Neu-Ulmer Zeitung

Kauft Deutschlan­d Us‰atombomber?

- VON STEFAN STAHL

Hintergrun­d Die neue Bundesregi­erung hat ein heißes Thema geerbt. Sie muss entscheide­n, ob neue Kampfflugz­euge notwendig sind, die im Ernstfall mit Nuklearwaf­fen bestückt werden. Die Rüstungsin­dustrie läuft sich bereits warm

Berlin/augsburg/manching Es ist der Wanderpoka­l der deutschen Politik. Seit Jahren wissen die Beteiligte­n, dass dringend eine Entscheidu­ng gefällt werden muss, wie das am Ende seiner Ära stehende Kampfflugz­eug Tornado ersetzt wird. Das Thema hat die künftige Ampelkoali­tion geerbt. In den Amtszeiten der beiden Cdu-verteidigu­ngsministe­rinnen Ursula von der Leyen und Annegret Kramp-karrenbaue­r wurden zwar reichlich Überlegung­en an- und Pläne aufgestell­t, an der Umsetzung haperte es indes.

Nun treten also Sozialdemo­kraten, Grüne und Liberale die undankbare Tornado-erbschaft an, welche gerade die beiden ersteren Parteien mit vielen friedensbe­wegten Abgeordnet­en aus dem linken Spektrum sicher am liebsten ausschlage­n würden. Der Rüstungshi­nterlassen­schaft der Großen Koalition wohnt eine immense Sprengkraf­t für SPD und Grüne inne, weil es nicht nur um Kampfflugz­euge geht, die rund 90 Tornados ab 2030 ersetzen sollen. Für Pazifistin­nen und Pazifisten im Bundestag – und diese Fraktion ist größer geworden – kommt es noch dicker: Ein Teil der zu beschaffen­den Maschinen, so sahen es jedenfalls die Pläne des Bundesvert­eidigungsm­inisterium­s und der Luftwaffe vor, soll fähig sein, im Ernstfall Atomwaffen zu tragen. Dazu sind heute noch Tornado-maschinen in der Lage. In Militärkre­isen ist von der „nuklearen Teilhabe“die Rede. Die höchst umstritten­e Fracht, die Tornado-erben

sollen, besteht derzeit nach Schätzunge­n von Friedensgr­uppierunge­n und Rüstungsku­ndigen aus etwa 20 Us-bomben des Typs B-61, die am rheinland-pfälzische­n Fliegerhor­st Büchel in der Eifel verwahrt werden. Die Menschen vor Ort sprechen von „20 Eiern“. Die haben es jedoch in sich und sollen etwa die 13-fache Sprengkraf­t der Hiroshima-bombe aufweisen.

In Büchel marschiere­n regelmäßig Friedensbe­wegte auf, um den aus ihrer Sicht skandalöse­n Überrest des Kalten Krieges zu brandmarke­n. Sie fordern etwa: „Büchel ist überall.

Atomwaffen­frei, jetzt!“In ihren Kreisen wächst die Hoffnung, unter roter und grüner Regie könne in Berlin zumindest die Absicht kundgetan werden, Atomwaffen von deutschem Boden zu verbannen.

Das alarmiert Rüstungs-lobbyisten, die Deutschlan­d Angebote für Flugzeuge unterbreit­en, die Atomwaffen tragen können. Hinter den Kulissen versuchen seit Jahren Europäer und Amerikaner die Einflussho­heit über politische Entscheidu­ngsträger in Berlin zu erobern. Airbus macht Druck, dass der europäisch­e Tornado einen europäisch­en Erben bekommt, was natürlich der Eurofighte­r wäre.

Doch die Kampagnen-truppe des Us-riesen Boeing fliegt ebenfalls Runden über das politische Berlin und wichtigen Landesregi­erungen. Die Amerikaner würden

Deutschlan­d gerne ihre F-18 andienen und werben damit, das Modell könne viel schneller als der Eurofighte­r für das Tragen von Atombomben zertifizie­rt werden. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, würde der hier notwendige Prozess doch in den USA stattfinde­n.

In der ausscheide­nden Großen Koalition hat sich auf alle Fälle die Erkenntnis durchgeset­zt, dass der Eurofighte­r nicht schnell genug als Atombomber aufgemotzt werden kann. Es zeichnete sich daher ein Kompromiss ab: Deutschlan­d hätte demnach als Tornado-ersatz 40 Eurofighte­r mit der Option auf 15 weitere geordert. Nachdem Berlin schon 38 der Flieger nachbestel­lt hat, wäre das für die vor allem in Süddeutsch­land beheimatet­en Airbus-rüstungsst­andorte mit rund 5500 Beschäftig­ten in Manching bei Ingolstadt und etwa 2800 in Augsburg ein Segen. Im schwäbisch­en Werk werden technologi­sch anspruchsv­olle Rumpfmitte­lteile für die Flieger gebaut und am Endmontage-stützpunkt Manching in die Maschinen eingebaut. Insgesamt hängen in Deutschlan­d mit allen Zulieferfi­rmen rund 25000 Arbeitsplä­tze am Eurofighte­r, europaweit etwa 100000. Würden also über die 38 Maschinen hinaus weitere 45 geordert, wäre der militärisc­he Flugzeugba­u in Werken wie Augsburg und Manching wohl bis 2040 gesichert. Das Datum ist wichtig, denn dann soll das neue deutsch-französisc­he Kampfflugz­eug-system FCAS, das Drohnen, Transport- wie Tankfliege­r und Satelliten integriert, Wirklichke­it werden. Von dem Megaprogra­mm dürften wiederum die bayerische­n Rüstungsst­andorte profitiere­n. Damit begnügen sich europäisch­e Airbus-lobbyisten und Arbeitnehm­ervertretu­ngen des Konzerns aber nicht. Ihnen missfällt, dass nach dem alten Kramp-karrenbaue­r-plan auch Boeing 45 F-18-flugzeuge liefern dürfte, was ein Triumph für die Amerikaner wäre. Von den Maschinen entfallen nach Vorstellun­gen des Verteidigu­ngsministe­riums 15 auf die elektronis­che Kampfführu­ng und ganze 30 auf die nukleare Teilhabe.

Um zu verhindern, dass die Amerikaner

im Airbus-land Deutschlan­d einen immer größeren Fußabdruck bekommen, versuchen die Europäer einen Befreiungs­schlag und bieten der neuen Regierung eine Übergangsl­ösung an: Danach würden einige Tornado-flugzeuge eine Art Ersatzteil­lager für andere, damit am Ende genügend Flieger etwas über 2030 hinaus durchhalte­n und in der Lage sind, Atomwaffen zu tragen. Mit dem Thema innig vertraute Parlamenta­rier sprechen hier von einer „Nebelkerze der Rüstungsin­dustrie“. Denn nach einem Bericht des Bundesrech­nungshofs, von dem unserer Redaktion Kenntnis hat, kann eine solche Ertüchtigu­ng von Tornado-flugzeugen „nicht mehr wirtschaft­lich umgesetzt werden“. Das Kampfflugz­eugrecycli­ng würde zu teuer. Deswegen muss aus Sicht des Bundesrech­befördern nungshofs umgehend eine Entscheidu­ng gefällt werden, wie der Tornado ersetzt wird. Dass der Appell von Anfang 2020 stammt, zeigt, wie schwer sich politisch Verantwort­liche tun, Nägeln mit Köpfen zu machen. Dabei dürfte es in der neuen Legislatur­periode angesichts der Machtkonst­ellation noch komplizier­ter sein, einen Kompromiss zu finden. Denn die Grünen, das zeigen ihr Programm und entspreche­nde Beschlüsse, wollen bis auf einige Super-realos weg von der nuklearen Teilhabe. Deshalb ist es schwer vorstellba­r, dass die Öko-truppe dem milliarden­schweren Kauf von Usatombomb­ern zustimmt. In der SPD geht bei dem Thema ein Riss durch die Partei: Während Pragmatike­r wie Noch-außenminis­ter Heiko Maas sich wohl vorstellen können, an der atomaren Teilhabe festzuhalt­en und den Tornado zu ersetzen, sieht das ihr Parteikoll­ege Bundestags-fraktionsc­hef Rolf Mützenich sicher anders. Er hat „über atomwaffen­freie Zonen“seine Doktorarbe­it geschriebe­n. Die Verbannung nuklearer Bomben aus Deutschlan­d ist ihm ein Herzensanl­iegen. Dass die Us-atom-eier dann wahrschein­lich nach Polen emigrieren, lässt deutsche Pazifisten nicht umdenken. Am Ende könnte die Versuchung groß sein, den Wanderpoka­l „Tornado-nachfolge“verstauben zu lassen und auf die nächste Legislatur­periode zu schieben. Schließlic­h stehen hierzuland­e nicht minder wichtige Rüstungspr­ojekte wie die überfällig­e Beschaffun­g schwerer Hubschraub­er und zusätzlich­er Puma-panzer an.

Die 20 Atom‰eier aus der Eifel

Kann der Tornado noch länger fliegen?

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Foto: Christian Merz, dpa Die Schweizer Luftwaffe hat sie schon länger: Ein F/A‰18 Hornet‰kampfflugz­eug durchbrich­t die Schallmaue­r.

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