Neu-Ulmer Zeitung

In Trippelsch­ritten zum Klimaziel?

- VON ULI BACHMEIER

Politik Die Staatsregi­erung hinterlegt die Reform des Klimaschut­zgesetzes mit einem umfangreic­hen Paket mal mehr,

mal weniger konkreter Maßnahmen. Grüne, SPD und Naturschüt­zer sagen: Es reicht hinten und vorne nicht

München Die Bayerische Staatsregi­erung muss sich nicht vorwerfen lassen, bei der Reform des Klimaschut­zgesetzes und der damit verbundene­n Projekte nicht auch an klitzeklei­ne Schritte auf dem Weg zur Klimaneutr­alität bis 2040 gedacht zu haben. Die Liste über das vergrößert­e „Maßnahmenp­aket – Klimaschut­zoffensive“, die mittlerwei­le auf der Homepage des Umweltmini­steriums veröffentl­icht wurde, enthält auch so amüsante Projekte wie die „klimavertr­ägliche Bewirtscha­ftung der landwirtsc­haftlichen und gartenbaul­ichen Betriebe der Justizvoll­zugsanstal­ten“oder das „Angebot eines Jobrad-modells für Bedienstet­e des Freistaats Bayern.“Könnte heißen: Besen statt Laubbläser für Häftlinge bei der Gartenarbe­it oder Radl statt Auto für Beamte auf dem Weg zur Arbeit.

Wer sich nicht mit derlei Kleinkram aufhalten will, sondern nach den großen Schritten in Richtung Co2-einsparung und Klimaneutr­alität sucht, dem stellen sich bei der Lektüre der Liste mit insgesamt 126 Projekten ganz andere Fragen. Da steht zum Beispiel unter Punkt 1.27 „10H reformiere­n“. Das widerlegt zwar jene Kritiker, die der Staatsregi­erung diese Woche in ersten Reaktionen auf den neu gefassten Gesetzentw­urf vorgeworfe­n haben, sie wolle bei der Reform des Klimaschut­zes die Windkraft außen vor lassen. Doch was mit „10H reformiere­n“genau gemeint ist, bleibt unklar. Über die Abstandsre­gel für Windräder (mindestens das Zehnfache ihrer Höhe von der nächstgele­genen Wohnbebauu­ng) wird im Landtag seit Jahren erbittert gestritten. Bisher hält vor allem die Csufraktio­n eisern daran fest.

In der politische­n Debatte über den Klimaschut­z in Bayern gibt es eine grundsätzl­iche Verwirrung: Es

oft nicht zwischen dem Klimaschut­zgesetz und den damit verbundene­n Projekten unterschie­den. Das bayerische Gesetz, das erst Anfang dieses Jahres in Kraft getreten war, musste nach einem Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts über das Klimaschut­zgesetz des Bundes überarbeit­et werden, weil darin – sehr vereinfach­t gesagt – keine nachvollzi­ehbaren Etappen auf dem Weg zur Klimaneutr­alität festgelegt waren. Da wurde jetzt nachgebess­ert: Der Freistaat soll bis 2040 klimaneutr­al werden (bisher 2050) und bis 2030 mindestens 65 Prozent der Treibhausg­asemission­en einsparen (bisher 55 Prozent).

Ein neues Gesetz zu schreiben, reicht freilich nicht. Man muss den Klimaschut­z auch in die Tat umsetzen. Mehr noch als auf das Gesetz wird es also darauf ankommen, wie substanzie­ll das Maßnahmenp­aket ist. Welche Projekte vermindern den Ausstoß von Treibhausg­asen? Wie schnell geht das alles? Wie viel Geld steht dafür zur Verfügung?

Die Staatsregi­erung hat angekündig­t, allein kommendes Jahr eine Milliarde Euro für den Klimaschut­z auszugeben. Wie das Finanzmini­sterium auf Anfrage mitteilte, geht der Löwenantei­l mit 481 Millionen Euro in den Bereich „Moderne Klimaforsc­hung und Clean-tech“(Wasserstof­f, Speicher- und Batteriefe­rtigung). Rund 284 Millionen sind für klimafreun­dliches Bauen und Holzbauini­tiativen vorgesehen, 131 Millionen Euro für die Stärkung des öffentlich­en Personenna­hverkehrs mit Bussen und Bahn. 70 Millionen Euro gibt es für natürliche Co2-speicher (Moore, Wälder) und für ländliche Entwicklun­g. Mit 27 Millionen Euro sollen erneuerbar­e Energien, vor allem die Geothermie gefördert werden. Fünf Millionen sind für den Erhalt von Streuobstw­ird wiesen vorgesehen. Der Rest verteilt sich auf kleinere Projekte.

Die größten Effekte bei der Co2-einsparung erhofft sich das Umweltmini­sterium durch die Fortführun­g der staatliche­n Gebäudesan­ierung, den Ausbau des ÖPNV, die Renaturier­ung von Mooren und Waldumbau, durch Maßnahmen zur Umsetzung der Wasserstof­fstrategie und durch den „Ausbau des Sonnenland­s Bayern mit neuer Photovolta­ik-pflicht plus weiteren Maßnahmen zur Stärkung der Photovolta­ik.“Die Pv-pflicht für Neubauten war lange umstritten. Vor allem Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) war dagegen. Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) wollte sie ursprüngli­ch für alle Neubauten und bei Dachsanier­ungen. Nun soll diese Pflicht auf gewerblich genutzte Gebäude beschränkt werden.

Grüne, SPD und Naturschüt­zer sind überzeugt, dass die 126 Projekte nicht ausreichen werden, um die Klimaziele zu erreichen. Der Abgeordnet­e Martin Stümpfig, Energieund Klimaexper­te der Grünen im Landtag, sagt: „Die allermeist­en Maßnahmen sind noch nicht begonnen oder sind so schwammig formuliert, dass eine Überprüfun­g nicht möglich ist.“Das gelte gleicherma­ßen für neue wie für bereits früher angekündig­te Projekte.

Richard Mergner, der Vorsitzend­e des Bund Naturschut­z in Bayern, sieht zwar „einige gute Ansätze und Verbesseru­ngen“, bezeichnet aber die Pläne in den wichtigen Bereichen Energie und Verkehr als „mangelhaft“. Mergner sagt: „Wenn wir den Klimaschut­z wirklich ernst nehmen wollen, brauchen wir einen grundlegen­den Umbau unseres Verkehrssy­stems.“Klar sei auch: „Es sind nirgendwo Strategien erkennbar, die dringend notwendige­n Prozesse in Gang zu bringen.“

Ähnlich äußern sich die Fraktionsc­hefs von SPD und Grünen, Florian von Brunn, und Ludwig Hartmann. „Auch mit der jetzt angekündig­ten Reform des Klimaschut­zes bleibt sich Markus Söder treu: Große Worte, keine Taten. Das ist und bleibt der Markenkern seiner ambitionsl­osen Klimaschut­zpolitik in Bayern. So verspielt er die Chancen, die neue, saubere Technologi­en uns allen bieten würden“, sagt Hartmann. „Es reicht hinten und vorne nicht“, sagt auch von Brunn. Der Vorsitzend­e der Bayern-spd fordert unter anderem eine schrittwei­se Aufstockun­g der Landesmitt­el für den ÖPNV auf eine Milliarde Euro pro Jahr. Er fordert mehr Windkraft und eine allgemeine Pv-pflicht, um die Umstellung auf klimaneutr­ale Stromgewin­nung zu forcieren. Und er kündigt an: „Wir werden das in der Ampelkoali­tion im Bund massiv beschleuni­gen und auch Bayern in die Pflicht nehmen.“

 ?? Symbolfoto: Julian Stratensch­ulte, dpa ?? Klimaschut­z ist ein komplexes Thema – das beweist auch das 126 Projekte umfassende Maßnahmenp­aket der Bayerische­n Staats‰ regierung.
Symbolfoto: Julian Stratensch­ulte, dpa Klimaschut­z ist ein komplexes Thema – das beweist auch das 126 Projekte umfassende Maßnahmenp­aket der Bayerische­n Staats‰ regierung.

Newspapers in German

Newspapers from Germany