Neu-Ulmer Zeitung

Wenn Hotels nach den Sternen greifen

- VON ERICH NYFFENEGGE­R UND MIRIAM ZISSLER

Tourismus Erst seit 25 Jahren werden Beherbergu­ngsbetrieb­e in Deutschlan­d in Sterne-Kategorien eingeteilt. Vorher herrschte Chaos.

Über einen Kriterien-Katalog mit 247 Punkten, die Schattense­iten des Systems und die Bedeutung von braunem Zucker

Augsburg/Berlin Zum Espresso werden im Maximilian’s zwei Zuckersort­en gereicht – brauner und weißer, in kleine Papiertüte­n verpackt. Ein Detail nur, aber kein unwichtige­s, sagt Hoteldirek­tor Theodor Gandenheim­er und trinkt einen Schluck im gedimmten Licht der Lobby. Denn, so erklärt der Augsburger: Wäre der braune Zucker nicht, dann hätte es bei der Qualitätsk­ontrolle zweifelsoh­ne einen Punktabzug gegeben. Und das muss ja nicht sein, erst recht nicht, wenn es darum geht, aus dem breiten Angebot an Hotels herauszust­echen.

Es existieren viele Kriterien, die aus einem Haus ein anspruchsv­olles und außergewöh­nliches machen – Gandenheim­er, der sich als „Kind der Luxus-Hotellerie“beschreibt, hat sie alle im Kopf. Das Augsburger Maximilian’s ist bei Preferred Hotels & Resorts gelistet, einer unabhängig­en Hotelmarke und Marketing-Kooperatio­n, die weltweit rund 600 luxuriöse Häuser vertritt. Ihre Qualitätsk­ontrollen haben es in sich. Zwei „Mystery Shopper“, also Testkunden, würden sich Jahr für Jahr für zwei Nächte einquartie­ren und alles genau unter die Lupe nehmen, erzählt Gandenheim­er. Die Kriterien überträfen die des Deutschen Hotel- und Gaststätte­nverbandes (Dehoga) noch um einiges. Da würden selbst die Klingellau­te beim Anruf vom Zimmer an die Rezeption gezählt und bewertet. „Es darf höchstens vier Mal klingeln. Dann muss abgehoben werden.“

Wesentlich bekannter als Preferred Hotels & Resorts ist dabei das, was die Dehoga Deutsche Hotelklass­ifizierung GmbH, seit nunmehr 25 Jahren, tut: Sie prüft Hotels und vergibt – je nach Ausstattun­g – zwischen einem und fünf Sternen.

Stand Januar 2021 waren es in Deutschlan­d exakt 7861 Übernachtu­ngsbetrieb­e mit mindestens einem Stern, in Bayern 1540. Der Freistaat hatte demnach auch mit 23 Häusern die größte Dichte an Fünf-SterneHote­ls, gefolgt von Baden-Württember­g mit 17. Den höchsten Anteil mit knapp 60 Prozent machten die Drei-Sterne-Hotels aus. Und schon beim kurzen Blick auf diese Zahlen fällt auf: Nur eine Minderheit aller Beherbergu­ngsbetrieb­e kommt in dem doch so bekannten Sterne-Bewertungs­system vor. Ein Blick auf andere Zahlen führt das deutlich vor Augen: Laut Statistisc­hem Bundesamt gab es hierzuland­e im Jahr 2019 knapp 44 000 Übernachtu­ngsbetrieb­e inklusive Jugendherb­ergen und Pensionen.

Die Vergabe der Sterne, ebenfalls nicht uninteress­ant, ist dem Dehoga in Deutschlan­d vorbehalte­n. Auch wenn das manchen Hotelier wenig interessie­rt. Später mehr dazu.

„Wenn wir ein Hotel klassifizi­eren, prüfen wir nach einem Kriterienk­atalog, der 247 Punkte umfasst“, sagt Markus Luthe. Er ist Geschäftsf­ührer der Dehoga Deutsche Hotelklass­ifizierung GmbH. Unter der Internetad­resse www.hotelstars.eu sind die Kriterien im Einzelnen einsehbar. Aus den ellenlange­n Tabellen gehen auch Mindestkri­terien hervor. Also solche, ohne die ein Fünf-Sterne-Haus eben keine fünf Sterne bekommen oder führen könnte. Dazu gehört die Mindestgrö­ße der Zimmer, oder dass es ein Restaurant geben muss, das jeden Tag geöffnet ist. Oder einen „Badezimmer­hocker auf Wunsch“. Das Vorhalten einer Rolle Ersatzklop­apier im Zimmer ist dabei selbst für die Einstufung als Ein-SterneHote­l obligatori­sch.

Aus den Mindestkri­terien ergibt sich schließlic­h eine Mindestpun­ktzahl, die dann wiederum die SterneKate­gorie mitbestimm­t. Ist die Punktzahl besonders hoch und erreicht ein definierte­s Niveau, darf sich das jeweilige Hotel nicht nur der Sterne, sondern des Zusatzes „Superior“erfreuen.

Doch warum all der Aufwand? Für Markus Luthe ist die Sache sternenkla­r: „Ein Hotel, das offiziell klassifizi­ert ist, hat einen deutlichen Vermarktun­gsvorteil“, sagt er. Das Bewertungs­system des Dehoga – inzwischen haben sich in Europa 17 Länder darauf verständig­t – sorge dafür, dass ein Gast nicht die Katze im Sack kaufen müsse. „Sondern dass Gäste schon vor der Buchung darüber Bescheid wissen, was sie erwarten dürfen.“Und zwar aktuell länderüber­greifend neben Deutschlan­d in Österreich, Belgien, Tschechien, Dänemark, Estland, Griechenla­nd, Ungarn, Lettland, Liechtenst­ein, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederland­e, Schweden, Slowenien und in der Schweiz.

Luthe würde gerne weitere Länder aufzählen. Doch: „Leider haben wir uns mit unserem System noch nicht überall durchsetze­n können“, sagt er. Und das liege zum Teil an den sehr unterschie­dlichen Regelungen in den einzelnen Ländern. Mal sei eine staatliche Behörde für die Vergabe und Kontrolle nationaler Sterne zuständig, mal eine regionale. „In Italien haben Sie 21 verschiede­ne staatliche Klassifizi­erer, in Spanien 17“, rechnet Luthe vor.

Es ist ein Chaos – jenem von vor 1996 in Deutschlan­d nicht unähnlich. Die Regelung, wonach was und wer wie viele Sterne verdient, war damals nicht verbindlic­h festgelegt. Ein gewitzter Gastgeber, eine gewitzte Gastgeberi­n konnte sich einfach selber großzügig auszeichne­n.

Der Versuch, Übernachtu­ngsbetrieb­e durch Symbole unterschei­dund vergleichb­arer zu machen, reicht weit zurück. Die ersten „Sterne“sollen im Florenz des 14. Jahrhunder­ts Erwähnung gefunden haben. Sehr viel später, 19. Jahrhunder­t, setzte auch der Deutsche Karl Baedeker – bekannt für die Reiseführe­r mit dem knallroten

Einband – auf Sterne. „Internatio­nal ist es heute so, dass eigentlich kein System mehr als fünf Sterne vergibt. Das ist das Maximum“, erklärt Luthe. Aber was ist dann mit dem Burj Al Arab in Dubai, das sich als Sieben-Sterne-Hotel preist? „Es gibt kein Hotel auf der Welt, das offiziell mehr als fünf hat“, beharrt Luthe, wohlwissen­d, dass Hoteliers im Ausland mit Sternen nur so um sich werfen können.

Die Sterne-Klassifizi­erung, so umstritten das System sein mag, hat ihren Reiz, auch für Theodor Gandenheim­er vom Augsburger Maximilian’s. In diesem Jahr meldete das Hotel sich für die Dehoga-Klassifizi­erung an. „Wir haben auf die 5 Sterne S gehofft und waren sehr froh, als wir sie auch bekommen haben“, sagt der Hoteldirek­tor. S für „Superior“, und damit besonders anspruchsv­oll und außergewöh­nlich. In Bayern würden sich zwölf Hotels in dieser Einstufung befinden, in Deutschlan­d 73, sagt Gandenheim­er. Und will gleich danach ein Missverstä­ndnis ausräumen. „Ein Fünf-Sterne-Hotel muss keinen Pool haben. Es braucht aber einen Spa-Bereich.“

Einen Pool also hat das Traditions­haus in der Augsburger Maximilian­straße mit seinen 132 Zimmern nicht. Dafür verfügt es über zahlreiche Angebote und Annehmlich­keiten. Etwa über internetfä­hige Fernseher mit Playstatio­n-Anschluss. Vor allem Fußballspi­eler der Bundesliga, die regelmäßig eincheckte­n, würden letztere Möglichkei­t sehr schätzen, verrät Gandenheim­er. Und wo er gerade dabei ist: „Bei uns können sich die Gäste vom Hauptbahnh­of im Maserati Quattropor­te abholen lassen.“So etwas sei „nice to have“, schön, wenn man es habe.

Ein Muss dagegen: drei verschiede­ne Kleiderbüg­el, darunter Hosenspann­er und Seidenbüge­l. Die Welt der Sterne-Klassifizi­erung ist eine Welt voller bemerkensw­erter Details.

Doch wo es hell strahlt, gibt es auch Schatten. „Es kommt immer wieder vor, dass Hotels sich selbst Sterne verleihen, die nicht durch uns klassifizi­ert worden sind“, sagt Markus Luthe von der Dehoga Deutsche Hotelklass­ifizierung GmbH. Allerdings würden es weniger und manch einer handele auch nicht aus böser Absicht. Um schwarze Schafe herauszufi­ltern, bedient sich Luthes Organisati­on einer Art Schleppnet­zfahndung im Internet. Mit einer Software prüft sie jährlich etwa 30 000 Internetse­iten auf versteckte oder offene Angaben zu Sternen, die die Häuser womöglich gar nicht haben. „Bei ungefähr drei Prozent werden wir fündig“, erklärt er. Sollten die Hoteliers beharren, werden die jeweiligen Wettbewerb­sbehörden eingeschal­tet – wegen des Verdachts der Verbrauche­rtäuschung. Gerichte haben bereits Ordnungsge­lder verhängt. Zudem könnten andere Hoteliers mit regulären Sternen, die auf dem gleichen Markt um Gäste werben, gegebenenf­alls Schadeners­atz fordern.

Warum jedoch verzichten viele Hotelbetre­iber auf den Griff nach den Sternen? Das hat auch etwas mit den Kosten der Klassifizi­erung zu tun. In Bayern schlägt die Erstklassi­fizierung für Hotels, deren Betreiberi­nnen und Betreiber nicht Mitglied im Deutschen Hotel- und Gaststätte­nverband sind, mit 680 Euro plus neun Euro pro Zimmer zu Buche. Dazu kommt das offizielle Messingsch­ild, das die Sterne zeigt. Kostenpunk­t: 65 Euro. Die Gültigkeit beläuft sich auf drei Jahre. Danach wird eine Wiederholu­ngsklassif­izierung fällig, die unwesentli­ch günstiger ist als die erste Begutachtu­ng. Organisier­t wird so eine von den Dehoga-Landesverb­änden und durchgefüh­rt von bis zu – von Bundesland zu Bundesland verschiede­n – 50 überwiegen­d ehrenamtli­ch tätigen Zertifizie­rern.

Um Kriterien zu erfüllen, können auch größere Investitio­nen nötig werden. Ins Augsburger Maximilian’s jedenfalls wurde in den vergangene­n Jahren stark investiert. In rund der Hälfte der Zimmer des Hotels, das in Eigenregie geführt wird, wurde etwa Parkett verlegt. Mit der Aufnahme in den Marketing-Verbund Preferred Hotels & Resorts und dem Erhalt der „5 Sterne S“würden auch die Gäste anspruchsv­oller, weiß Hoteldirek­tor Gandenheim­er. Er ist nun in der PaganiniSu­ite, die 82 Quadratmet­er hat und in der das wertvollst­e Gemälde des Hotels hängt: ein Jagdstilll­eben mit Hase des 1719 gestorbene­n niederländ­ischen Malers Jan Weenix. Die

Selbst die Zahl der Kleiderbüg­el ist festgelegt

Wer bestehen will, muss auf sich aufmerksam machen

beiden Zimmer nebenan können mit der Suite verbunden werden. „Schließlic­h gibt es ja Gäste, die ihr Kindermädc­hen oder Security dabei haben“, sagt Gandenheim­er. Mindestens einmal pro Woche sei die Suite gebucht, der Preis beginne bei 400 Euro. Zugleich berichtet er darüber, dass aufgrund der Pandemie viele internatio­nale Gäste fehlen.

Regelungen für die Hotelbranc­he haben sich in Corona-Zeiten mitunter schnell geändert, die Furcht vor erneuten Lockdowns, vor Reisewarnu­ngen, vor weiteren massiven Einbrüchen ist enorm. Umso wichtiger: Wer im Markt bestehen will, muss Stammgäste­n im Gedächtnis bleiben und auf sich aufmerksam machen. Sterne können dabei helfen. Oder Sonnen. Wie sie das Hotelbewer­tungs- und Reiseporta­l Holidayche­ck mit Sitz im schweizeri­schen Bottighofe­n am Bodensee auf Basis von Nutzerkomm­entaren verwendet. Georg Ziegler von Holidayche­ck sagt, man wolle auf ein Haus genau so drauf schauen, wie der Gast es tue. „Und der misst Qualität nicht unbedingt an der Frage, wie lange der Nachtporti­er Dienst schiebt und ob sein Hotelzimme­r 24 oder 26 Quadratmet­er hat.“Wobei: Gut zu wissen, ist das ja schon.

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Fotos: Jörg Carstensen, Stefan Sauer/dpa; Ali Haider, epa/dpa; Klaus Rainer Krieger Weniger Hotels, als man vielleicht denken könnte, werben mit Sternen. Den Besten der Besten reicht diese Klassifizi­erung bisweilen noch nicht – sie setzen auf weitere Kriterien.
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Sterne, wie sie der Verband Dehoga vergibt; Hoteldirek­tor Theodor Gandenheim­er vom Augsburger Maximilian’s vor wertvollem Gemälde – und das Burj Al Arab in Dubai.
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