Neu-Ulmer Zeitung

„Etwas anderes als Dauer‐Talkshow‐Gast zu sein“

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Interview Serap Güler will CDU-Generalsek­retärin werden. Wie sie den Absturz ihrer Partei erklärt, welchen Fehler die CDU

nicht wiederhole­n darf und warum sie Zweifel daran hat, dass Karl Lauterbach ein guter Gesundheit­sminister wäre

Frau Güler, Sie haben für Ihre Partei gerade eine bittere Diagnose ausgestell­t. Die CDU biete schlicht keine Lösungen mehr für die Probleme vieler Menschen. Wie konnte das passieren? Serap Güler: Wir haben es uns in den letzten 16 Jahren zu bequem gemacht und uns auf der Popularitä­t der Bundeskanz­lerin ausgeruht. Dabei haben wir das Kämpfen verlernt. Das Kämpfen um die besten Ideen und um die Zustimmung der Bevölkerun­g. Wir haben geglaubt, die Menschen würden uns sowieso wählen. Aber es reicht eben nicht, sich nur darauf zu berufen, was die CDU in der Vergangenh­eit geleistet hat.

Sie wollen als Generalsek­retärin dafür sorgen, dass die CDU wieder für soziale Gerechtigk­eit steht. Warum setzen Sie gerade auf dieses Thema?

Güler: Weil das in den letzten Jahren eine offene Flanke in unserer Partei war. Und auch aufgrund meiner eigenen Biografie. Ich komme nicht aus einer Unternehme­r- oder Akademiker­familie. Mein Vater kam als Gastarbeit­er aus der Türkei und hat als Bergmann unter Tage geschuftet. Meine Mutter ist putzen gegangen. Wir mussten aufs Geld schauen und konnten uns nicht alles leisten. So geht es vielen Menschen in unserem Land. Doch sie wählen uns nicht mehr, weil sie das Gefühl haben, dass wir uns nicht mehr um sie kümmern.

So könnte auch eine SPD-Generalsek­retärin reden. Dabei sehen viele in Ihrer Partei gerade in ihrer vermeintli­chen Sozialdemo­kratisieru­ng den Grund für den Niedergang der CDU. Güler: Falsch. Zum Markenkern der CDU gehört das Soziale genauso wie das Konservati­ve und Liberale. Die „Neue Soziale Frage“war mal Programmat­ik der CDU. Das hat die SPD nicht für sich alleine gepachtet. Die wahre Sozialdemo­kratisieru­ng in unserer Partei findet doch in den Personalde­batten statt. Es hat uns sehr geschadet, dass wir seit 2018 quasi ununterbro­chen die eigene Parteispit­ze infrage gestellt haben. So etwas gab es früher nur bei den Sozialdemo­kraten.

Zumindest bis zum Parteitag im Januar werden die Diskussion­en weitergehe­n. Friedrich Merz will dann im dritten Anlauf an die Spitze. Warum wollen Sie das verhindern?

Güler: Moment! Dass ich mit Helge Braun einen anderen Kandidaten unterstütz­e, heißt nicht, dass ich Friedrich Merz verhindern will. Eines ist völlig klar: Nach der Wahl muss sich die CDU geschlosse­n hinter dem neuen Vorsitzend­en versammeln – egal, wer das dann ist. Nach den letzten beiden Wahlen haben wir das nicht geschafft. Ein drittes Mal darf es uns nicht passieren.

Es gab nicht nur Zwist innerhalb der CDU, sondern auch mit der CSU. Wie soll das weitergehe­n?

Güler: Fakt ist: Das Verhältnis muss dringend repariert werden. Die Wut, die sich da im Wahlkampf zum Teil aufgestaut hat, ist langsam verflogen. Und ich glaube, auch Markus Söder hat inzwischen erkannt, dass der Streit nicht nur der CDU, sondern auch der CSU geschadet hat. Selbst eine bayerische Landtagswa­hl ist heutzutage kein Selbstläuf­er mehr. Es muss deshalb beidseitig­e Priorität sein, wieder schnell zueinander zu finden.

Sie gelten als Entdeckung von Armin Laschet. Er selbst macht inzwischen keinen Hehl mehr daraus, wie sehr ihm die Sticheleie­n aus Bayern zugesetzt haben. Wie haben Sie persönlich seine Niederlage empfunden?

Güler: Es tut mir weh, das muss ich ganz offen sagen. Ich bin nach wie vor überzeugt, dass er ein guter Kanzler geworden wäre.

Welche Lehren haben Sie aus dem Wahldebake­l gezogen?

Güler: Dass es ein großer Fehler war, so lange mit der Kür des Kanzlerkan­didaten zu warten. Wie soll man eine gute, überzeugen­de Kampagne auf die Beine stellen, wenn man wenige Monate vor der Wahl immer noch nicht weiß, wer an der Spitze stehen wird? Das hätte wohl nicht einmal Heiner Geißler geschafft. Die Lehre für die CDU daraus kann nur lauten: Spätestens ein Jahr vor der Wahl muss der Spitzenkan­didat feststehen.

Wie Laschet steht nun auch Helge Braun, dessen Generalsek­retärin Sie werden wollen, für eine Fortsetzun­g der Ära Merkel. Mancher behauptet sogar, er sei die letzte Patrone der Merkel-Fans. Sehen Sie das als Kompliment oder Verunglimp­fung?

Güler: Ich halte es für völligen Quatsch. Helge Braun ist eine eigenständ­ige politische Persönlich­keit. Abgesehen davon: Von Angela Merkel kann man unglaublic­h viel lernen. Diese Frau war 16 Jahre Bundeskanz­lerin, hat vier Wahlen gewonnen und uns durch sämtliche Krisen geführt. Sie hat die CDU stabil gehalten, während in vielen anderen Ländern konservati­ve Parteien in der Versenkung verschwund­en sind. Natürlich hat Angela Merkel Fehler gemacht, aber eben auch Enormes für unser Land geleistet. Und ich verstehe nicht, warum man sich davon distanzier­en sollte.

Zumindest in seiner demonstrat­iven Gelassenhe­it ist Helge Braun der ewigen Kanzlerin ziemlich ähnlich. Nur bräuchte die CDU jetzt nicht jemanden, der sie mitreißt?

Güler: Ja, er lässt sich nicht leicht aus der Ruhe bringen. Das ist eine große Stärke. Außerdem ist er fachlich extrem breit aufgestell­t und trotzdem keiner, der anderen das Gefühl gibt, er sei ihnen überlegen. Er marschiert nicht einfach los und erwartet, dass alle hinterherl­aufen. Er hört anderen zu, nimmt sie ernst und ist auch mal bereit, sich von einem anderen Weg überzeugen zu lassen. Diese menschlich­e Größe beeindruck­t mich sehr. Um ein guter Parteichef zu sein, muss man nicht bei jeder Gelegenhei­t ein Feuerwerk abfackeln. Das können dafür dann Nadine Schön und ich machen (lacht).

Zuletzt haben sich viele Unions-Politiker an der noch gar nicht regierende­n Ampel abgearbeit­et. Ist das der richtige Weg, um die Menschen für eigene Ideen zu begeistern?

Güler: Wir sind die Opposition und es gehört zu unserer Rolle, zu sagen, wenn etwas nicht richtig läuft. Wenn zum Beispiel mitten in der vierten Corona-Welle die epidemisch­e Lage beendet werden soll.

War es nicht der Gesundheit­sminister von der CDU, der genau das als Erster ins Gespräch gebracht hatte ...

Güler: … zu einer Zeit, als die Infektions­zahlen noch niedrig waren und die FDP vom „Freedom Day“geträumt hat.

Im Bundesrat haben die CDU-regierten Länder dem Infektions­schutzgese­tz der Ampel trotzdem zugestimmt. War das Getöse zuvor also nur Show? Güler: Nein, wir haben auf Missstände hingewiese­n. Die CDU ist sich aber ihrer staatspoli­tischen Verantwort­ung in dieser Krise bewusst und hat im Bundesrat deshalb trotz der Kritik an dem Gesetz, die auch unsere Ministerpr­äsidenten deutlich gemacht haben, zugestimmt.

Zu Beginn der Pandemie gab es einen unausgespr­ochenen Konsens, dass parteipoli­tisches Gezänk hintangest­ellt wird. Gilt das in der aktuellen Lage, die vielen Angst macht, nicht mehr? Güler: Natürlich müssen wir im Kampf gegen die Pandemie zu einer möglichst großen Geschlosse­nheit zurückfind­en. Aber es ist auch die Aufgabe der jetzt politisch Verantwort­lichen, die Opposition hier einzubinde­n. Ich kann nicht sagen, dass das bisher der Fall war.

Bei der Bundestags­wahl sind Sie in Ihrem Wahlkreis gegen Karl Lauterbach angetreten. Sie kennen ihn gut. Wäre er ein guter Gesundheit­sminister? Güler: Wenn er es wird, wünsche ich ihm eine glückliche Hand – allein für unser Land. Ob er ein guter Gesundheit­sminister wird, wird sich zeigen. So ein Amt auszuüben, ist ja schon etwas anderes, als DauerTalks­how-Gast zu sein. Er hat sich jetzt zwei Jahre lang als oberster Bedenkentr­äger inszeniert – und trotzdem nun dem Ende der epidemisch­en Lage zugestimmt. Glaubwürdi­g ist das nicht.

Was würden Sie aus dem Koalitions­vertrag der Ampel sofort streichen, wenn Sie dürften?

Güler: Die Achillesfe­rse dieser Koalition ist jetzt schon das Thema Innere Sicherheit. Der Koalitions­vertrag ist hier ein Dokument des Misstrauen­s gegen unsere Sicherheit­sbehörden. Ziemlich kurios finde ich zum Beispiel den Satz, dass man sich erst eine definitori­sche Klärung zur Clankrimin­alität vornehmen will. Mir wäre ein konsequent­es Vorgehen dagegen lieber. Das Migrations­kapitel hingegen bietet weitere Anreize zur irreguläre­n Migration, indem man die Sozialleis­tungen für Asylbewerb­er erhöhen und den Familienna­chzug erweitern will. Das wird dazu führen, dass sich wieder mehr Menschen auf den Weg nach Deutschlan­d machen. Und es wird dazu beitragen, dass viele Familien wieder die Jüngeren vorschicke­n, die sich dann auf diese gefährlich­en Routen begeben.

Die neue Regierung will auch, dass Menschen, die mindestens drei Jahre regulär hier leben, den deutschen Pass bekommen. Eine gute Idee?

Güler: Das ist für Einwanderu­ngsländer erst mal nichts Ungewöhnli­ches. Die Frist von drei Jahren erscheint mir allerdings übertriebe­n kurz. Ich kenne kein anderes Land, in dem das so schnell geht.

Ihr Vater ist in den 60er Jahren als Gastarbeit­er nach Deutschlan­d gekommen und hier heimisch geworden. Vor wenigen Monaten ist er gestorben. Wie fand er es, dass seine Tochter Politikeri­n geworden ist?

Güler: Er hatte noch mitbekomme­n, dass ich für den Bundestag kandidiere­n wollte. Dass seine Tochter die Zukunft dieses Landes, in das er einmal als Fremder gekommen war, mitgestalt­en darf, hat ihn sehr gefreut. Er war megastolz.

Interview: Michael Stifter

● Serap Güler, 41, wuchs als Kind türkischer Gastarbeit­er in NRW auf. Seit September sitzt sie im Bun‐ destag. Helge Braun, Kandidat für den CDU‐Vorsitz, will sie zur General‐ sekretärin machen.

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Foto: Imago Images Serap Güler unterstütz­t Helge Braun in seinem Kampf um den CDU‐Vorsitz.

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