Kauft Deutschland Usatombomber?
Hintergrund Die neue Bundesregierung hat ein heißes Thema geerbt. Sie muss entscheiden, ob neue Kampfflugzeuge notwendig sind, die im Ernstfall mit Nuklearwaffen bestückt werden. Die Rüstungsindustrie läuft sich bereits warm
Berlin/augsburg/manching Es ist der Wanderpokal der deutschen Politik. Seit Jahren wissen die Beteiligten, dass dringend eine Entscheidung gefällt werden muss, wie das am Ende seiner Ära stehende Kampfflugzeug Tornado ersetzt wird. Das Thema hat die künftige Ampelkoalition geerbt. In den Amtszeiten der beiden Cdu-verteidigungsministerinnen Ursula von der Leyen und Annegret Kramp-karrenbauer wurden zwar reichlich Überlegungen an- und Pläne aufgestellt, an der Umsetzung haperte es indes.
Nun treten also Sozialdemokraten, Grüne und Liberale die undankbare Tornado-erbschaft an, welche gerade die beiden ersteren Parteien mit vielen friedensbewegten Abgeordneten aus dem linken Spektrum sicher am liebsten ausschlagen würden. Der Rüstungshinterlassenschaft der Großen Koalition wohnt eine immense Sprengkraft für SPD und Grüne inne, weil es nicht nur um Kampfflugzeuge geht, die rund 90 Tornados ab 2030 ersetzen sollen. Für Pazifistinnen und Pazifisten im Bundestag – und diese Fraktion ist größer geworden – kommt es noch dicker: Ein Teil der zu beschaffenden Maschinen, so sahen es jedenfalls die Pläne des Bundesverteidigungsministeriums und der Luftwaffe vor, soll fähig sein, im Ernstfall Atomwaffen zu tragen. Dazu sind heute noch Tornado-maschinen in der Lage. In Militärkreisen ist von der „nuklearen Teilhabe“die Rede. Die höchst umstrittene Fracht, die Tornado-erben
sollen, besteht derzeit nach Schätzungen von Friedensgruppierungen und Rüstungskundigen aus etwa 20 Us-bomben des Typs B-61, die am rheinland-pfälzischen Fliegerhorst Büchel in der Eifel verwahrt werden. Die Menschen vor Ort sprechen von „20 Eiern“. Die haben es jedoch in sich und sollen etwa die 13-fache Sprengkraft der Hiroshima-bombe aufweisen.
In Büchel marschieren regelmäßig Friedensbewegte auf, um den aus ihrer Sicht skandalösen Überrest des Kalten Krieges zu brandmarken. Sie fordern etwa: „Büchel ist überall.
Atomwaffenfrei, jetzt!“In ihren Kreisen wächst die Hoffnung, unter roter und grüner Regie könne in Berlin zumindest die Absicht kundgetan werden, Atomwaffen von deutschem Boden zu verbannen.
Das alarmiert Rüstungs-lobbyisten, die Deutschland Angebote für Flugzeuge unterbreiten, die Atomwaffen tragen können. Hinter den Kulissen versuchen seit Jahren Europäer und Amerikaner die Einflusshoheit über politische Entscheidungsträger in Berlin zu erobern. Airbus macht Druck, dass der europäische Tornado einen europäischen Erben bekommt, was natürlich der Eurofighter wäre.
Doch die Kampagnen-truppe des Us-riesen Boeing fliegt ebenfalls Runden über das politische Berlin und wichtigen Landesregierungen. Die Amerikaner würden
Deutschland gerne ihre F-18 andienen und werben damit, das Modell könne viel schneller als der Eurofighter für das Tragen von Atombomben zertifiziert werden. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, würde der hier notwendige Prozess doch in den USA stattfinden.
In der ausscheidenden Großen Koalition hat sich auf alle Fälle die Erkenntnis durchgesetzt, dass der Eurofighter nicht schnell genug als Atombomber aufgemotzt werden kann. Es zeichnete sich daher ein Kompromiss ab: Deutschland hätte demnach als Tornado-ersatz 40 Eurofighter mit der Option auf 15 weitere geordert. Nachdem Berlin schon 38 der Flieger nachbestellt hat, wäre das für die vor allem in Süddeutschland beheimateten Airbus-rüstungsstandorte mit rund 5500 Beschäftigten in Manching bei Ingolstadt und etwa 2800 in Augsburg ein Segen. Im schwäbischen Werk werden technologisch anspruchsvolle Rumpfmittelteile für die Flieger gebaut und am Endmontage-stützpunkt Manching in die Maschinen eingebaut. Insgesamt hängen in Deutschland mit allen Zulieferfirmen rund 25000 Arbeitsplätze am Eurofighter, europaweit etwa 100000. Würden also über die 38 Maschinen hinaus weitere 45 geordert, wäre der militärische Flugzeugbau in Werken wie Augsburg und Manching wohl bis 2040 gesichert. Das Datum ist wichtig, denn dann soll das neue deutsch-französische Kampfflugzeug-system FCAS, das Drohnen, Transport- wie Tankflieger und Satelliten integriert, Wirklichkeit werden. Von dem Megaprogramm dürften wiederum die bayerischen Rüstungsstandorte profitieren. Damit begnügen sich europäische Airbus-lobbyisten und Arbeitnehmervertretungen des Konzerns aber nicht. Ihnen missfällt, dass nach dem alten Kramp-karrenbauer-plan auch Boeing 45 F-18-flugzeuge liefern dürfte, was ein Triumph für die Amerikaner wäre. Von den Maschinen entfallen nach Vorstellungen des Verteidigungsministeriums 15 auf die elektronische Kampfführung und ganze 30 auf die nukleare Teilhabe.
Um zu verhindern, dass die Amerikaner
im Airbus-land Deutschland einen immer größeren Fußabdruck bekommen, versuchen die Europäer einen Befreiungsschlag und bieten der neuen Regierung eine Übergangslösung an: Danach würden einige Tornado-flugzeuge eine Art Ersatzteillager für andere, damit am Ende genügend Flieger etwas über 2030 hinaus durchhalten und in der Lage sind, Atomwaffen zu tragen. Mit dem Thema innig vertraute Parlamentarier sprechen hier von einer „Nebelkerze der Rüstungsindustrie“. Denn nach einem Bericht des Bundesrechnungshofs, von dem unserer Redaktion Kenntnis hat, kann eine solche Ertüchtigung von Tornado-flugzeugen „nicht mehr wirtschaftlich umgesetzt werden“. Das Kampfflugzeugrecycling würde zu teuer. Deswegen muss aus Sicht des Bundesrechbefördern nungshofs umgehend eine Entscheidung gefällt werden, wie der Tornado ersetzt wird. Dass der Appell von Anfang 2020 stammt, zeigt, wie schwer sich politisch Verantwortliche tun, Nägeln mit Köpfen zu machen. Dabei dürfte es in der neuen Legislaturperiode angesichts der Machtkonstellation noch komplizierter sein, einen Kompromiss zu finden. Denn die Grünen, das zeigen ihr Programm und entsprechende Beschlüsse, wollen bis auf einige Super-realos weg von der nuklearen Teilhabe. Deshalb ist es schwer vorstellbar, dass die Öko-truppe dem milliardenschweren Kauf von Usatombombern zustimmt. In der SPD geht bei dem Thema ein Riss durch die Partei: Während Pragmatiker wie Noch-außenminister Heiko Maas sich wohl vorstellen können, an der atomaren Teilhabe festzuhalten und den Tornado zu ersetzen, sieht das ihr Parteikollege Bundestags-fraktionschef Rolf Mützenich sicher anders. Er hat „über atomwaffenfreie Zonen“seine Doktorarbeit geschrieben. Die Verbannung nuklearer Bomben aus Deutschland ist ihm ein Herzensanliegen. Dass die Us-atom-eier dann wahrscheinlich nach Polen emigrieren, lässt deutsche Pazifisten nicht umdenken. Am Ende könnte die Versuchung groß sein, den Wanderpokal „Tornado-nachfolge“verstauben zu lassen und auf die nächste Legislaturperiode zu schieben. Schließlich stehen hierzulande nicht minder wichtige Rüstungsprojekte wie die überfällige Beschaffung schwerer Hubschrauber und zusätzlicher Puma-panzer an.
Die 20 Atomeier aus der Eifel
Kann der Tornado noch länger fliegen?