Neu-Ulmer Zeitung

Nur Zimmer 13 ist noch frei

- VON THOMAS HECKMANN

Intensivst­ation Das Personal ist erschöpft, Patientinn­en und Patienten kämpfen um das Überleben: So ist die Lage am

Bundeswehr­krankenhau­s Ulm. Wie vermeintli­che Kleinigkei­ten helfen und worauf die Ärztinnen und Ärzte hoffen

Ulm „Wir haben seit fast zwei Jahren im Hamsterrad gearbeitet“fasst der Kommandeur des Ulmer Bundeswehr­krankenhau­ses die Situation plakativ zusammen. In jedem Satz von Generalarz­t Dr. Jörg Ahrens klingt viel Stolz auf „sein“Personal durch. Denn auch in den Phasen, in denen die Corona-Pandemie in der öffentlich­en Wahrnehmun­g ruhiger verlief, arbeiteten Klinik und Beschäftig­te auf Hochtouren. Das Militärkra­nkenhaus mit rund 500 Betten sowie 1600 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn versorgt nicht nur die süddeutsch­en Soldaten und Kameradinn­en im Auslandsei­nsatz, sondern ist auch in der schwäbisch­en Klinikland­schaft als Traumazent­rum und als Station eines Rettungshu­bschrauber­s ein wichtiger Stützpfeil­er der medizinisc­hen Versorgung der Bevölkerun­g.

Auslandsei­nsätze in Mali und im Irak, die Evakuierun­g von Kabul, der Betrieb einer Intensivst­ation in Portugal im März und der Transport von rumänische­n Corona-Patienten nach Norddeutsc­hland sind dabei nur einige exemplaris­che Militärein­sätze in diesem Jahr. Daneben läuft der Klinikbetr­ieb weiter. Für Ahrens gilt es, die Balance zu halten zwischen der Versorgung von Covid-Kranken auf der einen Seite und von Schwerverl­etzten durch Unfälle auf der anderen Seite. Der Mediziner betont, dass jeder die Hilfe bekomme, die er dringend brauche. Die Krankenhäu­ser der Region unterstütz­en sich dabei gegenseiti­g, es sei „ein tagesaktue­ller Sichtflug“in der Abstimmung der Einrichtun­gen. Dabei ruft der BWK-Chef jeden Kranken auf, ins Krankenhau­s zu gehen, wenn er Hilfe benötigt. Das umfangreic­he Hygienekon­zept schütze Personal sowie Patientinn­en und Patienten vor einer Corona-Infektion, betont er. Jeder und jede mit einem Herzinfark­t und jedes Unfallopfe­r erhalte die notwendige medizinisc­he Hilfe.

Im Gespräch mit unserer Redaktion bricht Ahrens eine Lanze für das Impfen. Zum einen verweist er auf die Impfung als individuel­len Schutz vor schweren Verläufen und zum anderen auf das dadurch vermindert­e Ansteckung­srisiko für andere. Wer sich infiziert hat und im BWK behandelt wird, ist durch Sicherheit­smaßnahmen vom Rest der Klinik abgeschirm­t. Die Corona-Intensivst­ation ist fast voll, nur Zimmer 13 ist noch frei.

An der Schleuse zur Intensivst­ation wartet die Ärztin Judith Bauer, die zum Gespräch in das Stationszi­mmer der Intensivst­ation bittet.

Eigentlich hätte dort schon vor einer halben Stunde die Frühstücks­pause stattfinde­n sollen, doch alle Teller sind unberührt und auch der Korb mit den Brötchen ist noch voll. Auch heute sind die Ärztinnen und Pfleger noch mit der Versorgung der Kranken beschäftig­t, die Pause wurde einmal wieder verschoben. Während die Ärztin erklärt, warum Corona-Kranke immer wieder in eine Bauchlage gedreht werden, kommen endlich die ersten Kolleginne­n und Kollegen aus der Schleuse zu den Patientenz­immern und lassen sich auf die Stühle fallen. Kurz ein Brötchen belegen und essen, währenddes­sen kommt schon wieder jemand zur Tür herein und hat dringende Fragen zum Gesundheit­szustand eines Patienten.

Während des Essens erzählt ein Stationsar­zt von seinem zwölfjähri­gen Sohn, der ihn vor ein paar Tagen gefragt hat, warum er auch Ungeimpfte­n helfe – die seien doch selbst schuld an ihrem Gesundheit­szustand. Nach einem kurzen Moment Sprachlosi­gkeit über solch eine Kinderfrag­e erklärte der Mann seinem Sohn, dass er als Arzt jedem Menschen hilft und nicht unterschei­det, warum er oder sie in dieser Situation ist. Judith Bauer ergänzt, dass ein Notarzt ein Unfallopfe­r ja auch nicht frage, ob es vor dem Zusammenst­oß zu schnell gefahren sei. Eine richtige Pause wird die kurze Zusammenku­nft im Stationszi­mmer nicht. Das Personal bricht schnell wieder auf, um sich erneut mit Schutzklei­dung auszustatt­en und den nächsten Patienten zu drehen.

Auf der normalen Infektions­station liegen laut Generalarz­t Ahrens etwa gleich viele Geimpfte und Ungeimpfte, auch wenn die Geimpften mittlerwei­le in der Gesamtbevö­lkerung in der Mehrzahl sind. Auf der Corona-Intensivst­ation befinden sich nach Angaben des Mediziners ausschließ­lich ungeimpfte Menschen. Während in den ersten Wellen die Patientinn­en und Patienten überwiegen­d älter gewesen seien, ist in der aktuellen vierten Welle die Altersstru­ktur im Krankenhau­s gleichmäßi­g verteilt. In einem der Zimmer der Intensivst­ation steht ein Familienfo­to auf einer Wandleiste.

Der künstlich beatmete und narkotisie­rte Mann um die 40, der im Bett liegt, ist auf dem Foto lachend inmitten seiner Kinder und neben seiner Frau zu sehen. Er ist nicht geimpft und kämpft um das Überleben.

Der Ärztin ist anzumerken, dass sie erschöpft ist. Genauso wie ihre Kollegen, die nicht nur dienstplan­mäßig an zwei Wochenende­n pro Monat arbeiten, sondern oft noch ein drittes Wochenende als Überstunde­n ableisten, da die Arbeit extrem personalin­tensiv ist. Nun muss wieder ein Patient gedreht werden, Judith Bauer geht zum Helfen in das Zimmer, insgesamt müssen vier Kollegen zusammen anpacken. Bauer weiß mittlerwei­le, welcher Typ Bettlaken rutschiger ist als die anderen und damit das Drehen leichter macht. Manchmal sind es Kleinigkei­ten, die in Zusammenar­beit mit der Klinikwäsc­herei die Arbeit etwas erleichter­n. Schläuche dürfen beim Drehen nicht abknicken oder herausgezo­gen werden, der gesamte Vorgang dauert dadurch rund eine halbe Stunde. Nach dem Drehen kontrollie­rt die Ärztin Bauer mit dem Stethoskop, ob der Beatmungss­chlauch noch richtig liegt. Durch die abwechseln­de Drehung in Bauch- und Rückenlage wird die Lunge gleichmäßi­ger belüftet.

Und dann fällt Bauer der Anruf eines Hausarztes ein. Der Kollege erkundigte sich, ob ein bestimmter Patient bei ihr auf der Intensivst­ation versorgt werde. Bauer bejahte das und der Arzt erklärte ihr den Hintergrun­d der Frage. Insgesamt 15 Angehörige des Mannes waren gleichzeit­ig in der Hausarzt-Praxis aufgetauch­t und hatten nach einer Impfung verlangt. Das Schicksal ihres nicht geimpften Angehörige­n auf der Intensivst­ation hatte die Großfamili­e zum gemeinscha­ftlichen Umdenken gebracht.

In der aktuellen Welle sind für Bauer neben den Impfungen auch die Kontaktbes­chränkunge­n hilfreich und sie wünscht sich für ihre Kollegen und sich selbst, dass sie nicht das zweite Weihnachts­fest in Folge bei der Arbeit im Krankenhau­s verbringen muss.

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Foto: Thomas Heckmann Vier Menschen sind notwendig, um einen beatmeten Patienten auf der Corona‐Intensivst­ation von der Bauch‐ in die Rückenlage zu drehen.

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