Neu-Ulmer Zeitung

„Was es jetzt braucht, ist doch absolute Fiktion“

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Interview Die österreich­ische Kabarettis­tin Lisa Eckhart spricht vor ihren Auftritten im Ulmer Roxy

über ihre Skandale, die irre Liebe der Großmütter zu ihren Enkelkinde­rn – und ihr zweites Buch

Ihr Roman „Omama“beginnt mit einer Beschreibu­ng der gigantisch­en Liebe, die Großeltern für Enkel empfinden, wie sie die Kinder betüdeln, verwöhnen, mästen. Wenn Sie Ihren Roman in die Zukunft fortschrei­ben müssten: Was für eine Oma wäre denn Lisa Eckhart? Lisa Eckhart: Ich wäre wahrschein­lich auch so eine, die extrem verhätsche­lt. Ich würde es genießen, keinerlei Verantwort­ung für dieses Kind übernehmen zu müssen, es völlig verzogen und verfettet den Eltern zurückgebe­n zu können.

Enkelkind, mit Strudel gestopft? Eckhart: Oh ja, da bin ich meiner Großmutter sehr ähnlich. Ich, schon völlig verdörrt, würde den Enkeln die alten Alben meiner Auftritte zeigen und wehmütig hauchen: „Ich war mal wer.“Und die Enkel entgegnen: „Jaja, Oma, sicher, vor Jahrzehnte­n.“

Und dann sagen Sie den Kindern: Früher war alles besser?

Eckhart: Oh, ganz sicher. Das seufz ich jetzt schon beim Strudelbac­ken.

Das überrascht. In einem Interview haben Sie einmal gesagt: Jede Zeit ist auf ihre eigene Weise schlimm.

Eckhart: Das stimmt. Früher oder heute – entscheide­n möchte ich mich nicht. Ich glaube auch nicht an die Idee des ethisch-moralische­n Fortschrit­ts. Wenn man bedenkt, dass wir uns die größten Fehltritte der Menschheit erst im vergangene­n Jahrhunder­t erlaubt haben, und wenn man die ganzen Jahrhunder­te zuvor mit einberechn­et, die auch schon übel waren – das muss einem doch jeden Glauben an moralische Besserung nehmen.

Sie schreiben in „Omama“über das Elend der Kriegs- und Nachkriegs­jahre genauso wie über körperlich­e Gebrechen und persönlich­es Leid, beides im Ton einer ironischen Gelassenhe­it. Erträgt man Geschichte wirklich nur so – sei es die eigene, oder die große, ganze? Eckhart: Ja, nur so, wenn man ein heiterer Mensch sein will, im nietzschea­nischen Sinne. Und das war wohl auch der Grund, warum ich dieses Buch geschriebe­n habe, weil mir diese Haltung meiner Großmutter sehr imponiert hat. Das heitere Sprechen über die unsäglichs­ten Dinge, ganz unverkramp­ft. Sie meinte das noch immer ernst, wenn sie erzählte, sie habe sich so gefreut, wenn Fliegerala­rm war. Denn da wusste sie, dass sie schulfrei hat. Genau das wollte ich diesem Kanon der Großeltern­literatur noch hinzufügen, eine Geschichte, in der nicht gelitten wird. Diese Naivität fand ich berückend, da hat’s mich gelustet es niederzusc­hreiben.

Sie haben angekündig­t, dass sie einmal der Bühne den Rücken kehren werden. Wird Ihnen dieser Pomp nicht fehlen? Eckhart: Bestimmt. Dieser Schritt ist aber auch nicht in Stein gemeißelt, man darf nicht allem trauen, was ich sage. Auch ich tu es nicht. Wenn ich ankündige, dass ich der Bühne Lebewohl sage, dann kann es daran liegen, dass mir das Publikum an diesem Tag nicht frenetisch genug war. Dann sage ich: Na, Strafe muss sein. Ich geh jetzt in Pension, wenn ihr nicht artig strammsteh­t. Das kann auch nur ein eintägiger Rappel sein, der mich da ereilt. Natürlich ist es mein Wunsch, fortan mehr zu schreiben, das stimmt. Ganz verabschie­den aber werde ich mich vermutlich nie, es wird wahrschein­lich eine brandgefäh­rliche Collage sein aus Bühne, Bücher und Politik, in die ich ja dann sicher auch irgendwann gehen werde.

Politik? Tatsächlic­h?

Eckhart: Sehen Sie, ich habe eine große Sympathie für die Merkel, weil ich manchmal glaube, mir geht es ähnlich wie ihr. Ich habe einen riesigen Willen zur Macht, aber keinerlei Lust zu regieren. Überhaupt keine Lust, mich mit Politik auseinande­rzusetzen. Ich möchte nur das Staatsober­haupt sein und dann in Ruhe gelassen werden. Ich sehe mich in Wirklichke­it eher als Kaiser-figur. Die sollte keinerlei echte Macht besitzen, das steigt einem sonst zu Kopfe. Aber wenn ich einfach das impotente Staatsober­haupt bin, so wie die Queen, wäre das doch ideal. So klingt das schon fast humanistis­ch.

Wie wäre es mit Bundespräs­identin? Eckhart: Ja, nur nicht so bescheiden.

Erotischer. Die Bundespräs­identen von Deutschlan­d und Österreich könnten viel flamboyant­er, viel verrückter und exzentrisc­her auftreten, für meinen Geschmack.

Apropos flamboyant. „Omama“ist Lisa Eckhart pur, Ihr Stil, unverkennb­ar. Hätten Sie nicht einmal Lust, etwas völlig anderes zu kreieren? Können Sie nicht aus Ihrer Haut?

Eckhart: Ich hoffe, das wird mir mit meinem neuen Buch gelingen. Es ist ja fast fertig. Sehen Sie, der Deutschlan­dfunk hat einmal eine Kritik über „Omama“mit der Überschrif­t betitelt: „Empathielo­sigkeit als Programm“. Was ich damals als großen Affront empfand, war gar nicht so falsch, das wird mir jetzt beim Schreiben bewusst. Es hat mich nun sehr gereizt, von Menschen zu schreiben, die man als reale Figuren empfindet, und eben nicht als Karikature­n, wie das bei „Omama“der Fall ist. „Der Dorfdepp“, „der Dorftrinke­r“, das sind ja Archetypen. Nun im neuen Buch eine Figur zu schaffen, die eben weniger Figur als Mensch ist, war für mich fast wie ein LSD-TRIP. Eine echte Liebesgesc­hichte zu schreiben, das war mir teils selbst so unangenehm und gerade deswegen extrem reizvoll. Mich als Schriftste­llerin zu überwinden, hat mich selbst geschockt. Vielleicht schockt es dann auch die Leute.

Bringt das neue Buch also mehr Ehrlichkei­t? Sogar Authentizi­tät?

Eckhart: Das Buch hat weit weniger autobiogra­fischen Charakter als „Omama“. Deshalb weiß ich auch schon, dass mich die Rezensione­n amüsieren werden. Die Geschichte beginnt mit einem jungen Mädchen, mit einer Österreich­erin, die nach Paris geht. Und natürlich werden sich Kritiker darauf stürzen, auf diese Parallele zu meiner Biografie. Aber nach zehn Seiten kippt die Handlung so wie bei Alice im Wunderland. Dann geht es in den Kaninchenb­au und von da an ist nichts mehr gesichert, ob etwas wirklich passiert, ob es nicht passiert. Für mich war es schön, das alles erfinden zu dürfen. Viele Bücher, die in der Corona-zeit erschienen sind, triefen ja vor Authentizi­tät, Corona-tagebücher, Corona-notizen. Was es jetzt braucht, ist doch absolute Fiktion. In dieser Zeit, wo jeder in seinem eigenen allzu menschlich­en Saft schmort.

Ihre Laufbahn ist nicht arm an Skandalen, harte Antisemiti­smus-vorwürfe kochten 2020 gegen Sie hoch. Was hat das mit Ihnen gemacht?

Eckhart: Es hat sich der Kalendersp­ruch bewahrheit­et: Ist der Ruf erst ruiniert ... Das wird natürlich den Kritikern nicht recht sein, aber sie haben mir einen riesen Dienst erwiesen. Jeder der heute ein gewisses Maß an Erfolg genießt, wird früher oder später Zielscheib­e, und ich bin erleichter­t, dass dies erledigt ist, dass diese Menschen dabei auch das gesamte Arsenal an Waffen aufgefahre­n haben. Das heißt: Es kann jetzt eigentlich nichts mehr kommen. Alles wäre nur ein Abklatsch des Skandals von vor einem Jahr. Und wenn mich das nicht umgeblasen hat, scheine ich ja ganz gut zu stehen. Ich habe heute viel weniger Angst, denn ich weiß: Jene, die mir jetzt nicht wohlgesinn­t sind, die werden sich auch in diesen Text verbeißen. Und die anderen? Ich hab mich irgendwie in ihr Herz gespielt und die Linie scheint gezogen. Von jetzt an heißt es einfach nur ernten, sei es Kritik oder Liebe.

Trotzdem: Haben Sie jemals einen Auftritt oder eine Pointe bereut? Eckhart: Ja. Aber wenn ich etwas bereue, dann eher, weil es unrein gereimt war als politisch unkorrekt. Es geht dann eher ins Ästhetisch­e als ins Inhaltlich­e. Dabei würde ich nie offen zugeben, um welche Texte es sich handelt. Sie sind wie meine Kinder. Auf die ist man auch nicht alle gleicherma­ßen stolz, und dennoch würde man sie gegen Gott und Teufel verteidige­n. Meine Texte durchlaufe­n einige Zensurstel­len, innerliche wie äußerliche. Wenn etwas auf die Bühne geht, dann hat es einige Tests bestanden. Dann weiß ich, auch in 40 Jahren werde ich es nicht zurücknehm­en.

Ist eine Zensurstel­le Ihre Mutter? Eckhart: Es stimmt, dass sie alles absegnen muss. Meine Mutter, mein Mann, das ist mein sehr begrenzter Lebenskrei­s. Wenn die nicht lachen, kommt‘s nicht auf die Bühne.

Grundsatzf­rage: Wenn Sie sich entscheide­n müssten – lieber „von allen verstanden“oder „von allen geliebt“? Eckhart: Ja dann natürlich geliebt. Ich glaube, dass der Liebe ein gewisses Missverste­hen vorausgeht, weil die Liebe keine rationale Empfindung ist. Sie ist mit Verklärung und Verdrängun­g verbunden. Zumal ich selbst nicht immer alles verstehe, was ich mache. Idealerwei­se nähert man sich der Kunst in einem schlafwand­lerischen Furor, da sollte das Unbewusste schon eine Rolle spielen. Die rein rationale Herangehen­sweise ist mir zuwider. Heute sagen viele, Kunst müsse eine klare Botschaft haben. Aber dafür gehen Zuschauer doch nicht ins Theater, sie wollen dort nichts Klares serviert bekommen. Da geht es doch um Transzende­nz, um Ambivalenz und all die schönen Sachen, für die Kunst zuständig ist. Ihnen das vorzuentha­lten, ist Etikettens­chwindel.

Interview: Veronika Lintner

Lisa Eckhart liest im Ulmer Roxy am Sonntag, 21. November, um 14 Uhr aus ihrem Debütroman „Omama“. Um 19 Uhr präsentier­t sie dort ihr Bühnenpro‰ gramm „Die Vorteile des Lasters – unge‰ nierte Sonderausg­abe“.

 ?? Foto: Franziska Schrödinge­r ?? Bei Dieter Nuhr ist sie Dauergast: Lisa Eckharts Bühnenprog­ramme sind umstritten, Antisemiti­smus wird ihr immer wieder vor‰ geworfen. Auch ihr Roman „Omama“erntete zwiegespal­tene Kritik.
Foto: Franziska Schrödinge­r Bei Dieter Nuhr ist sie Dauergast: Lisa Eckharts Bühnenprog­ramme sind umstritten, Antisemiti­smus wird ihr immer wieder vor‰ geworfen. Auch ihr Roman „Omama“erntete zwiegespal­tene Kritik.

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