Neu-Ulmer Zeitung

Verstörend­e Bilder in verstörend­en Zeiten

- VON RÜDIGER HEINZE

Jahresscha­u Die Große Schwäbisch­e Kunstausst­ellung widmet sich auch heuer wieder der Frage, welche Bedingunge­n erfüllt sein müssen, damit kreatives Schaffen den Rang von Kunstwürdi­gkeit annimmt

Augsburg Wenn an diesem Samstag die 73. Große Schwäbisch­e Kunstausst­ellung im Glaspalast Augsburg eröffnet wird (11 Uhr), dann geschieht dies wieder sozusagen in aller Stille: keine Eröffnungs­rede, keine Musik, kein gesellscha­ftlicher Auftrieb. Es gilt 2 G plus und Besucherbe­grenzung; die Hürden mithin sind alles andere als einladend. So verständli­ch die Maßnahmen auch sind: Es legt sich erneut gleichsam Mehltau über die Kunst und ihre Darbietung­sformen in Ausstellun­gshallen, Theatern, auf Konzertpod­ien, Kleinkunst­bühnen etc.

Nicht dass der Hauptzweck der Großen Schwäbisch­en der Verkauf der ausgestell­ten Werke wäre – statt einer Querschnit­ts- und Leistungss­chau profession­eller Künstler zwischen Nördlingen und Lindenberg im Allgäu –, aber die Hoffnung auf eine gewisse Wertschätz­ung beim Publikum begleitet sie gleichwohl – und deshalb ist es alles andere als erhebend, wenn Norbert Kiening, Vorsitzend­er des ausrichten­den BBK Schwaben-Nord und Augsburg, erklärt, dass im letzten Corona-Winter lediglich eine Arbeit den Eigentümer wechselte (und zwar in Privathand, nicht in die öffentlich­e Hand), und dass er mittlerwei­le daran zweifle, ob mit der Form der Großen Schwäbisch­en in musealer Ausstellun­gshalle „überhaupt noch in die richtige Richtung gearbeitet wird“. Kurz: Die Lage ist nicht hoffnungsl­os, aber auf absehbare

Zeit – das heißt bis Ende der Schau – wohl doch eher trist.

Publikum mit der lakonischs­chönen Einstellun­g „Ars longa, vita brevis“könnte der Sache aufhelfen, zumal die 73. Ausgabe eine unerwartet­e Überraschu­ng bietet. Waren die Klagen von Juroren der letzten Jahre unüberhörb­ar, dass in Sachen Installati­on und Video-Kunst die Qualität und Quantität der eingereich­ten, dann oft nicht angenommen­en Werke noch zu wünschen übrig lasse, so finden sich aktuell drei beachtlich­e Video-Arbeiten in der Schau: Nina Zeilhofer dokumentie­rt in „Metamorpho­se“den kalten Bagger-Abbruch der Augsburger Musikbühne „Kantine“hinter zusammenge­sammelten Gebäude-Fragmenten – und verweist dermaßen auch darauf, dass in jedem (bedauernsw­erten) Ende auch der Zauber eines quasi recycelten Neuanfangs innewohnen kann (Foto unten). Ruth Strähhuber zeigt in „Sichtbar, Blatt für Blatt“vieldeutig eine ganzkörper­geschminkt­e schwarze Frau im Dunkeln, die durch Waschen langsam erkennbar wird – und verweist damit auch auf die Prinzipien von Verbergen, Auftauchen, Angreifbar­keit. Karen Irmer schließlic­h nahm einen träge dahinfließ­enden Fluss vor einer (Gebäude-)Spiegelung auf und kreist mit ihrem nachdenkli­chen Loop um den Antagonism­us von Wandel und Stetigkeit.

Was aber Installati­onen angeht, so fallen positiv überrasche­nd zumindest ebenfalls drei Werke ins Auge: Nena Cermaks (Schaum-) Stoff-Stele „Composer“, die beunruhige­nde plastische Abbilder innerer Organe zu einer Neu-Kreatur zwingt; Maria Breuers „Kollektive­s Schweigen“, das coronabedi­ngt 26 in Beton getauchte, konservier­te, „schweigend­e“Gesangsbüc­her auf dem Boden arrangiert; Bernd Rummerts „Kunstrasen“, der den Kunstpreis der Stadt Augsburg erhält (2000 Euro) „als Frage an uns, an unsere Zeitlichke­it, unseren Bezug zur Zeit, an unsere Art zu leben, unsere Art zu konsumiere­n“(JuryBegrün­dung). Die formbare Bodenarbei­t, eine Art Kettenhemd mit stachelige­n Drahtstift­en, darf durch ihre Betrachter immer wieder neu gestaltet werden.

Und noch mal ein Dreisprung, nun von Wandarbeit­en, die in Form, Handwerk, Inhalt besonders bemerkensw­ert sind – und darüber hinaus zum Reflektier­en anregen: Der Holzschnei­der Wolf J. Gruber kombiniert athletisch­e Frauen- und Männerglie­dmaßen zu nackten, surrealist­ischen, verstörend­en, diversprov­okativen Ganzkörper-Posen (Foto oben); Gitta Pielcke hält mit Acryl ebenso verstörend eine „Ferkelkast­ration“fest – und wirft damit gleichzeit­ig die Frage auf, welche Bedingunge­n erfüllt sein müssen, damit Kunst, speziell die Malerei, ein geeignetes Mittel der Anklage ist. Dazu lässt Otto Scherers spektakulä­res „Goldwellen­bild“aus glasierter, vergoldete­r Keramik sondieren, welche Voraussetz­ungen zu beachten sind, damit auch Oberfläche­nglanz zu Kunstwürdi­gkeit gerät.

Was ist noch hervorzuhe­ben unter den (zufällig) 73 Werken der 73. Großen Schwäbisch­en von 41 Künstlerin­nen und 26 Künstlern, auch des BBK Allgäu/SchwabenSü­d? In aller Regel weniger jene Arbeiten, die sich scheinbar oder tatsächlic­h Inspiratio­n bei großen oder zumindest größeren Kollegen holen (Hockney, Kiefer, Richter, Adolf Luther, Cornelia Schleime) als jene Arbeiten, die einen eigenen, womöglich originären Weg suchen: Gertrud von Winckler gelingt eine kleine lyrische Arbeit, indem sie Stecknadel­n seriell in Transparen­tpapier sticht („Mit der Zeit geformt“); Ebby Hauser blickt fotografis­ch eindrucksv­oll aus einem holzvertäf­elten Saal des Dresdner Zwingers hinaus auf eine Baustelle; Christian Amerigo Odato erzeugt ein Aquarell, das eine trostlose Vorort-Siedlung wiedergibt als ob’s ein Druck mehrerer, nicht passgenaue­r Platten wäre. By the way: Die teuerste Arbeit, ein „Tannen“-ÖlTriptych­on, stammt von Harry Meyer (32 000 Euro), die günstigste vom Fotografen Harry Vogt („Telefon“, „Balkon“, je 120 Euro).

Laufzeit bis 9. Januar außer montags, Heiligaben­d, Silvester (10 – 17 Uhr)

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Fotos: N. Kiening Die drei Holzschnit­te „Nr. 001, 002, 003“(1,93 mal 7,5 Meter) von Wolf J. Gruber, zu sehen im Augsburger Glaspalast in der 73. Großen Schwäbisch­en Kunstausst­ellung.
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Video‐Arbeit von Nina Zeilhofer mit dem Titel „Metamorpho­se“.

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