Wenn Grüne sich nicht grün sind
Leitartikel Kaum werden die Früchte des durch Geschlossenheit errungenen Erfolges verteilt, brechen die alten Gräben wieder auf. Für die Ampel ist das eine Hypothek
Die Tinte unter dem Koalitionsvertrag ist kaum getrocknet, da fällt das von den Grünen in den vergangenen Jahren so mühsam gezimmerte Harmoniegebäude mit einem lauten Rumms in sich zusammen. Für die Ampel verheißt das nichts Gutes. Dass das Stillhalteabkommen zwischen den sich traditionell in inniger Abneigung verbundenen Parteiflügeln nicht lange über die Wahl hinaus halten würde, war abzusehen. Doch dass sich linke Fundis und pragmatische Realos schon bei der Vergabe der Ministerposten derart brachial in die Ökowolle kriegen würden, erstaunt dann doch.
Um das gemeinsame Ziel, Annalena Baerbock ins Kanzleramt zu tragen, nicht zu gefährden, übten sich selbst die streitlustigsten Grünen zuletzt lange in Zurückhaltung. Dabei hat sich viel Frust angestaut.
Der sucht sich jetzt ein Ventil. Bei den linken Fundis kennt der Ärger darüber, dass ihr Favorit Toni Hofreiter der Weg ins Kabinett verwehrt bleibt, kaum Grenzen. Doch Cem Özdemir, der Oberrealo aus Stuttgart, hatte einfach die besseren Karten. Dem grünen Selbstverständnis entsprechend sollen bei der Besetzung von Spitzenposten Menschen mit migrantischem Hintergrund entsprechend berücksichtigt werden. Der anatolischschwäbische Sozialpädagoge setzte sich gegen den langhaarigen Biologen aus Oberbayern durch.
Dass die beiden Fundi-Frauen Steffi Lemke und Anne Spiegel die Ressorts Umwelt und Familie übernehmen, kann den linken Furor nicht bremsen. Dabei ist die Personalie Özdemir nur das Symptom einer Misere, deren Ursachen tiefer sitzen. Was jetzt aufbricht, ist ein seit langem wachsender Groll in vielen Winkeln der Partei. Für einen beträchtlichen Teil der Anhängerschaft ist das grüne Wahlergebnis allenfalls mit Blick auf das Abschneiden vier Jahre zuvor ein Erfolg. Den Umfragen im Sommer zufolge wäre ja weit mehr drin gewesen, das Kanzleramt sogar. Doch Annalena Baerbock verstolperte den zeitweiligen Vorsprung durch eigene Fehler. Als künftige Außenministerin zählt sie nun zu den großen Gewinnern dieser Wahl. Doch viele Grüne hadern mit dem Koalitionsvertrag, fühlen sich als Verlierer, empfinden gerade die Zugeständnisse an die FDP als Zumutung. Auf deutschen Autobahnen gibt es kein generelles Tempolimit, der Verbrennungsmotor wird nicht konsequent beerdigt, es gibt keine höheren Steuern für Wohlhabende – alles Dinge, für die sich die Liberalen feiern lassen, während die Grünen dafür Prügel von der Basis kassieren. Und wenn es dann an die Umsetzung der Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag geht, ist der Ärger vorprogrammiert.
Schien es zuletzt, als gäbe es die
Flügel gar nicht mehr, wirkt die Kluft zwischen Realos und Fundis nun tiefer denn je. Der linke Flügel erscheint mit den neuen Verbündeten aus der radikalen Klimaschutzbewegung noch fundamentalistischer als früher. Auf der anderen Seite des Spektrums zeigt Winfried Kretschmann in BadenWürttemberg, wie sich im bürgerlichen Lager Mehrheiten holen lassen. Mit Anreizen statt Verboten, am Machbaren orientierten Lösungen zog er selbst die heimischen Autobauer auf seine Seite. Für diese Art der Politik steht auch Özdemir, der durchaus ein Agrarminister werden kann, der die deutschen Landwirte weiterbringt. Doch dass die Realos Özdemir noch ins Kabinett drückten, nehmen ihnen die Fundis übel. Der Schmerz darüber, dass ihr Liebling Hofreiter so schmählich ausgebootet wurde, könnte die Grünen an den Rand der Spaltung bringen und damit das ganze Ampel-Projekt gefährden. Gerade jetzt wäre ausgleichende Führung gefragt, wie sie Baerbock und Habeck über weite Strecken geliefert haben.
Der Groll in der Partei
sitzt tief