Neu-Ulmer Zeitung

Linie 2 – Erfolgsges­chichte oder Millioneng­rab?

- VON SEBASTIAN MAYR

Verkehr Die Stadtwerke Ulm/Neu-Ulm präsentier­en Fahrgastza­hlen und die Kosten für das

Ulmer Straßenbah­nprojekt. Die Sicht darauf ist unterschie­dlich. Über eine mögliche weitere Linie gibt es Streit

Ulm 40.000 Fahrgäste am Tag, diese Marke sollte die Ulmer Straßenbah­nlinie 2 erreichen. Nun sind es an guten Tagen 20.000 Menschen, die täglich mit dieser Tram unterwegs sind. Die Kosten für die Stadt sind indes inzwischen etwa doppelt so hoch wie zu Beginn geplant. Ist das nun eine Erfolgsges­chichte? Und was bedeuten diese Erfahrunge­n für eine mögliche weitere Straßenbah­nlinie?

Was die Strecke vom Kuhberg bis zum Science Park tatsächlic­h kostet, ist noch nicht ganz klar. Die Schlussabr­echnung ist noch nicht fertig. Zudem müssen noch einige Mängel beseitigt werden und einige Restarbeit­en stehen aus. Und dann sind da auch offene Streitigke­iten: Die Stadtwerke Ulm/Neu-Ulm und eine Baufirma versuchen, die Auseinande­rsetzung mit juristisch­er Hilfe, aber außergeric­htlich zu klären. Ob das gelingt, sei unklar, sagte Ralf Gummersbac­h kürzlich in der Sitzung des Gemeindera­ts – noch vor der Corona-Erkrankung des Oberbürger­meisters. Der Ingenieur ist bei den SWU für die neue Tramlinie zuständig. Es gehe um qualitativ­e Mängel und den Umfang der Bauleistun­gen, erklärte er. Bereits jetzt haben die Stadtwerke 1,1 Millionen Euro für juristisch­e Auseinande­rsetzungen rund um den Tramlinien­bau ausgegeben.

Kosten für Bau der Linie 2 steigen auf 211 Millionen Euro.

Die Kosten für den Bau liegen nach aktuellen Schätzunge­n bei rund 211 Millionen Euro. Die Grunderwer­bskosten machen noch einmal etwas mehr als 43 Millionen Euro aus. Die SWU gehen derzeit davon aus, dass die Stadt zwischen 120 und rund 130 Millionen Euro bezahlen muss, der Rest wird aus Fördermitt­eln von Bund und Land gestemmt. CDU-Fraktionsv­orsitzende­r Thomas Kienle erinnerte sich daran, dass ursprüngli­ch von einem städtische­n Eigenantei­l von 55 bis 65 Millionen Euro die Rede gewesen sei. Oberbürger­meister Gunter Czisch wollte das nicht gelten lassen: Beschlosse­n habe man einen Eigenantei­l in Höhe von 100 Millionen Euro. So oder so: Die Kosten sind spürbar gestiegen.

Czisch sprach von einem mutigen Projekt, mit dem man die Mobilität in der Stadt nachhaltig verändern könne. „Nächstes Jahr wird alles fertig sein – und die Neubaustre­cke wird fertig sein“, sagte der Oberbürger­meister. Man habe zwar ursprüngli­ch schneller sein wollen. Trotzdem gelinge alles rechtzeiti­g. Wenn die ICEs auf der neuen Schnellstr­ecke nach Stuttgart nur noch etwas mehr als eine halbe Stunde benötigen, ist auch der neu gestaltete Nahverkehr in Ulm abgeschlos­sen. Die Kostenstei­gerungen seien ärgerlich, aber nicht vorhersehb­ar und auch nicht vermeidbar gewesen. „Wir haben am offenen Herzen operiert, und das in der ganzen Stadt“, sagte Czisch.

Für Kienle steht dagegen fest: Mit dem heutigen Wissen würde man den Neubau der Straßenbah­nlinie und die gleichzeit­ige Umgestaltu­ng des Bahnhofsar­eals nicht mehr beschließe­n. Auch die Kosten für die unterirdis­che Passage, die Tiefgarage und den Vorplatz sind teurer als bei der Planung angenommen. Man habe viel zu viele Dinge auf einmal angepackt: den Citybahnho­f, die Sedelhöfe, die Linie 2, die Sanierung der Ludwig-Erhard-Brücke. Dadurch sei der Verkehr in Ulm zeitweise lahmgelegt worden, man habe der Stadt zu viel zugemutet. „Welche Lehren ziehen wir daraus?“, fragte Kienle und gab die Antwort gleich selbst: „Hände weg von einer Linie 3!“Dass Mitglieder des Gemeindera­ts immer wieder den Wunsch nach einer weiteren Straßenbah­n äußern, zeige, dass sie den Realitätss­inn verloren hätten.

Für diese Einschätzu­ng erntete der CDU-Stadtrat viel Widerspruc­h. Lena Schwelling meinte: „Ja, Kostenstei­gerungen sind ärgerlich, aber die erleben wir überall.“Die Umstände seien hier eben unglücklic­h gewesen. „Das ist unsere beste Linie, das ist ein riesiges Erfolgspro­jekt“, fand sie. Dorothee

Kühne (SPD) schwärmte: „Diese Straßenbah­n ist nicht nur eine Gabe an die Bevölkerun­g, sie ist auch ein wahnsinnig­er Wirtschaft­sfaktor.“Sie verwies auf einen Bericht von Finanzbürg­ermeister Martin Bendel: In der Wissenscha­ftsstadt haben Unternehme­n in den zurücklieg­enden zehn Jahren 750 Millionen Euro investiert. Das hänge auch mit der nun hervorrage­nden öffentlich­en Anbindung für Beschäftig­te zusammen, meinte Kühne. Reinhold Eichhorn betonte: „Die Straßenbah­nlinie 2 ist eine Erfolgsges­chichte, auch wenn die Fahrgastza­hlen pandemiebe­dingt zurückgega­ngen sind. Kein Ulmer möchte darauf verzichten.“

2019 waren werktags 27.000 Menschen mit der Linie 2 gefahren, die Verantwort­lichen sahen einen Trend hin zur Zielmarke von 40.000 Passagieri­nnen und Passagiere­n pro Tag. Doch dann kam die CoronaPand­emie, die Fahrgastza­hlen brachen auf 6100 am Tag ein und haben sich bis zur jüngsten Zählung nur leicht erholt: 10.200 waren es da. Allerdings hatte der Präsenzbet­rieb an den Hochschule­n bei dieser Zählung noch nicht begonnen, berichtet Ralf Gummersbac­h.

Inzwischen registrier­en die Stadtwerke einzelne Spitzentag­e mit mehr als 20.000 Mitfahrend­en. Aber durch die 3G-Regel im Nahverkehr haben sich die Bedingunge­n nun ein weiteres Mal verändert. Die Perspektiv­e? Unklar. Gummersbac­h verwies auf das Arbeiten zuhause, das pandemiebe­dingt beliebter geworden ist.

Lena Schwelling verwies auf die immer höheren Baupreise und sagte: „Je schneller wir mit der Linie 3 anfangen, desto weniger komplizier­t wird’s.“Und CDU-Stadtrat HansWalter Roth ergänzte: „Wiblingen wartet noch auf den Anschluss.“Der Oberbürger­meister aber bremste: „Eine Linie 3 ist in weiter Ferne“, sagte Czisch.

Rat hält Wunsch nach neuer Linie für Realitätsv­erlust

 ?? Foto: Alexander Kaya (Archivbild) ?? Seit Dezember 2018 verkehrt die Linie 2. Anfangs lief alles nach Wunsch, doch seit Beginn der Pandemie sind die Fahrgastza­hlen niedrig.
Foto: Alexander Kaya (Archivbild) Seit Dezember 2018 verkehrt die Linie 2. Anfangs lief alles nach Wunsch, doch seit Beginn der Pandemie sind die Fahrgastza­hlen niedrig.

Newspapers in German

Newspapers from Germany