Neu-Ulmer Zeitung

Das deutsche Atombomben‰problem

- VON CHRISTIAN GRIMM

Verteidigu­ng Nato-generalsek­retär Jens Stoltenber­g plagt bei seinem Besuch in Berlin eine große Sorge. Er will verhindern, dass eine Ampel-koalition die Atomwaffen abzieht und hofft, dass Deutschlan­d aufwacht

Berlin Wenn der Nato-chef in Berlin auf ein Schiff steigt und die Spree entlangsch­ippert, steckt darin viel Symbolik. Wohin steuert die Militär-allianz 30 Jahre nach ihrem Sieg über die Sowjetunio­n? Gerade hat sie in Afghanista­n eine demütigend­e Schlappe einstecken müssen. Die Antwort auf die Frage ist einfach und schwer zugleich. Denn Russland als Nachfolger der Sowjetunio­n arbeitet eifrig daran, die Schmach der eigenen Niederlage vergessen zu machen. Wladimir Putin betreibt Großmachtp­olitik. Nato-generalsek­retär Jens Stoltenber­g muss sein Bündnis dazu bringen, Putin glaubhaft etwas entgegenzu­setzen. Das ist der einfache Teil der Antwort. Doch Stoltenber­g ist in Sorge, dass Deutschlan­d der Glaubhafti­gkeit Schaden zufügen könnte. Hier beginnt es, schwierig zu werden.

Denn die wahrschein­lich nächste Regierungs­koalition hat ihren Wählern versproche­n, die in Deutschlan­d befindlich­en Atombomben aus dem Land haben zu wollen. Die Massenvern­ichtungswa­ffen gehören den USA. Kommt es zum Krieg, könnten sie von deutschen Kampfjets zu ihren Zielen geflogen und abgeworfen werden. „Nukleare Teilhabe“heißt das im Sprech der Sicherheit­spolitik. Stoltenber­g macht keinen Hehl daraus, dass er das Ansinnen von SPD, Grünen und FDP für gefährlich­en Leichtsinn hält. Russland investiert massiv in neue nukleare Sprengköpf­e und die sie tragenden Raketen. Natürlich sei eine Welt ohne Atomwaffen das Ziel, schickt der frühere Ministerpr­äsident Norwegens voran, um dann auf dem Schiff „Pioneer One“das entscheide­nde Aber zu setzen: „Wenn die anderen sie haben, müssen wir sie auch haben.“

Der schlanke 62-Jährige mit dem grau gewordenen Kurzhaarsc­hnitt hat in Berlin nicht nur das Problem, den drei Parteien ihr Wahlverspr­echen „Atombomben-bann“auszureden, ihm geht auch die wichtigste Ansprechpa­rtnerin in Europa für die Beziehunge­n zu Russland. Angela Merkel hört auf. Seitdem Putin die Halbinsel Krim im Jahr 2014 an sich gerissen hat und in der Ostukraine mit „grünen Männchen“Krieg führen lässt, versucht die Kanzlerin das Schlimmste zu verhindern. Merkel spricht sehr gut Russisch, liebt die russische Hochkultur und ist ein Kind des Ostblocks. Dennoch gelang es ihr nicht, jemals in die Vorhand zu kommen.

Putin testet, Putin piesackt, Putin wendet rohe Gewalt an – egal ob in der Ukraine, Syrien, Libyen oder über seine Geheimdien­ste und Hackertrup­pen im Westen selbst. Und dennoch hat Merkel mit ihm die Gasröhre Nord Stream 2 gebaut.

Sein neuester Vorstoß, um die Nato zu schwächen, ist das zynische

Spiel, das sein Vasall Alexander Lukaschenk­o in Weißrussla­nd mit Flüchtling­en treibt. Gleichzeit­ig massiert er Truppen an der Grenze zur Ukraine. „Wir sind sehr besorgt über das, was wir sehen. Das ist ernst“, sagt Stoltenber­g, gleich als er das Schiff betritt. Es hat in Mitte gegenüber vom Bahnhof Friedrichs­traße

festgemach­t, legt wenig später ab. Von den Ampel-parteien hat sich der Außenpolit­iker Reinhard Bütikofer von den Grünen auf das Schiff begeben. Er will nicht verraten, ob die designiert­en Koalitionä­re die Atombomben abziehen wollen und ob sie massiv aufrüsten wollen, wie es Deutschlan­d den Nato-partnern zugesagt hat. „Es sieht gut aus“, sagt er vielsagend über das außenpolit­ische Konzept der drei Parteien. Man muss dazu wissen, dass der Grünen-politiker kein Hasardeur ist, sondern sich an Fakten und Machtverhä­ltnissen ausrichtet.

Bisher ist aus den Gesprächen durchgesic­kert, dass die Bundeswehr mehr Geld bekommen soll, aber nicht zwei Prozent der Wirtschaft­sleistung, wie es die Nato-statuten eigentlich verlangen. Stoltenber­g kann sich einen Seitenhieb nicht verkneifen. Er verlangt „Flugzeuge, die fliegen, und Schiffe, die segeln“. Die Einsatzfäh­igkeit vieler Truppentei­le ist nach wie vor grottig. Verbesseru­ngen gibt es bei den Eurofighte­rn der Luftwaffe, immerhin. Aber die Nato-partner erwarten von Deutschlan­d schwere Panzer-verbände, die die Flanke des Paktes im Osten absichern sollen. Doch es fehlt an rollendem Material, weil zu viel Kriegsgerä­t in die Werkstätte­n zur Nachrüstun­g muss. Panzerlück­e ist das Stichwort und es hört sich niedlicher an, als es ist.

Für den Nato-chef wird es wichtig sein, dass die kommende Regierung robuste Verbände vorhält, die nicht nur auf dem Papier stark aussehen. „Deutschlan­d hat besondere Verantwort­ung, die Nato stark zu halten“, sagt Stoltenber­g. Er betont es deshalb, weil sich die Amerikaner von Europa nach China wenden. Als mächtigste­s Land der Europäisch­en Union soll die Bundesrepu­blik mehr tun. Und sie soll endlich erkennen, welches Spiel Putin spielt, in dem Nato-generalsek­retär ein immer wiederkehr­endes Muster erkennt. Im nächsten Jahr soll die Nato-strategie überarbeit­et werden. In der aktuellen wird Russland noch als Partner bezeichnet. Das wird sich ändern. Vor allem für die SPD als tragende Partei der Ampel-koalition ist das ein Einschnitt.

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Foto: John Macdougall, dpa Nato‰generalsek­retär Stoltenber­g machte seine Wünsche im Gespräch mit Angela Merkel klar.

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