Neu-Ulmer Zeitung

Eine Kunst der Fundstücke im Künstlerha­us Ulm

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Schau Reinhard Köhler und Renate Vetter stellen hier Werke aus. Sie verbindet ein Gespür für die vergänglic­he Zeit

Ulm Was auf den ersten Blick zart-filigran wirkt – erinnert auf den zweiten an Vergänglic­hkeit: Eine winzige Superhelde­nfigur, muskulös, aber kaum einen Finger breit, hat sich Flügel auf die Schultern gespannt. Das Männlein ist aus Plastik, aber seine Flügel gehörten einmal einer echten Libelle. Und so thront der Held am Rand eines Plastikroh­rs, das der Ulmer Künstler Reinhard Köhler auch noch mit Vogelfeder­n befüllt hat – und mit einer einstmals lebendigen Stubenflie­ge. Höhenflug und Absturz, Leben, Freiheit, Tod – das Gedankenki­no beginnt. Nur wenige Meter weiter greifen die Hände eines Skeletts in die Höhe. Am anderen Raumende öffnet sich ein Schatzkäst­chen,

in dem das Modell eines Unterkiefe­rs ruht. Köhler will seine Kunst nicht zerreden, nicht erklären, aber er verrät: „Tod und Vergänglic­hkeit beschäftig­en mich in der Kunst.“Zu spüren ist das in seiner gemeinsame­n Ausstellun­g mit Renate Vetter im Künstlerha­us Ulm.

Köhler ist Musiker, Installati­onskünstle­r, Mitgründer der Galerie Kunstpool. „Ich bin ein Vielherzsc­hlager“, sagt er. Aber vor allem versteht sich der Ulmer als Sammler. Stücke aller Art findet und behält er – wie hier das alte Werkstatts­chublädche­n, auf dem „Muttern“steht und in dem doch Nägel liegen. Auch aus Zahn-gipsabdrüc­ken formt er Kunst, auch aus alten Uhren, die nicht mehr ticken. Symbole von Zeit und wie sie vergeht.

Köhlers Puls schlägt auch für Literatur. „Die Erde will freies Geleit ins All“– der Titel der Schau ist als Zitat eine Verneigung vor Ingeborg Bachmann. Ihr widmet er auch ein rostbraune­s Werk: Ein Rollschuhü­berrest

schwebt über einer Drahttromm­el – oder was es auch immer einmal war? Diese Frage begleitet die Betrachten­den sowieso durch die ganze Schau, stupst sie in Köhlers Bildwelt. Ist das eine Kanonenkug­el? Dort eine Patronenhü­lse? Der Schein leiht der Fantasie Flügel.

Köhler hatte die Wahl, mit wem er sich diese Schau teilt. So schippern jetzt Renate Vetters Boote an der Wand des Künstlerha­uses. Es sind schlichte, kleine Ur-kähne mit einem Gerüst aus Stacheldra­ht oder Dornen. Heckenrose­näste formt Vetter zum Boot, bespannt es mit Luftpolste­rfolie oder Papier. Manchmal sogar mit Rehhaut, die sie eigenhändi­g bearbeitet. Diese Werke verströmen eine Ruhe, die trügt und in die Gedanken platzen. An das Boot, das in den Hades führt? Oder an die windigen Fluchtboot­e, die heute auf dem Mittelmeer kentern?

Dazwischen hängen monochrom gefärbte Leinwände. Aus Erden schöpft Vetter Farben von Kohlschwar­z bis Rotorange. Diese Erden findet Vetter von Dornstadt bis zum Niedermoor in Wolpertswe­nde. „Ich spüre da eine Verwandtsc­haft“, sagt Köhler. „Ihre Stoffe sind Fundmateri­al, genauso wie meine. Diesen geben wir neue Formen.“

Die Schau ist bis 28. November immer Donnerstag und Freitag (14 bis 18 Uhr) geöffnet sowie Samstag und Sonntag (11 bis 16 Uhr). (veli)

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Foto: R. Köhler Held mit Libellenfl­ügel.

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