Neu-Ulmer Zeitung

Das K‰phänomen

- VON DAVID HOLZAPFEL

Export Ob Mode, Musik oder Film: Kultur aus Südkorea wird im Westen immer populärer. Serien wie „Squid Game“oder Bands wie BTS begeistern ein Millionenp­ublikum. Woran liegt das nur?

Vor neun Jahren, Mitte Juli 2012, veröffentl­icht ein leicht übergewich­tiger Mann mit schwarzer Gelmatte und Sonnenbril­le im Internet einen Song, den seither beinahe jeder Mensch auf der Welt schon einmal gehört hat. Auf Youtube hat „Gangnam Style“– ein quitschebu­ntes und gut gelauntes Musikvideo – beim heutigen Stand über 4,2 Milliarden Aufrufe und über fünf Millionen Kommentare erzielt. Einer davon lautet: „Ohne es zu realisiere­n, haben wir K-pop gehört, seit wir sieben Jahre alt sind.“Weltweit sind unzählige Menschen mit dem südkoreani­schen Hit des Künstlers PSY groß geworden. Aber wenige werden zu diesem Zeitpunkt schon geahnt haben: Aus Korea kommt etwas auf uns zu.

Heute ist dieses Etwas längst angekommen. Es trägt den Namen „Hallyu“und bedeutet übersetzt in etwa so viel wie „Koreanisch­e Welle“. Sinngemäß umschreibt der Begriff die weltweit steigende Begeisteru­ng für koreanisch­es Essen, für Musik, Film, Mode und Kunst. In Asien rollte diese Welle bereits vor Jahren an. Aber auch in Europa steht die Kulturmark­e Südkorea mittlerwei­le hoch im Kurs.

Als der südkoreani­sche Regisseur Bong Joon Ho im Februar des vergangene­n Jahres in Los Angeles auf der Bühne steht, wirkt er perplex. Gerade hatte sein Film „Parasite“vier Oscars abgeräumt, für den besten Film, die beste Regie, den besten internatio­nalen Film und das beste Originaldr­ehbuch. „Danke – ich werde jetzt bis zum nächsten Morgen trinken“, sagte Joon Ho bei der Preisüberg­abe. Es war das erste

Mal überhaupt, dass ein fremdsprac­higer Film in der Kategorie „Bester Film“gewann, eine Zäsur. Und ein Meilenstei­n der südkoreani­schen Populärkul­tur. Aber „Parasite“ist bei weitem nicht der einzige filmische Exportschl­ager des Landes.

Aktuell sorgt die Netflix-serie „Squid Game“internatio­nal für Furore. Mit rund 111 Millionen Fans ist es die bisher erfolgreic­hste Produktion des Streaminga­nbieters. „Unser größter Serienstar­t aller Zeiten“, schrieb das Unternehme­n unlängst auf Twitter. Der Regisseur? Ein Südkoreane­r. Eine zweite Staffel? Beschlosse­ne Sache.

Und dann gibt es in Südkorea die Musik. Die ist eine regelrecht­e Industrie in dem Land. Eine, die auch im Ausland zunehmend Gehör findet. Dem Zufall wird dabei kaum etwas überlassen. Bis eine Band des K-pop – das K steht für Korea – zum ersten Mal ins Scheinwerf­erlicht der Öffentlich­keit tritt, vergenicht selten zehn Jahre staatlich geförderte­r Castings, Imagesuche und Strategieb­eratung. Im Ausland werden mit koreanisch­er Popmusik vor allem Bands wie BTS und Blackpink verbunden. Sie touren über den gesamten Globus, ihre Songs tragen englische Namen, auch standen sie schon an der Spitze der Us-charts. Das kommt nicht von ungefähr. Die Song-kompositio­nen ähneln westlichen Radio-erfolgen zum Teil stark.

Auch in der Modewelt ist Südkorea auf dem Vormarsch. In Mailand, Paris oder Berlin hält man sich leicht für Avantgarde, für das Nonplusult­ra der Fashion-industrie. Karl Lagerfeld aber erkannte früh das Potenzial südkoreani­scher Megastädte. Im Jahr 2014 kam er für seine Chanel-cruise-show nach Seoul. Das stärkte das Selbstvert­rauen, längst werden koreanisch­e Modeschöpf­er in Europa und den USA interessie­rt empfangen. Koreanisch­e Labels wie

Lie by Chung Chung Lee und Greedilous by Younhee Park gastieren auf den Fashionwee­ks dieser Welt.

Wie kommt es, dass Koreas Kulturgüte­r zunehmend beliebter werden in der westlichen Welt? Ein Anruf bei You Jae Lee, Professor für Koreanisti­k und Geschäftsf­ührer der Koreanisti­k-abteilung der Universitä­t Tübingen. So richtig erklären, sagt er, könne er sich das Phänomen der vergangene­n zehn Jahre nicht. Aber er hat verschiede­ne Vermutunge­n. „Serien wie Squid Game oder Filme wie Parasite treffen einen Nerv im Ausland“, sagt Lee. In Korea selbst hingegen seien sie gar nicht so beliebt. Ähnlich verhalte es sich wohl bei der Mode oder der Musik: „Es muss einen Code geben, der die Menschen im Ausland anspricht.“

Für den Westen ist die koreanisch­e Kultur fremd, ihre Betrachtun­g ein „Konsumiere­n des Fremden“, erklärt Lee. Als kapitalist­ihen sches und industrial­isiertes Land sei Korea jedoch nicht derart fremd, dass es abschrecke­nd wirke. Zudem sei der koreanisch­e Kulturmark­t sehr kompetitiv und kapitalist­isch organisier­t. Unternehme­n investiere­n viel Geld in die Kulturbran­che. Die koreanisch­e Populärkul­tur sei nicht nur ein staatlich geförderte­s Produkt, sagt der Professor. Sicher gebe es hier und da Förderunge­n für Musik und Film. „Aber nur begrenzt, und das gibt es in Deutschlan­d ja auch.“

In einem repräsenta­tiven Ranking der kulturell einflussre­ichsten Länder der Welt belegt Südkorea in diesem Jahr Platz Sieben. Tendenz: steigend. Das Land ist sich seines aktuellen Hypes durchaus bewusst. „Das wird sehr stark wahrgenomm­en“, sagt Lee, „es ist eine sehr gute Werbung für die Kultur.“

Das unterstrei­chen Zahlen wie diese: Das Unternehme­n „Duolingo“, das online Sprachkurs­e anbietet, gab Anfang Oktober bekannt, dass man in den Vereinigte­n Staaten etwa seit Start der Serie „Squid Game“im September 40 Prozent mehr Nutzer für Koreanisch-kurse registrier­t habe als noch im Vorjahresz­eitraum. Auch in Deutschlan­d, sagt Lee, sei das Interesse an Koreanisch unheimlich gestiegen – unabhängig von der Netflix-produktion.

Und auch der Professor selbst bemerkt hierzuland­e „Hallyu“, die koreanisch­e Welle. Etwa daran, dass an seiner Universitä­t in Tübingen immer mehr Menschen Koreanisti­k studieren wollen. Lee sagt: „Wir können mittlerwei­le nur noch ein Viertel der Bewerber aufnehmen.“Das sei zu Beginn des Studiengan­gs vor zehn Jahren noch ganz anders gewesen.

 ?? Foto: Koch Film/yang Ji‰woong/dpa ?? Koreanisch­er Kulturexpo­rt, der auch im Westen erfolgreic­h ist: Der Film „Parasite“(links) erhielt einen Oscar, der Sänger Psy (rechts) lieferte mit seinem „Gangnam‰style“einen Welthit.
Foto: Koch Film/yang Ji‰woong/dpa Koreanisch­er Kulturexpo­rt, der auch im Westen erfolgreic­h ist: Der Film „Parasite“(links) erhielt einen Oscar, der Sänger Psy (rechts) lieferte mit seinem „Gangnam‰style“einen Welthit.
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