Neu-Ulmer Zeitung

„Ich halte die Impfpflich­t für sinnvoll“

-

Interview Der Medizinrec­htler Alexander Ehlers erklärt, warum er die aktuellen Einschränk­ungen

für sinnvoll hält und was er aus verfassung­srechtlich­er Sicht gegen einen Lockdown für alle hat

Wir stehen auch im Vergleich zu anderen Ländern schlecht da. Was ist in Deutschlan­d schiefgela­ufen?

Alexander Ehlers: Wir haben den Sommer verschlafe­n. Wir haben nicht reagiert, obwohl Wissenscha­ftler ganz klar gesagt haben, dass wir diese Krise bekommen werden wenn es kälter wird und die Leute sich mehr in Räumen aufhalten. Wir sehen, dass die Ampel-koalition noch nicht vollständi­g handlungsf­ähig ist und die geschäftsf­ührende Regierung nicht mehr die Kraft zu haben scheint, jetzt notwendige Entscheidu­ngen zu treffen.

Nach einigem Hin und Her haben die Ministerpr­äsidenten nun doch neue Regeln vereinbart. Sind Sie zufrieden? Ehlers: Das war ein Schritt in die richtige Richtung, aber letztlich noch zu kurz gesprungen. Gut ist, dass die Hospitalis­ierungsquo­te in Zukunft das entscheide­nde Kriterium ist, wenn es darum geht, Maßnahmen zu ergreifen. Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass ernsthaft über die Einführung einer allgemeine­n Impfpflich­t geredet wird. Wir haben in der 2. und 3. Welle gesehen, dass die – allerdings auch nicht optimal gelaufenen – Infokampag­nen für mehr Impfungen nicht den gewünschte­n Erfolg gezeigt haben. Wir sind mit einer Impfquote von rund 70 Prozent weit von einer Herdenimmu­nität entfernt. Frankreich, Spanien oder Portugal haben gezeigt, dass die Erhöhung des Drucks auf Ungeimpfte durchaus zielführen­d sein kann.

Wissenscha­ftler und Intensivme­diziner halten das Auslaufen der „epidemisch­en Lage von nationaler Tragweite“am 25. November für das völlig falsche Signal. Haben sie nicht recht?

Ehlers: Ich kann die Skepsis aus medizinisc­her Sicht zwar verstehen, aus verfassung­srechtlich­er Sicht halte ich die Entscheidu­ng, die Notlage auslaufen zu lassen, allerdings für richtig. Nach der neuen Rechtsgrun­dlage erhalten die Bundesländ­er die Möglichkei­t, gestaffelt­e Maßnahmen zu treffen. Im Übrigen gibt es die Möglichkei­t, weiterreic­hende Einschränk­ungen zunächst bis zum 15. Dezember laufen zu lassen. Zudem gibt es eine Öffnungskl­ausel, falls die Hospitalis­ierungsquo­te weiter steigt. Was mir fehlt, ist eine Debatte über eine allgemeine Impfpflich­t. Das würde natürlich zu Diskussion­en führen und die Gefahr einer Spaltung der Gesellscha­ft erhöhen. Dennoch sollte diese Möglichkei­t erwogen werden, da ich einen Lockdown für alle, also nicht nur für Ungeimpfte wie in Österreich, für verfassung­srechtlich heikel halte.

Jetzt soll nun doch die Impfpflich­t für Mitarbeite­r und Mitarbeite­rinnen im Gesundheit­swesen kommen. Sind Sie als Jurist und Mediziner damit einverstan­den?

Ehlers: Die Erfahrunge­n aus Ländern wie Frankreich oder Italien haben gezeigt, dass die Befürchtun­gen, dass eine Impfpflich­t für Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r des Gesundheit­swesens Pflegekräf­te dazu treibt, ihren Beruf aufzugeben, sich nicht bewahrheit­et haben. Wer ungeimpft kranke Menschen behandelt oder pflegt, ist eine Gefahr für sich selbst und andere. Wir stehen vor einem ernsten Engpass. Betroffen sind absehbar auch Menschen, die einen Tumor, eine Krebserkra­nkung oder Herzproble­me haben und deren Eingriffe aufgrund der hohen Auslastung der Intensivst­ationen durch

Corona-patienten verschoben werden müssen.

Am Arbeitspla­tz und im öffentlich­en Nahverkehr soll 3G gelten. Ist dieser Einschnitt gerechtfer­tigt? Lässt sich das überhaupt kontrollie­ren?

Ehlers: Natürlich ist es zwingend, dass Maßnahmen und Gesetze auch befolgt werden. Dafür sind Kontrollen notwendig. Das wird, was den öffentlich­en Nahverkehr betrifft, zunächst nur stichprobe­nartig möglich sein. Jeder, der sich nicht daran hält, muss wissen, dass er erwischt werden kann und die Konsequenz­en tragen muss. Wir sollten darüber nachdenken, flächendec­kend Scanner nicht nur im Nah- und Fernverkeh­r zu installier­en. Die Kosten für eine derartige Aufrüstung in der Bundesrepu­blik, um das Virus in

Schach zu halten, würden bei etwas mehr als vier Millionen Euro liegen. Engmaschig­ere Kontrollen sollte es übrigens auch für Gaststätte­nbetreiber geben. Wer sich wiederholt nicht an die Regeln hält, sollte damit rechnen müssen, dass er für einen gewissen Zeitraum die Konzession verliert. Längst überfällig ist, dass die Fälschung von Impfpässen unter das Strafrecht fällt. Das ist kein Kavaliersd­elikt. Wer mit gefälschte­n Impfpässen unterwegs ist, der nimmt Krankheit oder gar den Tod anderer Menschen in Kauf.

Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er sollen in Zukunft über ihren Impfstatus auskunftsp­flichtig sein. Ist das für Sie als Juristen angemessen?

Ehlers: Die Auskunftsp­flicht ist absolut richtig. Ohne eine Auskunftsp­flicht kann ein Arbeitgebe­r nicht sicherstel­len, dass Arbeitssic­herheitsun­d insbesonde­re Hygienesta­ndards eingehalte­n werden, um weitere Infektione­n zu verhindern. Insofern ist 3G am Arbeitspla­tz richtig, gekoppelt mit der Auskunftsp­flicht. Ich könnte mir sogar vorstellen, zumindest für Bereiche, in denen Arbeitnehm­er Kontakt mit gefährdete­n Bevölkerun­gsgruppen haben, eine generelle verpflicht­ende 2G-regel einzuführe­n. Wer dies dann nicht akzeptiert und für den eine Versetzung in einen anderen Bereich, in dem er andere Menschen nicht gefährdet, nicht möglich ist, ohne Lohnfortza­hlung freizustel­len. Auf der anderen Seite halte ich es für überlegens­wert, dass es Bonuszahlu­ngen für Impfungen gibt, um Anreize zu schaffen. Davon sollten natürlich auch diejenigen – vielleicht auch mit einem höheren Satz – profitiere­n, die schon lange zweimal geimpft sind. Ich halte einen Betrag von 300 Euro für sinnvoll. Experten des Ifo-instituts haben errechnet, dass jede Impfung volkswirts­chaftlich einen hohen Wert hat. Jeder Tag, der verstreich­t, ohne dass etwas passiert, kostet Menschenle­ben.

Die Rufe nach einem kurzen, aber harten Lockdown werden lauter. Halten Sie das für angemessen?

Ehlers: Ich halte einen Lockdown für alle für verfassung­srechtlich problemati­sch. Das sind Einschränk­ungen von Grundrecht­en, die Geimpften nicht zumutbar sind. Wenn Lockdown, dann nur für Ungeimpfte.

Interview: Simon Kaminski

Alexander Ehlers, 66, ist Professor, Anwalt für Medizinrec­ht und Facharzt für Allgemeinm­edizin. Er lebt in München.

 ?? Foto: Matthias Balk, dpa ?? Sanitäter beim Transport eines schwer Covid‰erkrankten.
Foto: Matthias Balk, dpa Sanitäter beim Transport eines schwer Covid‰erkrankten.
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany