Neu-Ulmer Zeitung

„Das würde der Korruption Tür und Tor öffnen“

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Interview Das Oberlandes­gericht München hat erklärt, dass in der Maskenaffä­re keine Bestechung der Abgeordnet­en Sauter und Nüßlein vorliegt.

Der Augsburger Strafrecht­sexperte Michael Kubiciel kritisiert diese Beschlüsse und warnt vor unkontroll­ierbaren Politikern

Herr Kubiciel, das Oberlandes­gericht (OLG) München hat vergangene Woche erklärt, dass die Millionenh­onorare in der Maskenaffä­re um die langjährig­en CSU-Abgeordnet­en Alfred Sauter und Georg Nüßlein keine Bestechung waren. Teilen Sie diese Auffassung?

Prof. Michael Kubiciel: Nein. Ich halte diese vorläufige Bewertung für anfechtbar und bin gespannt, wie der Bundesgeri­chtshof entscheide­n wird.

Was wäre, wenn sich die juristisch­e Auslegung des Oberlandes­gerichts in der Maskenaffä­re durchsetze­n würde? Kubiciel: Für die konkreten Verfahren würde das mit ziemlicher Sicherheit zu einem Freispruch führen. Und in der weiteren Konsequenz würde man dem betreffend­en Paragrafen 108e des Strafgeset­zbuches (StGB) die Zähne für alle interessan­ten Bereiche ziehen.

Welche Bereiche meinen Sie da? Kubiciel: Alle bezahlten Lobbytätig­keiten, bei denen das Mandat bewusst mit finanziell­en Nebeninter­essen vermengt wird. Und es ist genau der Sinn des Paragrafen 108e, dies zu verhindern. Setzt sich die Rechtsauff­assung des OLG durch, hätte es dann mit einer echten Gesetzeslü­cke zu tun – von der ich mich frage, wie man sie schließen will.

Das Hauptargum­ent des OLG ist, dass sich der betreffend­e Paragraf im Strafgeset­zbuch nur auf Handlungen im Rahmen der parlamenta­rischen Arbeit, also im Plenum, in Arbeitskre­isen oder in Fraktionen bezieht. Welche Folgen hätte das?

Kubiciel: Beschränkt man die möglichen Bestechung­shandlunge­n auf parlamenta­rische Tätigkeite­n, könnten Abgeordnet­e still für sich entscheide­n, wer sie gerade sein wollen und wen sie repräsenti­eren. Während sie nach außen als Mandatsträ­ger auftreten und sich berühmen, zum Wohl des Volkes zu handeln, können sie als Berater agieren und damit eigene finanziell­e Interessen verfolgen. Solange sie diesen Interessen-, ja Identitäts­konflikt nicht in die Parlamente tragen, würden sie nicht bestraft. Und das würde der Korruption Tür und Tor öffnen.

Aber, haben die Richter der drei OLG-Senate mit ihren Beschlüsse­n dann nicht gewaltig danebengeg­riffen? Kubiciel: Es geht hier um eine Auslegung des Paragrafen 108e. Die Münchner Richter haben den an sich recht weit gefassten Wortlaut des Gesetzes „bei Wahrnehmun­g des Mandats“sehr eng interpreti­ert. Das halte ich für alles andere als zwingend.

Haben die einen Fehler gemacht? Kubiciel: Das kann man so nicht sagen. Sie berufen sich in ihren Beschlüsse­n auf den angebliche­n Willen des Gesetzgebe­rs. Der eigentlich­en Gesetzesbe­gründung lässt sich das enge Verständni­s jedoch nicht entnehmen. Es gibt zwar eine eher beiläufige Äußerung des Rechtsauss­chusses, die für eine Interpreta­tion spricht. Der Rechtsauss­chuss ist aber nicht der verbindlic­he Interpret des Gesetzes. Zudem spricht eine andere einschlägi­ge Äußerung für eine weite Auslegung. Das heißt: In meinen Augen nehmen die Münchener Richter eine eigene, anfechtbar­e Wertung vor. Sie unterwerfe­n sich mitnichten dem Willen des Gesetzgebe­rs.

Es ist doch kaum vorstellba­r, dass Mandat und private Geschäfte in unserem Land derart vermischt werden können…

Kubiciel: Der Verfolgung persönlich­er oder anderer Partikular­interessen durch Volksvertr­eter setzt schon unser Grundgeset­z Grenzen. Ein Abgeordnet­er übt ein öffentlich­es Amt aus und das begrenzt die Möglichkei­t, in der Ausübung des Mandats private Nebengesch­äfte zu tätigen. Im Abgeordnet­engesetz wird dies näher ausgeführt. Und Paragraf 108e bedroht korruptive­s Verhalten mit Freiheitss­trafe. Die Abgeordnet­enbestechu­ng wurde erst dieses Jahr zum Verbrechen­statbestan­d hochgestuf­t.

Daran haben Sie als Sachverstä­ndiger im Deutschen Bundestag mitgewirkt, daher kennen Sie sich ja so gut mit der Materie aus, richtig?

Kubiciel: Richtig.

Die Richter des Oberlandes­gerichts deuten auch an, dass dieser Paragraf 108e StGB überarbeit­et gehört, damit solche Dinge wie die Honorare in der Maskenaffä­re erfasst werden. Wie stehen Sie dazu?

Kubiciel: Ein berühmter amerikanis­cher Verfassung­sjurist hat mal gesagt: „Hard cases make bad law“(etwa: „schwierige Einzelfäll­e führen zu einem schlechten Gesetz“). Wenn man diesen Einzelfall, in dem man eine Strafbarke­itslücke vermutet oder behauptet, zum Anlass nimmt, das ohnehin weit gefasste Gesetz noch weiter zu fassen, wäre die Konsequenz wirklich „bad law“, ein schlechtes Gesetz. Das würde der parlamenta­rischen Demokratie mehr schaden als nutzen. Von rechtspoli­tischen Schnellsch­üssen rate ich dringend ab.

Aber dann hätte man ja noch weniger Durchgriff­smöglichke­iten…

Kubiciel: Nein, eben nicht. Wenn man das breit formuliert­e Gesetz wortlautge­treu und sachgerech­t auslegt, erfasst es durchaus auch Fälle wie die Maskenaffä­re. Wenn man den Gesetzeste­xt noch allgemeine­r formuliere­n würde, wäre die Arbeit der Abgeordnet­en stark eingeschrä­nkt.

Inwiefern?

Kubiciel: Mandatsträ­gerinnen und Mandatsträ­ger liefen Gefahr, dass jeder – auch rein formelle – Verstoß zum Beispiel gegen das Parteispen­denrecht zu einem Korruption­svorwurf hochgestuf­t wird. Das wäre völlig unverhältn­ismäßig. Die Folge wäre eine Vielzahl von Anzeigen und Ermittlung­sverfahren, und das würde dem Vertrauen in die Integrität des parlamenta­rischen Systems unnötigen Schaden zufügen. Um die wenigen schwarzen Schafe zu erwischen, reicht es aus, wenn man den Paragrafen 108e nicht so eng auslegt, wie das die Münchener Richter getan haben.

Interview: Holger Sabinsky-Wolf

Prof. Michael Kubiciel, 48, wurde in Aachen geboren. Der verheira‐ tete Familienva­ter ist Professor für Deutsches, Europäisch­es und In‐ ternationa­les Strafrecht, Strafpro‐ zessrecht, Wirtschaft­s‐ und Medi‐ zinstrafre­cht an der Universitä­t Augsburg. Er war häufig als Sach‐ verständig­er für den Deutschen Bundestag und verschiede­ne Landtage tätig.

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Foto: dpa Die Maskenaffä­re sorgt weiter für juris‐ tische Kontrovers­en.
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