Corona‐Lage dramatisch wie nie
Pandemie Eine neue Variante des Virus in Südafrika lässt auch in Deutschland die Alarmglocken schrillen. Ist ein bundesweiter Lockdown nur noch eine Frage der Zeit?
Berlin Ständig steigende Todes- und Infektionszahlen und jetzt auch noch eine neue Virusvariante: Die Corona-Situation in Deutschland wird von Tag zu Tag bedrohlicher. „Die Lage ist dramatisch ernst. So ernst wie noch zu keinem Zeitpunkt der Pandemie“, warnte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Trotz Impfungen und Tests sei kurzfristig nur eines entscheidend: „Die Zahl der Kontakte muss runter, deutlich runter. Es nützt alles nichts.“Die Zahl der CoronaToten lag am Freitag bei rund 100 500. „Wie viele Menschen müssen noch sterben, damit wir unser Verhalten anpassen und die Krankenhäuser und das Pflegepersonal entlasten?“, fragte Lothar Wieler, Chef des Robert-Koch-Instituts.
Angesichts einer in Südafrika entdeckten neuen Corona-Variante schrillen alle Alarmglocken. Die Weltgesundheitsorganisation WHO stufte die neue Variante B.1.1.529 als „besorgniserregend“ein. Dies gilt als Signal, dass sie ansteckender ist oder zu schwereren Krankheitsverläufen führt. Außerdem besteht die Gefahr, dass herkömmliche Impfungen, Medikamente oder Corona-Maßnahmen weniger wirksam sind. Die Europäische Kommission, Deutschland und einige andere Staaten kündigten an, Einreisen aus dem südlichen Afrika einschränken zu wollen. Südafrika und sieben benachbarte Länder gelten ab Sonntag als Virusvariantengebiete, teilte das Robert-Koch-Institut (RKI) am Freitagabend mit. Fluggesellschaften dürfen dann nur noch Deutsche oder hier lebende Personen aus diesen Ländern in die Bundesrepublik bringen. Einreisende müssen zwei Wochen in Quarantäne. Es müsse alles getan werden, um den Eintrag der neuen Variante zu verhindern, sagte Spahn. „Das ist das Letzte, was wir jetzt in unserer momentanen Lage noch brauchen können.“
In Südafrika ist B.1.1.529 durch eine rasche Ausbreitung aufgefallen. Gefährlich ist das Virus vor allem, weil es viele Mutationen miteinander kombiniert, „die wir aus anderen besorgniserregenden Varianten kennen“, wie der Virenforscher Richard Neher von der Uni Basel erklärte. „Das Ding ist bis an die Zähne bewaffnet“, sagte Friedemann Weber, Leiter des Instituts für Virologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen. In einem internen Lagebericht der Bundesregierung heißt es, es sei unklar, ob die Wirkung von Impfstoffen herabgesetzt sei: Das Mutationsprofil deute jedoch darauf hin, dass das „zumindest ernsthaft in Betracht gezogen werden muss.“Eine Sprecherin des Mainzer Impfstoffherstellers Biontech erklärte, dass sich das Unternehmen die neue Variante bereits anschaue. „Spätestens in zwei Wochen erwarten wir weiterführende Daten aus den Labortests“, sagte die Sprecherin.
Derweil wächst der Druck auf die neue Regierung aus SPD, Grünen und FDP. Die Frage scheint nicht mehr zu sein, ob ein bundesweiter Lockdown kommt, sondern nur noch wann. Schneller als Tests und Impfungen könnten Gesundheitsminister Spahn und RKI-Chef Wieler zufolge massive Kontaktbeschränkungen die vierte CoronaWelle brechen. Beide nahmen das Wort Lockdown zwar nicht in den Mund, ihre Ausführungen dazu waren aber eindeutig. „Umso stärker wir jetzt auf die Bremse treten, desto besser“, sagte Spahn und regte an, die 2G-Plus-Regel konsequent anzuwenden sowie Großveranstaltungen und Feiern abzusagen.
Zudem griff der geschäftsführende Gesundheitsminister die künftige rot-grün-gelbe Regierung scharf an. „Einige sagen, man wolle jetzt erst einmal zehn Tage schauen“, sagte Spahn mit Blick auf Äußerungen aus den Ampel-Parteien, man werde am 9. Dezember überprüfen, ob es schärfere Corona-Maßnahmen brauche. Das aber sei viel zu spät. SPD, Grüne und FDP drückten sich bislang vor einer Antwort auf die Frage, ob ein bundesweiter Lockdown kommen muss. Der Druck indes wächst. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) forderte bereits eine „einheitliche Bundesnotbremse“.
Die Sorge vor der neuen CoronaMutation hat auch Anleger in die Flucht getrieben. Der Deutsche Aktienindex Dax lag am Freitagabend mehr als vier Prozent im Minus und fiel auf den tiefsten Stand seit Mitte Oktober. » Kommentar, Panorama