Was wird nun bloß aus Rimini?
Wettbewerb Weil Italien Milliarden von der EU erhält, pocht Brüssel auf die Einhaltung der Regeln des freien Marktes. Strandbadbetreiber müssen sich nun an Konkurrenz gewöhnen – aber um den sozialen Frieden zu wahren, erst ab 2024
Rom Man möchte meinen, baden sei baden und sonnenbaden sei sonnenbaden. Nicht so in Italien. Dort sind die auf 750 Kilometer Küste verteilten Strandbäder, die Stabilimenti balneari, ein Politikum. Urlauber zahlen dort einen Preis dafür, sich bequem im zur Verfügung gestellten Liegestuhl unter einem gemieteten Sonnenschirm bräunen zu können. Wer will, kann sich zudem in einer zusätzlich gemieteten Kabine einnisten. Mittagessen, Eis und Espresso gibt es im Restaurant des Stabilimento. Schön und teuer, von 25 Euro pro Tag für Liege und Schirm geht es aufwärts.
Die Alternative ist die Spiaggia libera, wo jedermann seine mitgebrachten Liegestühle aufstellen kann. In Italien sind die Selbstversorger Minderheit. Man geht, wenn man es sich leisten kann, ins Stabilimento. Um diesen Kosmos wird seit 15 Jahren eine Art Kulturkampf ausgetragen, dessen Ende nun absehbar ist. 2006 verfügte die Europäische Union, die Lizenzen für die Nutzung öffentlicher Güter müssten ausgeschrieben werden. Strandbadlizenzen gehören dazu, weil der Strand Eigentum des Staates, also der Gemeinschaft ist. Bis heute war den italienischen Regierungen aber der politische Frieden wichtiger als die korrekte Anwendung sinnvoller Regeln. Denn was ist daran gerecht, dass italienische Familien sich von Generation zu Generation die quasi geschenkten Strandbad-lizenzen vererben?
Richtig wäre es, die Allgemeinheit bekäme verhältnismäßige Summen für die Vergabe der Lizenzen. Das ist bislang nicht der Fall. Mehr als 21 000 der insgesamt rund 30 000 Lizenzträger bezahlen weniger als 2500 Euro pro Konzession, im Jahr. So hat nun auch das oberste italienische Verwaltungsgericht in Rom entschieden: Vom 1. Januar 2024 an gibt es kein Lavieren mehr. Dann müssen die Strandbad-lizenzen öffentlich ausgeschrieben werden. Von dem Umsatz in Höhe von 15 Milliarden Euro, den die Strandbadbetreiber mit dem Vermieten von Liegen, Sonnenschirmen, Kabinen und der Bewirtung machen, geht dann ein größerer Teil an den Staat. Bislang sollen es nur etwa 100 Millionen Euro sein.
„Liberalisierung“lautet das Stichwort, unter dem es ab 2024 auch den Strandanlagen-betreibern an den Kragen geht. Italien liegt seit 15 Jahren mit der Eu-kommission im Streit. Weil sich die Regierungen stets gegen die Öffnung des Marktes wehrten und die Pfründe der Strandanlagen-betreiber nicht antasten wollten, gab es schon Gerichtsurteile. „Die EU will uns unsere Strände wegnehmen“, jammerten die Anlagenbetreiber dann. Zu Hilfe eilten ihnen Populisten wie Matteo Salvini von der Lega, dem das Narrativ von der bösen EU bestens in den Kram passte. Als die Lega 2018 noch an der Regierung war, wurden die Lizenzen pauschal um 15 Jahre verlängert. Die EU leitete Strafverfahren ein, die aber keine Wirkung zeigten.
Angesichts der als Corona-aufbauhilfe fließenden Eu-gelder (209 Milliarden Euro bis 2026) sah sich Italiens Regierung unter Zugzwang und entwarf neue Wettbewerbsregeln. Was die stabilimenti balneari angeht, verließ die Regierung von Premier Mario Draghi dann aber schnell wieder der Mut, weil sie angesichts der angespannten sozialen Lage in Italien den Protest von Strandanlagen-betreibern und den entsprechenden politischen Scharfmachern nicht herausfordern wollte. Einige Vorgänger-regierungen hätten „sehr ehrgeizige Maßnahmen“durchsetzen wollen, seien aber am fehlenden politischen Konsens gescheitert, sagte Draghi. „Andere Regierungen haben die Frage ignoriert.“Seine Regierung gehe nun einen dritten Weg, den der „Transparenz“, behauptete der Premier.
Im Klartext bedeutete das, dass nun erst einmal ein Verzeichnis aller Lizenzen, ihrer Dauer und Preise, angefertigt werden soll. Dasselbe gilt für Mineralwasser-lizenzen, für Thermen und TV- sowie Radiofrequenzen. Angesichts der teilweise gewalttätigen Corona-proteste bloß keine Revolution lostreten, dürfte der Hintergedanke gewesen sein. Das Oberste Verwaltungsgericht sprang Draghi nun bei. Das sofortige Auslaufen der Lizenzen hätte einen nicht wünschenswerten „wesentlichen sozio-ökonomischen Effekt“mit sich gebracht, schrieben die Richter. Ein Jahr hat Italien noch Zeit. Dann wird es ernst für die Strandbadbetreiber.