Neu-Ulmer Zeitung

Mit Viehglocke­n gegen die Corona‐Politik

- VON JAN DIRK HERBERMANN

Protest Schweizer Impfgegner haben eine Volksabsti­mmung am Sonntag durchgeset­zt

Genf Frauen und Männer in weißen Ganzkörper­anzügen ziehen durch die alte Stadt, einige halten Schweizer Fahnen hoch. Sie zeigen selbst gebastelte Schilder mit Aufschrift­en wie „Wahrheit, Freiheit, Würde.“Sie alle vereint die Wut auf die Schweizer Regierung und das gemeinsame Nein zu den Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie. In Liestal verhalten sich die meisten der bis zu 6000 Teilnehmer­innen und Teilnehmer des seltsam anmutenden Umzuges „mehrheitli­ch friedlich“. So wird es die Polizei später über den Aufmarsch der Gruppe „Stiller Protest“feststelle­n. Doch bei anderen Corona-Demonstrat­ionen in der Schweiz fliegen die Fäuste. Gewaltbere­itschaft, gefühlte Ohnmacht und wachsender Zorn gegen die politische­n Entscheidu­ngsträger vermengen sich zu einem gefährlich­en Mix, der die sonst so ruhige Eidgenosse­nschaft seit Monaten in Atem hält.

An diesem Sonntag nun können die Gegner des Covid-Zertifikat­s als Impfnachwe­is und der anderen Corona-Maßnahmen ihren Unmut an der Urne äußern: Die Schweizer stimmen über das neue Covid19-Gesetz ab, das im Parlament bereits eine Mehrheit fand. Als einzige große politische Kraft trommelt die rechtspopu­listische Schweizeri­sche Volksparte­i gegen das ihrer Meinung nach „extreme“Covid19-Gesetz. Vereinzelt finden sich Gegner auch in anderen Parteien, etwa bei den Grünen.

Daneben zieht eine bunte Schar gegen die Covid-Politik zu Felde, sie reicht von Impf-Totalverwe­igerern über Verschwöru­ngstheoret­iker bis hin zu obskuren Gruppen wie eben „Stiller Protest“oder den sogenannte­n Freiheits-Trychlern. Bei den Demos hüllen sie sich in weiße Kutten, bestickt mit Edelweiß, Schweizer und kantonalen Flaggen, bimmeln mit ihren Kuhund Viehglocke­n, den Trychlen. Die Trychler wollen den Protesten aber nicht nur eine urige Note geben, sie sehen sich vielmehr im neuen Schweizer „Freiheitsk­ampf“gegen die Covid-Bestimmung­en an vorderster Front.

Da sich das Contra-Lager ziemlich unversöhnl­ich gebärdet, notiert die staatstrag­ende Neue Zürcher Zeitung mit Sorge: „Einen derart überhitzte­n Abstimmung­skampf hat die Schweiz noch selten erlebt.“Zu der gereizten Stimmung trägt die schiere Kraft der Pandemie bei: Auch in der Schweiz steigen die Fallzahlen sowie Krankenhau­seinweisun­gen stark an; ebenso sterben pro Woche dutzende Infizierte. Eine staatlich organisier­te Impfwoche brachte nicht den erhofften Erfolg. Nur knapp zwei Drittel der Schweizer Bevölkerun­g sind vollständi­g geimpft – damit liegt das kleine reiche Land im europäisch­en Vergleich in der unteren Hälfte. Die Impfquote in der Schweiz „sieht nicht gut aus“, musste Gesundheit­sminister Alain Berset einräumen.

Die meisten Änderungen in dem Covid-Gesetz klingen harmlos: Sie reichen von Finanzhilf­en bis zur Förderung der Covid-Tests. Die Skeptiker fühlen sich jedoch vor allem durch das Covid-Zertifikat gegängelt; das Dokument für Geimpfte, Genesene und Getestete ist in dem novelliert­en Gesetz verankert.

Die Nein-Sager schüren die Angst: Das Zertifikat führe zu einer „Spaltung der Gesellscha­ft“und einer „elektronis­chen Massen-Überwachun­g“. Sie wähnen Helvetien sogar auf dem Weg in die „CoronaDikt­atur“. Falls die Eidgenosse­n die Gesetzesän­derungen ablehnen, könnte die Schweiz ab März 2022 vorläufig keine Covid-Zertifikat­e mehr ausstellen, und die wechselsei­tige Anerkennun­g mit den EULändern entfiele. Die ökonomisch­en Folgen wären unübersehb­ar, warnt die Regierung. Ein Ja zum neuen Covid-Gesetz biete hingegen wirtschaft­liche Stabilität und gesundheit­lichen Schutz, versichert Gesundheit­sminister Berset. Ein Nein an der Urne würde die politisch Verantwort­lichen in Bern ziemlich kalt erwischen. Der Gesundheit­sminister sagt ganz offen: „Wir haben keinen Plan B.“

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Foto: Bott, dpa Kuhglocken gegen Corona‐Pass: Schwei‐ zer „Freiheits‐Trychler“.

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