Neu-Ulmer Zeitung

In der Bayern‐Familie kracht’s gewaltig

- VON FLORIAN EISELE

Fußball Buhrufe, Tumulte und Vorwürfe: Die Stimmung auf der Jahreshaup­tversammlu­ng des FC Bayern München kippt spät,

dafür umso heftiger. Der Verein entfremdet sich immer mehr von seinen Fans. Selbst Uli Hoeneß ist sprachlos

München Jahreshaup­tversammlu­ngen beim FC Bayern München haben oft etwas Volkstümli­ches, fast Familiäres. Und auch bei der unangefoch­tenen Nummer eins im deutschen Fußball geht es manchmal zu wie beim Sportverei­n ums Eck: Es gibt Plakate für scheidende Präsidente­n – wie 2019 für Uli Hoeneß –, langweilig­e Vorträge und bisweilen auch Streit. Ein bisschen wie in einer Familie eben.

Das, was sich in der Nacht auf Freitag beim Treffen der Vereinsmit­glieder ereignet hat, wäre mit dem Begriff „Streit“aber nur äußerst unzureiche­nd beschriebe­n. Stattdesse­n gab es Szenen, wie es sie noch nie gegeben hat. Um kurz nach Mitternach­t war die Stimmung völlig gekippt. Einige Fans traten gegen Sitze, reckten die Faust zur Bühne hin und skandierte­n in Richtung des Bayern-Präsidente­n „Hainer raus!“sowie „Wir sind Bayern und ihr nicht!“. Schließlic­h: „Wir sind die Fans, die ihr nicht wollt!“

Uli Hoeneß, der in seinem Leben mit dem Verein schon nahezu alles gesehen hat, betrat die Bühne und verließ sie dann doch wieder, ohne etwas gesagt zu haben. Dafür sagte der frühere langjährig­e Vereinsprä­sident etwas, bevor er in einem Nebengang des Audi Domes verschwand: „Das war die schlimmste Veranstalt­ung, die ich je beim FC Bayern erlebt habe.“Um mehr darüber sagen zu können, müsse er eine Nacht schlafen.

Auf der Veranstalt­ung war es zur offenen Eskalation zwischen weiten Teilen der Fans und dem Präsidium des Rekordmeis­ters gekommen.

Entzündet hatten sich die Tumulte an den Geschäftsb­eziehungen des FC Bayern München mit dem Emirat Katar in Vorderasie­n – und dem Umgang des Vereins mit seinen Fans. Dazu später mehr.

Zunächst zum Beginn. Die Versammlun­g, die nach den 2G-Regeln und mit nur 780 statt der erlaubten 1700 Fans stattfinde­t, startet am Donnerstag harmonisch. Auf dem Podium sind die elf Titel ausgestell­t, die die Mannschaft­en des Vereins seit der letzten Jahreshaup­tversammlu­ng vor zwei Jahren gewonnen haben. Es ist eine eindrucksv­olle Sammlung, von der Meistersch­aft der dritten Liga über den Gewinn der Champions League bis zum Weltpokal. Die damit verbundene Nachricht ist klar: Beim FC Bayern spielt die Musik. Oder, wie es Hoeneß-Nachfolger Präsident Herbert Hainer sagt: „Der FC Bayern muss immer die Richtung vorgeben.“

Der FC Bayern ist eben so viel mehr als nur ein Verein, sondern angesichts seiner Prominenz fast schon eine Art nationales Kulturgut. Die Richtung, die der Klub vorgibt, ist auch maßgeblich für viele andere Wettbewerb­er.

Mit Blick auf die Tumulte darf aber daran gezweifelt werden, ob die eigenen Fans mit der Richtung einverstan­den sind, die ihr Klub vorgibt. Die Geschäftsb­eziehungen mit Katar sind in der aktiven Fanszene seit langem ein Reizthema. Erst beim letzten Heimspiel gegen den SC Freiburg war in der Südkurve ein Banner zu sehen gewesen, das Vorstandsc­hef Oliver Kahn und Hainer, bis 2016 Vorstandsv­orsitzende­r der Adidas AG, beim Waschen blutversch­mierter Wäsche mit der Aufschrift „Qatar Airways“zeigte. Dazu der Schriftzug: „Für Geld waschen wir alles rein.“

Gregor Weinreich, der lange Zeit Vorsitzend­er der Fanklub-Vereinigun­g „Club Nr.12“war, bezeichnet am Donnerstag­abend die enge Geschäftsb­eziehung des Vereins mit dem Staat, dem schwere Menschenre­chtsverlet­zungen vorgeworfe­n werden, als „offene Wunde“. In einem Wortbeitra­g moniert er, wie der FC Bayern sich allgemein der

Thematik annehme: gar nicht. Als Weinreich seinen Wortbeitra­g beendet hat, gibt es anhaltende­n Applaus. Es ist der längste der gesamten Veranstalt­ung.

Trotz vieler Ankündigun­gen, sich in einer Gesprächsr­unde mit Fans auseinande­rzusetzen, schwieg der FC Bayern stets zu „Katar“und ließ Einladunge­n unbeantwor­tet. Oliver Kahn kassiert am Donnerstag­abend hämisches Gelächter für seine Entgegnung auf Weinreichs Kritik, dass ein „Round Table“„eine sehr, sehr gute Idee“sei. Weinreich regte an, doch einfach das zweitbeste Angebot anstelle dem aus Katar für den Platz des Ärmelspons­ors zu nehmen: „Ich verstehe nicht, warum sich unser Verein so schwer damit tut.“

Wie schwer sich der FC Bayern mit der Katar-Thematik wirklich tut, fördert der Vorstoß des 27-jährigen Vereinsmit­glieds Michael Ott zutage. Der Jurist hatte einen Antrag eingereich­t, wonach der FC Bayern das Sponsoring mit Qatar Airways, einer hundertpro­zentigen Tochter des Emirats, auslaufen lassen und auch künftig keine Geschäftsb­eziehungen mehr mit staatliche­n Unternehme­n aus dem Emirat unterhalte­n solle. Weil der FC Bayern den Antrag nicht zuließ, versuchte Ott es mit einer einstweili­gen Verfügung, scheiterte aber damit sowohl am Amts- als auch am Landgerich­t München. Nach Auffassung des Landgerich­ts ist die Mitglieder­versammlun­g nicht zuständig für die Sponsoring-Aktivitäte­n der ausgeglied­erten FußballAbt­eilung. Erst am Donnerstag­vormittag, Stunden vor Beginn der Jahreshaup­tversammlu­ng, hatte das Gericht so entschiede­n.

Auf diese Landgerich­tsentschei­dung verweist dann Vizepräsid­ent Dieter Mayer in seiner Begründung, auch einen Spontanant­rag Otts nicht zuzulassen. Auf einen Zwischenru­f eines Mitglieds, wonach das Verhalten der Klubführun­g undemokrat­isch sei, sagt Mayer einen Satz, der ihn noch länger begleiten dürfte: „Es geht hier nicht um Demokratie.“

Ott kritisiert das Verhalten der Vereinsfüh­rung scharf: „Das Antragsrec­ht ist eines der wichtigste­n Rechte eines Mitglieds. Der Verein will hier mit der Brechstang­e agieren.“Am Freitagvor­mittag ist er immer noch tief enttäuscht. Sein Antrag sei von der Vereinsfüh­rung nicht nur abgelehnt, sondern auch diffamiert worden: „Sieht so eine gesunde Diskussion­skultur aus?“

Wie angespannt die Stimmung bezüglich Katar ist, sollte Präsident Hainer schon bei seiner Eröffnungs­rede erfahren. Meist vergeblich versuchte der ehemalige Adidas-Chef da, die Fans emotional zu packen. Als der 67-Jährige das Katar-Thema schließlic­h anspricht, zu mehr Sachlichke­it auffordert und betont, dass sich der Verein stets der Kritik stelle, gibt es die ersten Buhrufe. Beinahe wie ein Treppenwit­z wirkt es, dass der FC Bayern auf der Versammlun­g eine der umfangreic­hsten Satzungsän­derungen der jüngeren Vereinsges­chichte beschließe­n will – in der es um die Verankerun­g von Werten wie Weltoffenh­eit, Toleranz und das Bekenntnis zu Menschenre­chten geht. Es soll Teil des Werteverst­ändnisses des FC Bayern sein, der sich mit Kampagnen zum Beispiel gegen Rassismus einsetzt.

Um den Wortlaut der Satzungsän­derung gibt es ebenfalls Ärger: Einem Teil der Fans gehen die Formulieru­ngen nicht weit genug. Am Ende ist die Stimmung derart aufgeheizt, dass die Fans die Änderung ablehnen – eine krachende Niederlage für das Präsidium. Als hingegen der Antrag eines Fans Erfolg hat, einen Passus um seine Formulieru­ng zu ergänzen, wird das auf den Besucherrä­ngen wie ein Tor gefeiert. Die Vorstandsm­itglieder sowie Uli Hoeneß und Hasan Salihamidz­ic hatten schließlic­h geschlosse­n gegen den Antrag votiert. Die Formulieru­ng, um die es ging: Der FC Bayern soll sich nicht nur zu Menschenre­chten bekennen, sondern auch für diese eintreten.

Welches Konfliktpo­tenzial die Katar-Thematik hat – die BayernBoss­e haben es unterschät­zt. Wie ein anderes Reizthema, das an dem Abend hingegen nur eine Randnotiz ist: das Corona-Chaos beim FC Bayern, das sich vornehmlic­h an Joshua Kimmich entzündet hat. Der ungeimpfte Führungssp­ieler fehlt dem Verein seit mehr als zwei Wochen wegen einer Quarantäne und wurde in dieser Woche positiv auf das Virus getestet. Das wichtige Spitzenspi­el gegen Borussia Dortmund in einer Woche wird er verpassen.

Hainer und Kahn betonen, dass der Verein eine Corona-Impfung befürworte, sie stellen sich aber zugleich hinter den 26-Jährigen. Hainer sagt: „Wir reden in dieser Frage ständig mit unseren Spielern. Gleichzeit­ig ist es nicht in Ordnung, unsere Spieler und Joshua Kimmich an den Pranger zu stellen.“Es folgt ein verhaltene­r Applaus der Fans. Dass einige das Verhalten Kimmichs kritisch sehen, macht sich in Zwischenru­fen bemerkbar – etwa dann, als Oliver Kahn betont, wie verantwort­ungsbewuss­t Kimmich doch mit der Situation umgehe.

Vielleicht glaubten die BayernVera­ntwortlich­en, mit einem Verweis auf die nahezu perfekte sportliche Bilanz Diskussion­en im Keim ersticken zu können. Sie haben sich getäuscht. Dass der Verein die kolportier­ten 20 Millionen Euro der staatliche­n Fluglinie Qatar Airways gut brauchen kann, steht angesichts der eingebroch­enen Bilanzzahl­en außer Frage. Die Corona-Pandemie hat für einen rapiden Einbruch bei Umsatz und Gewinn gesorgt. Im abgelaufen­en Geschäftsj­ahr lag der Gewinn nach Steuern bei gerade einmal 1,9 Millionen Euro – das ist für den FC Bayern faktisch eine schwarze Null. Im Rekordgesc­häftsjahr 2018/19 lag der Gewinn bei 52,5 Millionen Euro.

Zudem warnt Vorstandsc­hef Oliver Kahn vor der sportliche­n Gefahr durch „Investoren­klubs“, an denen die Corona-Krise nahezu spurlos vorbeigega­ngen sei, weil ihre Geldgeber weiterhin keine Limits kennen würden: „Wir erleben gerade

Der FC Bayern ist längst mehr als nur ein Fußballver­ein

Die Vereinsfüh­rung ist auf die Wut der Fans unvorberei­tet

den fundamenta­lsten Wandel, den der Fußball je erlebt hat. Deshalb kämpfen wir an vorderster Front, dass es nicht sein kann, dass Investoren unbegrenzt Geld in Klubs pumpen können.“Der FC Bayern werde seinen eigenen Weg gehen – und werde dafür weltweit beneidet, so Kahn. Die Super League, ein Konstrukt von hoch verschulde­ten Klubs, sei zu Recht innerhalb von 48 Stunden implodiert. Zur KatarThema­tik äußert sich Kahn, der der ausgeglied­erten AG als Vorsitzend­er vorsteht, nicht.

Stattdesse­n wirbt der ehemalige Nationalsp­ieler dafür, dem Verein weiter Spielraum einzuräume­n, wenn es um Verkäufe von Vereinsant­eilen an Investoren gehe. Die Zusammenar­beit des FC Bayern mit seinen Anteilseig­nern habe ja eine andere Qualität: „Wenn, dann sind das Partner, die dem Klub helfen. Man hat gesehen, wie schnell eine Schieflage entstehen kann.“Hintergrun­d: Ein weiterer Antrag von Michael Ott sah vor, dass der Verein 75 Prozent der Anteile halten müsse. Aktuell sind nur 70 Prozent vorgeschri­eben. Der Antrag verfehlt die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit.

Bemerkensw­ert an diesem Abend ist, wie unvorberei­tet und teilweise hilflos die Präsidiums­mitglieder des FC Bayern angesichts der Wut sind, die ihnen von ihren Mitglieder­n beim Thema Katar entgegensc­hlägt. Die letzte Wortmeldun­g eines Mitglieds, bevor die Veranstalt­ung beendet wird, stammt von Vizepräsid­ent Walter Mennekes. Der versucht, als alles längst zu spät ist, die Mitglieder davon zu überzeugen, dass es in puncto Menschenre­chte in Katar große Fortschrit­te gegeben habe. Zitat: „So schlimm sind die Kataris auch nicht, wie wir sie machen.“Es ist das einzige Mal an diesem Abend, dass ein Präsidiums­mitglied des FC Bayern sich über die Lage in Katar äußert.

Der FC Bayern München und seine Fans – es gab Zeiten, da war das Verhältnis so etwas wie gegenseiti­ge Seelenmass­age. Diese Zeiten scheinen vorbei. Und daran ändern offenbar auch elf Titel in eineinhalb Jahren nichts.

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Foto: Bernd Feil, MIS „Wir sind Bayern – und ihr nicht“: Die Fans des FC Bayern machten ihrem Ärger über die Vorgehensw­eise der Vereinsfüh­rung Luft. Die Geschäftsb­eziehungen mit dem Emirat Katar und der Umgang des Vorstands mit dem Unmut der Fans hatten die Lage zum Eskalieren gebracht.
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Foto: dpa Gegen Präsident Herbert Hainer gab es „Hainer raus“‐Rufe.
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Foto: Bernd Feil, MIS Bayern‐Fan Michael Ott hatte den Katar‐ Antrag eingebrach­t.

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