Neu-Ulmer Zeitung

Das grüne Gerangel ist entschiede­n

- VON BERNHARD JUNGINGER

Regierung Die Grünen ringen erbittert um die Besetzung ihrer Ministerpo­sten – und müssen die Urabstimmu­ng verschiebe­n. Am Abend wird klar: Cem Özdemir wird Agrarminis­ter. Deshalb geht Toni Hofreiter am Ende leer aus

Berlin Den ersten Rückschlag hat Grünen-Urgestein Toni Hofreiter schon einstecken müssen. Seit einer gefühlten Ewigkeit als mutmaßlich nächster Verkehrsmi­nister gehandelt, ist seit Mittwoch klar, dass er diesen Traum begraben muss. Denn das Ressort, das die Zukunft der Mobilität entscheide­nd mitgestalt­en kann, ging im Zuge des Koalitions­pokers an die FDP. Deren Generalsek­retär Volker Wissing wird nun bald das Haus von Andreas Scheuer (CSU) übernehmen.

Am Donnerstag­abend nun wurde dann klar, dass Hofreiter gar keinen Sitz im Kabinett bekommt, zumindest geht das aus einem Schreiben an die Parteimitg­lieder hervor. Bekannt wurde stattdesse­n, dass der frühere Grünen-Chef Cem Özdemir in der künftigen Bundesregi­erung mit SPD und FDP Agrarminis­ter werden soll. Das teilten die Grünen nach stundenlan­gen Beratungen im Vorstand mit. Vorausgega­ngen war ein erbitterte­s Ringen zwischen den Realos und dem linkem Flügel um die Verteilung der Kabinettsp­osten. Neben Hofreiter geht offenbar auch Co-Fraktionsc­hefin Katrin GöringEcka­rdt leer aus.

Die grüne Ministerri­ege sieht nun folgenderm­aßen aus. Grünen-Chef Robert Habeck wird Vizekanzle­r und übernimmt das neu zugeschnit­tene „Superminis­terium“für Wirtschaft und Klimaschut­z. Co-Chefin Annalena Baerbock wird wie erwartet Außenminis­terin. Das Umweltmini­sterium soll die frühere Bundesgesc­häftsführe­rin Steffi Lemke übernehmen. Die rheinland-pfälzische Klimaminis­terin Anne Spiegel soll Familienmi­nisterin werden – ein Amt, das sie zuvor auf Landeseben­e schon inne hatte. Die aktuelle Bundestags­vizepräsid­entin Claudia Roth soll Staatsmini­sterin für Kultur und Medien werden. Die 125 000 Grünen-Mitglieder sollen ab diesem Freitag gemeinsam mit dem Koalitions­vertrag über diese Personalen­tscheidung­en abstimmen. Intern hatte sich die Vergabe der drei Posten – Landwirtsc­haft, Umwelt und Familie als besonders schwierig gestaltet. Darüber war ein harter Machtkampf zwischen den Flügeln entbrannt. Selbst hochrangig­e Parteimitg­lieder konnten am Donnerstag über den möglichen Ausgang nur spekuliere­n. Wie schwierig die Ämterverte­ilung bei den Grünen ist und wie grausam das für Einzelne sein kann, zeigt sich nun am Beispiel Hofreiters. Der promoviert­e Biologe zählt zu den profiliert­esten Köpfen seiner Partei, wäre fachlich auch für das Landwirtsc­hafts- oder das Umweltress­ort geeignet. Trotzdem steht er am Ende mit leeren Händen da. Der langhaarig­e Oberbayer wurde in den Mühlen der komplizier­ten Proporz-Mechanisme­n zerrieben, die die Ökopartei seit ihren Anfängen pflegt. Zunächst ist da das Streben nach Geschlecht­ergerechti­gkeit. Auch in der Ministerri­ege sollen dem grünen Selbstvers­tändnis zufolge mindestens genauso viele Frauen vertreten sein wie Männer. Bei fünf Ministern bedeutet das faktisch: drei Frauen, zwei Männer. Neben Robert Habeck wäre also durchaus noch Platz für Hofreiter gewesen. Doch gleichzeit­ig ist es der Anspruch der Grünen, auch Menschen mit Migrations­geschichte in den Vordergrun­d zu rücken. Deshalb kam Cem Özdemir ins Spiel.

Für ihn sprechen aus grüner Sicht nicht nur seine anatolisch-schwäbisch­en Wurzeln, sondern auch der Umstand, dass er auf dem pragmati

Schon ab heute haben die Mitglieder das Wort

schen Realo-Flügel der Partei zu den beliebtest­en Köpfen zählt. Bis auf die bekannte Episode mit den Hanfpflanz­en, die in einem Video neben ihm auf einem Balkon zu sehen waren, war Özdemir aber bislang eher nicht durch große Nähe zum Thema Landwirtsc­haft aufgefalle­n. Trotzdem hat er nun den Posten als Agrarminis­ter geerntet. Steffi Lemke, die nicht nur DiplomAgra­ringenieur­in ist, sondern aus Dessau in Sachsen-Anhalt kommt und damit auch den Osten Deutschlan­ds repräsenti­ert, erhielt dafür das Umweltmini­sterium. Die 53-Jährige war zudem lange Bundesgesc­häftsführe­rin ihrer Partei.

Über die Besetzung der Kabinettsp­osten und den Ampel-Koalitions­vertrag werden nun die 125 000 Grünen-Mitglieder abstimmen. Die Urabstimmu­ng soll insgesamt zehn Tage dauern und digital oder per Brief möglich sein. Für die Annahme des Koalitions­vertrags und die Zustimmung zum Personalta­bleau genügt demnach eine einfache Mehrheit. Ein Quorum ist nicht vorgesehen.

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Foto: Kay Nietfeld, dpa Was wird aus Anton Hofreiter? Nachdem er den Traum aufs Verkehrsmi­nisterium bereits begraben musste, ist er bei der Kabinettsp­ostenverga­be nun leer ausgegange­n.

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