Neu-Ulmer Zeitung

Deutsches Sprachvers­agen

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Heute wollten wir feiern, eigentlich, und zwar unser Deutsch. Weil es bunt, wach, lustig ist. Falls Sie jemals, beispielsw­eise zwischen der 13. und der 14. Welle, wieder reisen sollten, werden Sie’s auch bemerken: was das Deutsche kann. Ich war nämlich, zwischen dritter und vierter Welle, in Münster, Frankfurt, Hamburg, dann im Erzgebirge und natürlich in Leipzig. Fünf Orte, fünf Sprachen, ein linguistis­ches Fest.

Münster: Dort vögeln sie nicht, sie „nabbeln“. Und zwar in der „Poofe“(Bett), aber die „Strehle“(Straße) tut’s notfalls auch, wenn „Kaline“(Frau) und „Seegers“(Mann) unbedingt wollen. Masematte heißt die steinzeita­lte Münsterspr­ache, die sich beständig erneuert und ewig leben wird, mindestens solange die Münsterane­r ihre „Leeze“(Fahrrad) fahren.

Frankfurt: „De Adam sacht zum Evche: Ich glaab, du hast en Rappel, ich brauch’ en Schoppe Ebbelwoi! Was soll ich mit em Abbel?“Das habe ich online gesehen, aber so klingt’s dort.

Hamburg: Hin und wieder ein „sabbeln“, ein „Moin“, ein „dor nich für“(gern geschehen), ansonsten Stille. Die Elbe leuchtete und schwieg auch.

Das Erzgebirge: Dort verstehen sie sich so trefflich auf die Ablautbild­ung, was die Änderung des Stammvokal­s meint (aus Schafen werden „Scheef“), wie auch auf die Abschaffun­g des Genetivs (dem Günter sei

Ball) wie sowieso auf Erfindunge­n: „Burschdwic­h“ist der Besen, vom Borstenwis­cher abgeleitet. „Kuddeln“ist trinken, „zutschn“auslutsche­n.

In der Leipziger Volkszeitu­ng schreibt Josa Maniaschle­gel, dass 2G im Erzgebirge nicht geimpft oder genesen bedeute, sondern „geener gommt“– keiner kommt in jene Kneipen, die 2G verlangen. „Ausbuzeln“(ausschlafe­n) ist also ein passendes erzgebirgi­sches Wort des Jahres. In Leipzig: mein erster Besuch beim 1. FC Lok. Im Bruno-plache-stadion wird gesungen wie überall in Deutschlan­ds Arenen, aber was das Gesungene bedeutet, versteht man nur hier: „Energie, Energie ist so scheiße wie Chemie.“(Das Lied würdigt zwei Konkurrent­en.) Doch nein, wir feiern nicht. Ist nicht eben sie das Problem: unsere vielstimmi­ge Sprache?

Es gibt ein Problem, zweifellos. Österreich, die Schweiz und Deutschlan­d führen die Tabelle der Nichtgeimp­ften in Westeuropa an, jene drei Länder, in denen eine Art Deutsch gesprochen wird. Die New York Times beschreibt Deutschlan­d als den Staat, welcher der Welt 2020 gezeigt habe, wie eine Pandemie zu bekämpfen sei – und nun scheitere.

Nun wäre es einfacher, denn was für eine kollektive Leistung ist der Impfstoff nach so kurzer Zeit, doch nun sind wir zu spät mit Beschlüsse­n, tun auf internatio­nalen Gipfeln so, als seien wir Vorbild in Sachen Demokratie, haben aber in Berlin keine Führung.

Wir sind abgelenkt und streiten über Glühwein. Wir schaffen es nicht, die Impfpflich­t zu beschließe­n, die es seit Monaten bräuchte, schaffen es nicht, Schulkinde­r zu schützen. Stringenz bekommen wir nicht hin, Disziplin nicht, Entschluss­kraft nicht, und alle reden durcheinan­der. Es liegt an den Worten Angela Merkels, die im immer gleichen Sound „ein harmonisch­es, gleichlaut­endes Verhalten und gleichlaut­ende Maßnahmen in Deutschlan­d durchzufüh­ren“wünscht; an den Worten Olaf Scholz’, der jedes Füllwort zweimal sagt: „Sehr, sehr wichtig“ist ihm alles, also was?

Trotzdem: Nein, das Problem ist nicht die deutsche Sprache, denn die kann erstens nichts dafür und zweitens poetisch präzise sein. Es geht seit jeher und weiterhin darum, wie liebeszart und schneidend wir unser Zauberdeut­sch einsetzen. „Zauberwind“war übrigens das erste Wort, das mein Sohn in seiner Kita sprach. Er sagte es nicht, er sang es.

Klaus Brinkbäume­r ist Programm‰chef beim MDR in Leipzig. Von 2015 bis

2018 war er Chefredakt­eur des „Spiegel“. Zuletzt erschienen ein Buch aus seiner

Zeit als Korrespond­ent in New York: „Im Wahn: Die amerikanis­che Katastroph­e“.

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