Neu-Ulmer Zeitung

Gilt Atomkraft in der EU bald als klimafreun­dlich?

- VON KATRIN PRIBYL

Energie II In der Europäisch­en Union gibt es deswegen Streit. Die Grünen wehren sich heftig und haben

eine Petition auf den Weg gebracht. Aber die Sache scheint schon entschiede­n zu sein

Brüssel Die Atomkraftg­egner in Brüssel mobilisier­en derzeit noch einmal ihre Kräfte, veranstalt­en Pressekonf­erenzen und verschicke­n warnende Statements. Der GrünenEuro­paabgeordn­ete Sven Giegold versucht mit einer Petition im Internet, unterstütz­ende Stimmen zu sammeln. Sie ist mit dem Titel überschrie­ben: „Super-GAU für Europas Energiewen­de: Stoppt das Greenwashi­ng von Atomkraft und Gas!“Doch seine Zielmarke von 75 000 Unterschri­ften hat er bislang nicht erreicht – und auch der Kampf scheint fast schon verloren. In den nächsten Tagen wird die Verkündung der EU-Kommission erwartet, dass Investitio­nen in neue Atomund Gaskraftwe­rke in Europa künftig als klimafreun­dlich gelten – und damit auch Gelder erhalten. Wäre dies das Ende eines politische­n Streits, der seit Wochen vor allem die deutsch-französisc­hen Beziehunge­n belastet? Vermutlich kaum, denn die Empörung der Klimaschüt­zer dürfte so schnell nicht abebben.

Grüne Investitio­nen liegen im

Trend. Doch die Frage, die sich vor allem Laien immer wieder stellen, lautet: Ist auch grün drin, wo grün draufsteht?

Die EU wollte im Finanzprod­ukte-Dschungel helfen, Transparen­z schaffen und den Verbrauche­rn, die sich für ökologisch­e Wertpapier­e und Fonds interessie­ren, Orientieru­ng geben. Dafür hat die Brüsseler Behörde so etwas wie eine grüne Bibel erstellt, die den weder aussagekrä­ftigen noch allzu attraktive­n Namen „Taxonomie“trägt.

Der Kriterienk­atalog definiert, welche Geschäftst­ätigkeiten als nachhaltig ausgewiese­n werden, die Investitio­nen können dann entspreche­nd politisch gefördert und finanziell unterstütz­t werden. Dafür müssen sie aber die Bedingung erfüllen, keinen „signifikan­ten“Schaden anzurichte­n, wie es die Brüsseler Behörde nennt.

Was bedeutet das? „Es geht um das Ausmaß des signifikan­ten Schadens“, sagt Thomas Pellerin-Carlin, Energieexp­erte am Jacques Delors Institute. Als Beispiel nennt er die Windkraft, die etwa negative Auswirkung­en auf die Biodiversi­tät habe. Der Schaden werde aber nicht als „signifikan­t“erachtet. „Kernenergi­e hat zwar negative Folgen wie die Verschmutz­ung mit radioaktiv­en Abfällen, aber sie ist klimaneutr­al, weshalb die Aufnahme in die Taxonomie nicht Greenwashi­ng wäre“, so Pellerin-Carlin. „Gas jedoch schädigt das Klima, da gibt es keine Frage“.

Während in Deutschlan­d die Ablehnung der Kernkraft eine lange Geschichte hat und sie energiepol­itisch als Tabu gilt, setzt der französisc­he Präsident Emmanuel Macron auf die umstritten­e Technologi­e und reiht sich in die Tradition seiner Vorgänger ein, indem er Kernenergi­e als Garant der Unabhängig­keit bewirbt. Der Nachbar wird häufig als Negativbei­spiel herangezog­en, weil Deutschlan­d zwar seine Atomreakto­ren schließe, sich dafür aber von der klimaschäd­lichen Kohle und von russischem Gas abhängig mache. Derzeit verfügt Frankreich über 56 Reaktoren, verteilt auf 18 Atomkraftw­erke.

Berlin dagegen setzt zur Überbrücku­ng der Zeit zwischen einer auf fossilen Brennstoff­en basierende­n und einer CO -armen Wirtschaft auf Erdgas. Seit Wochen streiten auf europäisch­er Bühne die Mitgliedst­aaten darüber, ob Kernenergi­e und Gas in die Taxonomie aufgenomme­n und damit als grün eingestuft werden sollen. Neben Frankreich plädieren auch Rumänien, Tschechien, Polen und Ungarn dafür, Atomenergi­e „wie alle anderen kohlenstof­farmen Energieque­llen zu behandeln“. Außer Deutschlan­d sind Länder wie Österreich oder Luxemburg dagegen.

Alles nur Theater? Laut Insidern gibt es hinter den Kulissen längst eine Vereinbaru­ng zwischen Paris und Berlin, dass sie sowohl Kernenergi­e als auch Erdgas in der Taxonomie akzeptiere­n werden. Aus politische­n Gründen wolle man das nur nicht öffentlich machen. „Es ist ein Deal zwischen zwei Heuchlern“, meinte ein Beobachter. Deutschlan­d spricht sich gegen Kernenergi­e, aber für Gas aus. Anderersei­ts, so die Kritik, habe Frankreich mit dem Angebot eingelenkt, vorübergeh­end und „unter strikten Bedingunge­n“auch den fossilen Brennstoff Gas unter die grünen Investitio­nsregeln fallen zu lassen.

Dabei ist EU-Kommission­schefin Ursula von der Leyen vor zweieinhal­b Jahren angetreten, um Europa zum Vorzeigeko­ntinent in Sachen Klimaschut­z zu machen. Umso verärgerte­r sind die Grünen. Kernenergi­e und Gas in die Taxonomie aufzunehme­n, kritisiert­e der Parlamenta­rier Giegold, „setzt die Glaubwürdi­gkeit des Grünen Deals aufs Spiel“.

Mit dem ambitionie­rten Programm will die EU bis 2050 klimaneutr­al werden.

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Foto:Ian Langsdon, dpa Vorkämpfer der Atomkraft: Emmanuel Macron.

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