Neu-Ulmer Zeitung

Luftwaffe holt Corona‐Patienten ab

- VON ANDREAS BERGER UND SIMONE HÄRTLE

Pandemie Wegen überlastet­er Krankenhäu­ser werden sechs an Covid-19 Erkrankte mit einem Flugzeug der Bundeswehr vom Allgäu aus nach Nordrhein-Westfalen geflogen

Memmingerb­erg Eigentlich ist das Flugzeug, das am Freitag gegen 13.50 Uhr auf dem Allgäu Airport in Memmingerb­erg landet, dafür gedacht, verletzte Soldatinne­n und Soldaten aus dem Einsatz zurückzuho­len. Diesmal ist der Airbus A310 MedEvac der Luftwaffe aber im Rahmen der Amtshilfe im Einsatz: Im Auftrag des Bundesinne­nministeri­ums werden mehrere CoronaPati­enten aus Bayern ausgefloge­n. Wegen der überaus angespannt­en Situation auf den bayerische­n Intensivst­ationen werden die Erkrankten künftig in Nordrhein-Westfalen behandelt.

Kurz nachdem das Flugzeug der Luftwaffe gelandet ist, stehen schon die ersten Krankenwag­en mit Intensivpa­tienten auf dem Rollfeld. Mit Blaulicht fährt einer nach dem anderen Richtung Flugzeug. Immer nur ein Patient wird liegend in ein Liftfahrze­ug gerollt und zur Ladeluke des Flugzeuges gehoben, wo er von Intensivme­dizinern und -pflegekräf­ten in Empfang genommen und ins Innere des Fliegers gebracht wird. Dann ist der nächste Patient an der Reihe. Etliche Fotografen, Fernsehtea­ms und Reporter stehen etwa 200 Meter entfernt hinter einem Zaun und halten das Geschehen auf dem Rollfeld fest. Einige Fernsehtea­ms senden live und erklären, was im Hintergrun­d zu sehen ist. Hier wird deutlich, dass dieser erste Corona-Verlegungs­flug von bundesweit­em Interesse ist.

„Wir haben sechs Intensivst­ationen an Bord“, sagt ein Sprecher der Luftwaffe. Die Besatzung bestehe aus etwa 25 Personen, 20 davon seien medizinisc­he Fachkräfte, die die Patienten während des Fluges betreuen. Die Bundeswehr­kräfte haben Erfahrung mit solchen Einsätzen, beispielsw­eise wurden mit dem Airbus zu Beginn der Pandemie Corona-Infizierte aus dem italienisc­hen Bergamo nach Deutschlan­d gebracht. „Jetzt ist es das erste Mal, dass wir auch innerhalb Deutschlan­ds fliegen“, sagte der Sprecher. „Wir sind froh, dass wir helfen können. Wenn wir auch nur ein Leben retten können, hat es sich schon gelohnt.“Er rechnet damit, dass in den kommenden Tagen weitere Flüge stattfinde­n werden. Unklar ist, ob diese auch im Allgäu starten.

Insgesamt sollen 50 bayerische Patienten in andere Bundesländ­er verlegt werden, rund 30 davon bis Sonntag. Bereits in der Nacht zum Freitag waren zwei Patienten per Intensivtr­ansporter nach Fulda in Hessen gebracht worden.

In Bayern werden derzeit 1037 Covid-Schwerkran­ke auf den Intensivst­ationen behandelt; das ist mehr als ein Drittel aller Intensivpa­tienten im Freistaat. In rund der Hälfte aller bayerische­n Landkreise und größeren Städte sind die Intensivbe­tten knapp. Deswegen gibt es wachsende Probleme bei der Aufnahme und Versorgung von Notfallpat­ienten, die zum Teil über sehr weite Strecken transporti­ert werden müssen. Die Luftwaffe hält zwei

Flugzeuge für den Hilfseinsa­tz bereit. Dazu gehört der Airbus A310 MedEvac sowie eine umgerüstet­e Spezialmas­chine, das Überwachun­gsflugzeug A319OH. In dieses wurden zwei Plätze zur Intensivbe­handlung eingebaut.

Die Intensivpa­tienten, die am Freitag und am Wochenende in andere Bundesländ­er gebracht werden sollen, stammen aus Schwaben, Oberbayern und Niederbaye­rn. Die sechs Patienten des ersten Flugs sollen in Westfalen weiter behandelt werden – drei in Münster, drei im Umland der Stadt.

Eine maßgeblich­e Ursache der Krankenhau­skrise in Bayern, Sachsen und Thüringen ist nach Einschätzu­ng der meisten Mediziner und Wissenscha­ftler die niedrige Impfquote in den drei Bundesländ­ern. Bund und Länder hatten am Dienstag das „Kleeblatt-Konzept“zur strategisc­hen Verlegung von Intensivpa­tienten „aktiviert“. Das soll verhindern, dass dringend behandlung­sbedürftig­e Patienten wegen Überlastun­g der Intensivme­dizin in einem Bundesland nur noch unzureiche­nd oder gar nicht mehr versorgt werden können.

Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) rief den Bund am Freitag zu schnellem Handeln auf. „Corona ist die Bürde unserer Zeit. Es ist die größte Herausford­erung seit dem Zweiten Weltkrieg“, sagte er in Neuburg am Inn im Landkreis Passau, einem Corona-Hotspot mit einer Inzidenz über 1000. In Rosenheim hatte der CSU-Chef zuvor eine „einheitlic­he Bundesnotb­remse“gefordert, eine Vorverlegu­ng der Ministerpr­äsidentenk­onferenz und eine schnelle allgemeine Impfpflich­t – am besten schon am 1. Januar. Es gehe nicht um ein bayerische­s, sondern um ein nationales Phänomen. „Deutschlan­d ist mittlerwei­le das Corona-Sorgenkind in Europa“, sagte Söder. (mit dpa)

„Deutschlan­d ist das Corona‐ Sorgenkind in Europa“

Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder

 ?? Foto: Peter Kneffel, dpa ?? „Eine fliegende Intensivst­ation“: Im Airbus A310 MedEvac der Luftwaffe gibt es sechs Behandlung­splätze für Intensivpa­tientinnen und ‐patienten. Diese waren beim Flug von Memmingerb­erg nach Münster‐Osnabrück am Freitag alle belegt.
Foto: Peter Kneffel, dpa „Eine fliegende Intensivst­ation“: Im Airbus A310 MedEvac der Luftwaffe gibt es sechs Behandlung­splätze für Intensivpa­tientinnen und ‐patienten. Diese waren beim Flug von Memmingerb­erg nach Münster‐Osnabrück am Freitag alle belegt.

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