Kein glückliches Leben
Staatstheater Augsburg „Mary Page Marlowe“: In dem Tracy-letts-drama sucht eine Frau die, die sie wirklich ist
Augsburg Mary Page Marlowe hat einiges durchgemacht in ihrem Leben. Dominante, verarmt-alleinerziehende Mutter, langsame Entwicklung hin zur Alkoholikerin, Trennung der eigenen ersten Ehe, Entwicklung des Sohnes hin zum Heroinabhängigen, Trennung der zweiten Ehe, sexuelle Abenteuer, Distanzierung der Tochter, Psychotherapie, Verursachung eines schweren Verkehrsunfalls unter Alkoholeinfluss, Tod des dritten Mannes, eigener Tod mit 69 Jahren.
Kein unbedingt erstrebenswertes Leben, insbesondere hinsichtlich der Zukunft ihrer Kinder. Der Usschauspieler und -Dramatiker Tracy Letts, bekannt vor allem durch sein mehrfach preisgekröntes und mit Meryl Streep verfilmtes Drama „Im August in Osage County“, hat es in schlaglichthafte Dialogszenen und zeitspringende Puzzleform gefasst; der Zuschauer selbst ist angehalten, die Biografie der Mary Page Marlowe in Chronologie zu bringen.
Das besitzt starken Reiz, weil die Lebenserwartungen dieser Frau immer wieder gegengeschnitten werden zu ihren Einschätzungen der Vergangenheit, weil Selbstreflexion sich im Laufe der Jahre womöglich stark ändert, weil der Mensch in sich Widersprüche aufweist.
Bei aller Verwicklung in der Präsentationsform: Im Angloamerikanischen wird auch dieses (konfliktträchtige) Schauspiel mit der Bezeichnung
„well-made play“bedacht – vergleichbar etwa mit Yasmina Rezas „Der Gott des Gemetzels“und Michael Frayns „Der nackte Wahnsinn“. Schauspielertheater von gehobenem, hier besonders sozialdramatischem beziehungsweise zeitphilosophischem Anspruch. Solche Werke sollen fesseln und schnurren.
Am Staatstheater Augsburg jetzt wird mehr gewollt als die punktgenaue Darstellung einer – chronologisch erst zu kombinierenden – tragischen Biografie. Die junge Regisseurin Lilli-hannah Hoepner hält weitere zu entschlüsselnde Verwicklungen parat: Rollenaufspaltungen über das geforderte Textbuchmaß hinaus, Rollentext-übertragungen, Rollenmultiplizierung. Sieben Schauspieler/-innen in verwechselbarem Weiß treten an für Mary Page Marlowes elf Lebensstationen und zusätzliche neun (Familien-)figuren. Eine nicht immer ganz übersichtliche „Patchworkfamilienaufstellung“– selbst wenn die Schlaglichter präzis getimt und durch kleine (Bandschleifen-)interludien innerhalb eines revuehaften Spiels (Ausstattung: Daniel Angermayr) gegliedert sind.
Es ist ein wenig wie ein Puzzle, bei dem die Einzelteile zur Spiel-erschwerung doppelseitig bedruckt sind. Und so wird das Publikum durch eine betonte, auch strapaziert-prätenziöse Darreichungsform – bei manch platzendem Luftballonlebenstraum, bei mancher Befleckung der Biografie, bei manch enervierendem Brüllton – beansprucht.
Den Hürden des Erschließens korrespondiert im gesprochenen Räderwerk auf der Augsburger Brechtbühne eine – durch Parallelaktionen – stark geforderte Geistesgegenwart der Mimen. Die sieben Personen, die ihren Autor tranchieren, besitzen diese Geistesgegenwart. Glänzend insbesondere Ute Fiedler und Patrick Rupar.
Vorstellungen Wieder am 25. No vember sowie am 5., 23. und 28. De zember.