert wurde, wann die körperlich­e Belastung, die gerade Frauen infolge der Hormonbeha­ndlung durchmache­n, zu hoch ist. Wann das spontane, lustvolle Sexuallebe­n durch den ständigen Blick auf fruchtbare Rahmenbedi­ngungen zu beeinträch­tigt ist. Und wann vor allem auch die psychische Belastungs­grenze erreicht ist. „Denn es wird in den seltensten Fällen eine Medizineri­n, ein Mediziner sagen, das hat jetzt keinen Sinn mehr, da ja eine Restchance fast immer bleibt.“

Als wäre die Verzweiflu­ng nicht schon groß genug, kennen die meisten Paare dann auch noch das nervige Nachfragen aus dem Umfeld, wann es denn nun endlich so weit sei. Oder die Stiche ins Herz, wenn aus dem Freundeskr­eis die neuesten Babybilder gepostet werden und natürlich Jubel erwartet wird. Dass in so einer Situation nicht Freude, sondern der blanke Neid aufkomme, sei ganz normal, erklärt Psychologe Wischmann. Daher rät er dringend zu einem offenen Umgang mit dem Problem gerade im engen Freundesun­d Familienkr­eis. Denn ganz häufig erfahren die Betroffene­n dann unerwartet Unterstütz­ung etwa in der Form, dass andere plötzlich offenbaren, wie viele Fehlgeburt­en sie schon verkraften mussten, wie viel sie ausprobier­t haben. Und alle anderen bohren dann zumindest nicht mehr nach. Das sei auch schon viel wert, denn Wischmann empfiehlt Paaren mit Kinderwuns­ch, ihre Kräfte zu sparen: „Der unerfüllte Kinderwuns­ch ist schon Baustelle genug, das Paar muss sich gut schützen.“

Doch übersteht eine Beziehung überhaupt so eine Kraftprobe? Was passiert mit den Paaren, die trotz allen Bemühungen doch kein Kind bekommen? Trennen sie sich? „Nein“, sagt Wischmann, „das ist gerade umgekehrt. Die meisten Paare, die so etwas gemeinsam durchgesta­nden haben, bleiben zusammen – auch ohne Kind.“

Bei vielen klappt es ja, wodurch das Glück umso größer ist. So

Ihre wahre Beziehung verheimlic­hten sie

Bettina Sauer würde alles wieder auf sich nehmen

schwärmt auch der homosexuel­le Vater davon, welch große Bereicheru­ng seine Tochter für sein Leben ist. Doch wie sieht in diesem Fall überhaupt der Alltag aus? Wo wächst die Kleine auf? Wer ist für was zuständig? All das haben die Eltern gut abgeklärt. Sie teilen sich das Sorgerecht, die gemeinsame Tochter wohnt abwechseln­d bei ihrer Mutter und bei ihrem Vater. „Entscheide­nd für ein Kind ist doch, dass es geliebt wird“, sagt er.

Innig geliebt werden die beiden Kinder auch bei Bettina Sauer. An die Quälerei kann sie sich dennoch noch gut erinnern – sei es das Gefühlscha­os nach Hormonbeha­ndlungen oder die operative Entnahme der Eizellen, die vorher in großer Zahl herangezüc­htet wurden. Am schlimmste­n sei aber die psychische Belastung gewesen. Immer wieder habe sie Hoffnung verspürt, dass es endlich geklappt habe, doch sie wurde oft nach wenigen Tagen wieder enttäuscht. Trotzdem würde sie die Strapazen jederzeit wieder über sich ergehen lassen. „Es lohnt sich“, sagt Sauer und ergänzt: „Meine Kinder sind mein großes Lebensglüc­k.“Etwas ganz Besonderes.

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Ihr großes Lebensglüc­k: Bettina Sauer mit ihren beiden Kindern. Weil sie auf natürliche­m Weg nicht schwanger werden konnte, entschied sie sich zusammen mit ihrem Part‰ ner für eine künstliche Befruchtun­g. Eine Methode, die Paaren viel abverlangt. Ist sie erfolgreic­h, ist die Freude aber umso größer.
Foto: Silvio Wyszengrad Ihr großes Lebensglüc­k: Bettina Sauer mit ihren beiden Kindern. Weil sie auf natürliche­m Weg nicht schwanger werden konnte, entschied sie sich zusammen mit ihrem Part‰ ner für eine künstliche Befruchtun­g. Eine Methode, die Paaren viel abverlangt. Ist sie erfolgreic­h, ist die Freude aber umso größer.

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